Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem man gegen den Bau der Eisenbahnen eingenommen ist, wi¬
derstrebt man auch der Einführung von Reichsständen. Auf dem letz¬
ten, dem 8. Landtage, hielt der Deputirte des Ritterstandes, Freiherr
von Vincke, Sohn des verstorbenen Oberpräsidenten, eine schon mehr¬
fach bekannt gewordene Rede, worin er die Nothwendigkeit von Reichs¬
ständen begründete. In der sehr lebhaften Debatte über diesen Ge¬
genstand wurde viel über die Eigenthümlichkeiten der rothen Erde,
über die Sitten des alten sächsischen Stammes, über die natürlichen
Vorzüge der Provinz gefabelt, die man durch die Einführung von Reichs-
ständen für gefährdet hielt.

Wir können es noch erleben, daß der westfälische Landtag,
oder wenigstens die Unterhaut desselben, sich der ersten Locomotive,
welche durch's Land dahin fliegt, mit ihrem ganzen Wust von Proto¬
kollen und Berichten entgegenstemmen wird; daß der Stammbaum des
Barons und das Brevier des Priesters sich vereinigen, um das schnau¬
bende Ungethüm, "in dessen Gefolge Atheisten und Communisten in's
Land rücken", zu beschwören.

Da wir denn doch einmal auf den letzten Landtag und die Rede
des Freiherrn von Vincke gekommen sind, so wollen wir doch einige
Perioden aus letzterer mittheilen, die für die westfälischen Zustände
charakteristisch sind, und den ganzen Uebermuth des westfälischen Adels
bekunden, der die Welt nur für sich geschaffen glaubt, für den der
Wald nur deshalb wächst, damit er Hasen darin jagen kann, für den
der Hügel nur deshalb schön und anmuthig liegt, damit er ein Schloß
darauf bauen, für den der Staat nur eine Schaubühne ist, auf welcher
er, der Held der Komödie, mit hohem Kothurne einherschreitet, von
allen Zuschauern ringsumher angestaunt. Der edle Freiherr meint am
Schlüsse seiner Rede, die übrigens viele schlagende Bemerkungen ent¬
hält, und die Gründe, welche schon der Königsberger Jacobi sür die
Verleihung einer Verfassung angeführt hat, noch durch einige, blos
für Westfalen geltende, vermehrte, daß es besonders die Pflicht des
Adels sei, den König an die Erfüllung der Cabinetsordre vom 22. Mai
1815 zu mahnen. "Er sei stolz darauf", meint er, "dem Adel anzu¬
gehören, denn er wisse, daß seit 600 -- 700 Jahren, soweit überhaupt
Urkunden und Geschlechtsregister reichten, seine Vorfahren stets Recht
und Ehre als die Richtschnur ihres Handelns erkannt, und daß sie sich
nicht gescheut hätten, wenn sie diese höchsten Güter des Lebens ge¬
fährdet glaubten, selbst ihren Fürsten entgegen zu treten. Er sei über-


aus dem man gegen den Bau der Eisenbahnen eingenommen ist, wi¬
derstrebt man auch der Einführung von Reichsständen. Auf dem letz¬
ten, dem 8. Landtage, hielt der Deputirte des Ritterstandes, Freiherr
von Vincke, Sohn des verstorbenen Oberpräsidenten, eine schon mehr¬
fach bekannt gewordene Rede, worin er die Nothwendigkeit von Reichs¬
ständen begründete. In der sehr lebhaften Debatte über diesen Ge¬
genstand wurde viel über die Eigenthümlichkeiten der rothen Erde,
über die Sitten des alten sächsischen Stammes, über die natürlichen
Vorzüge der Provinz gefabelt, die man durch die Einführung von Reichs-
ständen für gefährdet hielt.

Wir können es noch erleben, daß der westfälische Landtag,
oder wenigstens die Unterhaut desselben, sich der ersten Locomotive,
welche durch's Land dahin fliegt, mit ihrem ganzen Wust von Proto¬
kollen und Berichten entgegenstemmen wird; daß der Stammbaum des
Barons und das Brevier des Priesters sich vereinigen, um das schnau¬
bende Ungethüm, „in dessen Gefolge Atheisten und Communisten in's
Land rücken", zu beschwören.

