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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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verstände", wäre unschicklich, da dieses die Sprache der Bürgerlichen
ist. Der Musik ziehen die Damen die Reitkunst vor, sowie die Herren
die Kenntniß von Pferden höher achten, als Philosophie und Politik.
Mit ihren Schloß- oder Dorfgeistlichen leben die Eavaliere sehr ver¬
traut. Der Verkündiger des Wortes Gottes und Lossprecher der
Sünden darf sogar mit der adeligen Familie an einem Tische speisen,
muß aber vor dein Dessert aufstehen. Er hat einen etwas höheren
Rang, als der Rentmeister und der Bierbrauer. Letzteren nämlich
findet man schon jetzt auf vielen Gütern, bald aber wird er ein stehen¬
der Artikel im Inventarium des Gutes sein. Denn die Adeligen
fangen auch hier zu Lande endlich an einzusehen, daß ein "Handwerk
einen güldenen Boden habe", und daß man nicht blos auf Geld und
Gut vertrauen dürfe. Da der Staatsdienst zu schwierig, die bürgerlichen
Gewerbe zu gemein, der Militärdienst zu langweilig, der Handel zu
mühsam ist, greift man zu einem Geschäfte, das schon von jeher ein
Auskunftsmittel für verkommene Studenten und ein Ideal für dick¬
bäuchige Philister war, -- man stiftete Bierbrauereien nach bairtscher
Art. Mit der Anlage der ersten solchen Anstalt auf dem Gute eines
Edelmanns begann ein neuer Abschnitt der westfälischen Adelsgeschtchte.
Der Adel gab dadurch, wie früher in jener denkwürdigen Nacht der
französischen Revolution, seine mittelalterlichen Erinnerungen, seine ro¬
mantischen Träumereien aus, wurde praktisch und schloß sich den
Wünschen und den Bedürfnissen der Nation an. Eine ungeheure Re-
signation, die von dem Geschichtsschreiber noch nicht gehörig gewürdigt
ist. Ein innigeres Verschmelzen mit dem Bürgerstande, als durch
diese That hervorgebracht wurde, ist nicht möglich; das adelige Bier
geht in snccum et 8a>,Ammen des Bürgers, das bürgerliche Geld in
die Kasse des Adels über. Was kann man mehr verlangen. Mit
jedem Rausche, den "Gevatter Schuster und Handschuhmacher" sich
kauft, wächst die Macht und der Einfluß des Adels, und das Selbst¬
bewußtsein und der Muth des Trinkers. Es ist jetzt gewiß auch an
der Zeit, in Westphalen, wie auf dem letzten Landtage petitionirt wurde,
eine Universität zu stiften, da man ja des Bieres in Hülle und Fülle
h<it. Wie würden die Landsmannschaften auf der künftigen Universi¬
tät blühen; -- wie feierlich der Landesvater erschallen! Ein herrlicher
Gedanke! Schade nur, daß man ihn bis jetzt noch in das Reich der
Ideale versetzen muß.

Wie man Anspach und Batreuth die preußische Provinz in


Grenzboten. M. 5V

verstände», wäre unschicklich, da dieses die Sprache der Bürgerlichen
ist. Der Musik ziehen die Damen die Reitkunst vor, sowie die Herren
die Kenntniß von Pferden höher achten, als Philosophie und Politik.
Mit ihren Schloß- oder Dorfgeistlichen leben die Eavaliere sehr ver¬
traut. Der Verkündiger des Wortes Gottes und Lossprecher der
Sünden darf sogar mit der adeligen Familie an einem Tische speisen,
muß aber vor dein Dessert aufstehen. Er hat einen etwas höheren
Rang, als der Rentmeister und der Bierbrauer. Letzteren nämlich
findet man schon jetzt auf vielen Gütern, bald aber wird er ein stehen¬
der Artikel im Inventarium des Gutes sein. Denn die Adeligen
fangen auch hier zu Lande endlich an einzusehen, daß ein „Handwerk
einen güldenen Boden habe", und daß man nicht blos auf Geld und
Gut vertrauen dürfe. Da der Staatsdienst zu schwierig, die bürgerlichen
Gewerbe zu gemein, der Militärdienst zu langweilig, der Handel zu
mühsam ist, greift man zu einem Geschäfte, das schon von jeher ein
Auskunftsmittel für verkommene Studenten und ein Ideal für dick¬
bäuchige Philister war, — man stiftete Bierbrauereien nach bairtscher
Art. Mit der Anlage der ersten solchen Anstalt auf dem Gute eines
Edelmanns begann ein neuer Abschnitt der westfälischen Adelsgeschtchte.
Der Adel gab dadurch, wie früher in jener denkwürdigen Nacht der
französischen Revolution, seine mittelalterlichen Erinnerungen, seine ro¬
mantischen Träumereien aus, wurde praktisch und schloß sich den
Wünschen und den Bedürfnissen der Nation an. Eine ungeheure Re-
signation, die von dem Geschichtsschreiber noch nicht gehörig gewürdigt
ist. Ein innigeres Verschmelzen mit dem Bürgerstande, als durch
diese That hervorgebracht wurde, ist nicht möglich; das adelige Bier
geht in snccum et 8a>,Ammen des Bürgers, das bürgerliche Geld in
die Kasse des Adels über. Was kann man mehr verlangen. Mit
jedem Rausche, den „Gevatter Schuster und Handschuhmacher" sich
kauft, wächst die Macht und der Einfluß des Adels, und das Selbst¬
bewußtsein und der Muth des Trinkers. Es ist jetzt gewiß auch an
der Zeit, in Westphalen, wie auf dem letzten Landtage petitionirt wurde,
eine Universität zu stiften, da man ja des Bieres in Hülle und Fülle
h<it. Wie würden die Landsmannschaften auf der künftigen Universi¬
tät blühen; — wie feierlich der Landesvater erschallen! Ein herrlicher
Gedanke! Schade nur, daß man ihn bis jetzt noch in das Reich der
Ideale versetzen muß.

Wie man Anspach und Batreuth die preußische Provinz in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/375>, abgerufen am 24.07.2024.