Da wir denn doch einmal auf den letzten Landtag und die Rede
des Freiherrn von Vincke gekommen sind, so wollen wir doch einige
Perioden aus letzterer mittheilen, die für die westfälischen Zustände
charakteristisch sind, und den ganzen Uebermuth des westfälischen Adels
bekunden, der die Welt nur für sich geschaffen glaubt, für den der
Wald nur deshalb wächst, damit er Hasen darin jagen kann, für den
der Hügel nur deshalb schön und anmuthig liegt, damit er ein Schloß
darauf bauen, für den der Staat nur eine Schaubühne ist, auf welcher
er, der Held der Komödie, mit hohem Kothurne einherschreitet, von
allen Zuschauern ringsumher angestaunt. Der edle Freiherr meint am
Schlüsse seiner Rede, die übrigens viele schlagende Bemerkungen ent¬
hält, und die Gründe, welche schon der Königsberger Jacobi sür die
Verleihung einer Verfassung angeführt hat, noch durch einige, blos
für Westfalen geltende, vermehrte, daß es besonders die Pflicht des
Adels sei, den König an die Erfüllung der Cabinetsordre vom 22. Mai
1815 zu mahnen. „Er sei stolz darauf", meint er, „dem Adel anzu¬
gehören, denn er wisse, daß seit 600 — 700 Jahren, soweit überhaupt
Urkunden und Geschlechtsregister reichten, seine Vorfahren stets Recht
und Ehre als die Richtschnur ihres Handelns erkannt, und daß sie sich
nicht gescheut hätten, wenn sie diese höchsten Güter des Lebens ge¬
fährdet glaubten, selbst ihren Fürsten entgegen zu treten. Er sei über-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183391"/>
            <p xml:id="ID_1095" prev="#ID_1094"> aus dem man gegen den Bau der Eisenbahnen eingenommen ist, wi¬<lb/>
derstrebt man auch der Einführung von Reichsständen. Auf dem letz¬<lb/>
ten, dem 8. Landtage, hielt der Deputirte des Ritterstandes, Freiherr<lb/>
von Vincke, Sohn des verstorbenen Oberpräsidenten, eine schon mehr¬<lb/>
fach bekannt gewordene Rede, worin er die Nothwendigkeit von Reichs¬<lb/>
ständen begründete. In der sehr lebhaften Debatte über diesen Ge¬<lb/>
genstand wurde viel über die Eigenthümlichkeiten der rothen Erde,<lb/>
über die Sitten des alten sächsischen Stammes, über die natürlichen<lb/>
Vorzüge der Provinz gefabelt, die man durch die Einführung von Reichs-<lb/>
ständen für gefährdet hielt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1096"> Wir können es noch erleben, daß der westfälische Landtag,<lb/>
oder wenigstens die Unterhaut desselben, sich der ersten Locomotive,<lb/>
welche durch's Land dahin fliegt, mit ihrem ganzen Wust von Proto¬<lb/>
kollen und Berichten entgegenstemmen wird; daß der Stammbaum des<lb/>
Barons und das Brevier des Priesters sich vereinigen, um das schnau¬<lb/>
bende Ungethüm, &#x201E;in dessen Gefolge Atheisten und Communisten in's<lb/>
Land rücken", zu beschwören.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1097" next="#ID_1098"> Da wir denn doch einmal auf den letzten Landtag und die Rede<lb/>
des Freiherrn von Vincke gekommen sind, so wollen wir doch einige<lb/>
Perioden aus letzterer mittheilen, die für die westfälischen Zustände<lb/>
charakteristisch sind, und den ganzen Uebermuth des westfälischen Adels<lb/>
bekunden, der die Welt nur für sich geschaffen glaubt, für den der<lb/>
Wald nur deshalb wächst, damit er Hasen darin jagen kann, für den<lb/>
der Hügel nur deshalb schön und anmuthig liegt, damit er ein Schloß<lb/>
darauf bauen, für den der Staat nur eine Schaubühne ist, auf welcher<lb/>
er, der Held der Komödie, mit hohem Kothurne einherschreitet, von<lb/>
allen Zuschauern ringsumher angestaunt. Der edle Freiherr meint am<lb/>
Schlüsse seiner Rede, die übrigens viele schlagende Bemerkungen ent¬<lb/>
hält, und die Gründe, welche schon der Königsberger Jacobi sür die<lb/>
Verleihung einer Verfassung angeführt hat, noch durch einige, blos<lb/>
für Westfalen geltende, vermehrte, daß es besonders die Pflicht des<lb/>
Adels sei, den König an die Erfüllung der Cabinetsordre vom 22. Mai<lb/>
1815 zu mahnen. &#x201E;Er sei stolz darauf", meint er, &#x201E;dem Adel anzu¬<lb/>
gehören, denn er wisse, daß seit 600 &#x2014; 700 Jahren, soweit überhaupt<lb/>
Urkunden und Geschlechtsregister reichten, seine Vorfahren stets Recht<lb/>
und Ehre als die Richtschnur ihres Handelns erkannt, und daß sie sich<lb/>
nicht gescheut hätten, wenn sie diese höchsten Güter des Lebens ge¬<lb/>
fährdet glaubten, selbst ihren Fürsten entgegen zu treten.  Er sei über-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] aus dem man gegen den Bau der Eisenbahnen eingenommen ist, wi¬ derstrebt man auch der Einführung von Reichsständen. Auf dem letz¬ ten, dem 8. Landtage, hielt der Deputirte des Ritterstandes, Freiherr von Vincke, Sohn des verstorbenen Oberpräsidenten, eine schon mehr¬ fach bekannt gewordene Rede, worin er die Nothwendigkeit von Reichs¬ ständen begründete. In der sehr lebhaften Debatte über diesen Ge¬ genstand wurde viel über die Eigenthümlichkeiten der rothen Erde, über die Sitten des alten sächsischen Stammes, über die natürlichen Vorzüge der Provinz gefabelt, die man durch die Einführung von Reichs- ständen für gefährdet hielt. Wir können es noch erleben, daß der westfälische Landtag, oder wenigstens die Unterhaut desselben, sich der ersten Locomotive, welche durch's Land dahin fliegt, mit ihrem ganzen Wust von Proto¬ kollen und Berichten entgegenstemmen wird; daß der Stammbaum des Barons und das Brevier des Priesters sich vereinigen, um das schnau¬ bende Ungethüm, „in dessen Gefolge Atheisten und Communisten in's Land rücken", zu beschwören. Da wir denn doch einmal auf den letzten Landtag und die Rede des Freiherrn von Vincke gekommen sind, so wollen wir doch einige Perioden aus letzterer mittheilen, die für die westfälischen Zustände charakteristisch sind, und den ganzen Uebermuth des westfälischen Adels bekunden, der die Welt nur für sich geschaffen glaubt, für den der Wald nur deshalb wächst, damit er Hasen darin jagen kann, für den der Hügel nur deshalb schön und anmuthig liegt, damit er ein Schloß darauf bauen, für den der Staat nur eine Schaubühne ist, auf welcher er, der Held der Komödie, mit hohem Kothurne einherschreitet, von allen Zuschauern ringsumher angestaunt. Der edle Freiherr meint am Schlüsse seiner Rede, die übrigens viele schlagende Bemerkungen ent¬ hält, und die Gründe, welche schon der Königsberger Jacobi sür die Verleihung einer Verfassung angeführt hat, noch durch einige, blos für Westfalen geltende, vermehrte, daß es besonders die Pflicht des Adels sei, den König an die Erfüllung der Cabinetsordre vom 22. Mai 1815 zu mahnen. „Er sei stolz darauf", meint er, „dem Adel anzu¬ gehören, denn er wisse, daß seit 600 — 700 Jahren, soweit überhaupt Urkunden und Geschlechtsregister reichten, seine Vorfahren stets Recht und Ehre als die Richtschnur ihres Handelns erkannt, und daß sie sich nicht gescheut hätten, wenn sie diese höchsten Güter des Lebens ge¬ fährdet glaubten, selbst ihren Fürsten entgegen zu treten. Er sei über-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/370>, abgerufen am 24.07.2024.