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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Stettill und Königsberg, mit Amsterdam, wie mit Wien in Eisenbahn¬
verbindung gesetzt sein.

Die Folgen dieser Verkehrserleichterungen ahnt man freilich in
der Provinz mehr, als daß man sie deutlich schon einsehen und beur¬
theilen könnte. Der Baller schimpft darüber, daß man seine Aecker
von einander trennt; der Philister, der Käsekrämer, der Gastwirth, der
Tuchhändler meint, der gesteigerte Verkehr würde sich künftig nach den
großen Städten hinziehen, und die kleinen Orte brodlos machen; von
dem ungeheuern Einfluß der Eisenbahnen auf die Bildung, auf die
Gesittung, auf die Politik ahnt hier und da vielleicht nur ein jugend¬
licher Brausekopf etwas, so ein Stück von "Demagogen, Atheisten,
Kommunisten oder maleontenten Referendarien," welchen Leuten der
Rheinische Beobachter die mißvergnügte Sprache der Zeitungen, und
die unbehagliche Stimmung der Provinzen zur Schuld legt. Im All¬
gemeinen herrscht in Westphalen eine ängstliche Spannung: man er¬
wartet "lehr mit peinigender Ungeduld, als mit freudiger Sicherheit
die Zukunft, die auf den Flügeln des Dampfes einherrauschen wird;
man ist besorgt, wie ein Familienvater, der nach Amerika auswandern
will. Man hat sich so fest in die bestehenden, jahrhundertalten Ver¬
hältnisse hereingelebt, daß man, und wohl nicht mit Unrecht, besorgt
ist, in dem neuen Kleide sich nicht behaglich zu fühlen. Besonders die
privilegirten Klassen und unter ihnen der Adel haben kein großes Ver¬
trauen ans die Dinge, welche kommen werden ; man hört in den ad¬
ligen Kreisen lauter Klagen darüber, daß jetzt die "Eigenthümlichkeiten
der Provinz," die Stammeigenschaften der alten Sachsen, die einge-
bornen Sitten und Gebränche der Vorzeit einer schelen, oberflächlichen
Cultur weichen würden. Aber was sind denn das für provinzielle
Eigenheiten, für Stammeigenschaften der alten Sachsen, deren Verlust
so sehr von den Adligen im Münsterlande betrauert wird? Es ist
die bewußtlose Ergebenheit der Banen, gegen den Grundherrn, der
fromme Glaube an den Bischof zu Münster und an die Nonnen des
Pater Goßler. Diese "Stammeigenschaften der alten Sachsen" haben
auf dem letzten westphälischen Landtage die Petitionen um ein Jagdab¬
lösegesetz, um bessere Vertretung des Handels, der Industrie und In¬
telligenz, um Emancipation der Juden, um Besserstellung der Ele¬
mentarlehrer, um Aufhebung des crimirten Gerichtsstandes, -- und
viele andern freisinnigen Petitionen mehr -- fallen lassen, -- kein Wun¬
der, daß der Adel diese Stammeigenschaften der "guten, lieben West¬
phalen" nicht gern verkommen lassen möchte. Aus demselben Grunde,


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Stettill und Königsberg, mit Amsterdam, wie mit Wien in Eisenbahn¬
verbindung gesetzt sein.

Die Folgen dieser Verkehrserleichterungen ahnt man freilich in
der Provinz mehr, als daß man sie deutlich schon einsehen und beur¬
theilen könnte. Der Baller schimpft darüber, daß man seine Aecker
von einander trennt; der Philister, der Käsekrämer, der Gastwirth, der
Tuchhändler meint, der gesteigerte Verkehr würde sich künftig nach den
großen Städten hinziehen, und die kleinen Orte brodlos machen; von
dem ungeheuern Einfluß der Eisenbahnen auf die Bildung, auf die
Gesittung, auf die Politik ahnt hier und da vielleicht nur ein jugend¬
licher Brausekopf etwas, so ein Stück von „Demagogen, Atheisten,
Kommunisten oder maleontenten Referendarien," welchen Leuten der
Rheinische Beobachter die mißvergnügte Sprache der Zeitungen, und
die unbehagliche Stimmung der Provinzen zur Schuld legt. Im All¬
gemeinen herrscht in Westphalen eine ängstliche Spannung: man er¬
wartet »lehr mit peinigender Ungeduld, als mit freudiger Sicherheit
die Zukunft, die auf den Flügeln des Dampfes einherrauschen wird;
man ist besorgt, wie ein Familienvater, der nach Amerika auswandern
will. Man hat sich so fest in die bestehenden, jahrhundertalten Ver¬
hältnisse hereingelebt, daß man, und wohl nicht mit Unrecht, besorgt
ist, in dem neuen Kleide sich nicht behaglich zu fühlen. Besonders die
privilegirten Klassen und unter ihnen der Adel haben kein großes Ver¬
trauen ans die Dinge, welche kommen werden ; man hört in den ad¬
ligen Kreisen lauter Klagen darüber, daß jetzt die „Eigenthümlichkeiten
der Provinz," die Stammeigenschaften der alten Sachsen, die einge-
bornen Sitten und Gebränche der Vorzeit einer schelen, oberflächlichen
Cultur weichen würden. Aber was sind denn das für provinzielle
Eigenheiten, für Stammeigenschaften der alten Sachsen, deren Verlust
so sehr von den Adligen im Münsterlande betrauert wird? Es ist
die bewußtlose Ergebenheit der Banen, gegen den Grundherrn, der
fromme Glaube an den Bischof zu Münster und an die Nonnen des
Pater Goßler. Diese „Stammeigenschaften der alten Sachsen" haben
auf dem letzten westphälischen Landtage die Petitionen um ein Jagdab¬
lösegesetz, um bessere Vertretung des Handels, der Industrie und In¬
telligenz, um Emancipation der Juden, um Besserstellung der Ele¬
mentarlehrer, um Aufhebung des crimirten Gerichtsstandes, — und
viele andern freisinnigen Petitionen mehr — fallen lassen, — kein Wun¬
der, daß der Adel diese Stammeigenschaften der „guten, lieben West¬
phalen" nicht gern verkommen lassen möchte. Aus demselben Grunde,


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[0369] Stettill und Königsberg, mit Amsterdam, wie mit Wien in Eisenbahn¬ verbindung gesetzt sein. Die Folgen dieser Verkehrserleichterungen ahnt man freilich in der Provinz mehr, als daß man sie deutlich schon einsehen und beur¬ theilen könnte. Der Baller schimpft darüber, daß man seine Aecker von einander trennt; der Philister, der Käsekrämer, der Gastwirth, der Tuchhändler meint, der gesteigerte Verkehr würde sich künftig nach den großen Städten hinziehen, und die kleinen Orte brodlos machen; von dem ungeheuern Einfluß der Eisenbahnen auf die Bildung, auf die Gesittung, auf die Politik ahnt hier und da vielleicht nur ein jugend¬ licher Brausekopf etwas, so ein Stück von „Demagogen, Atheisten, Kommunisten oder maleontenten Referendarien," welchen Leuten der Rheinische Beobachter die mißvergnügte Sprache der Zeitungen, und die unbehagliche Stimmung der Provinzen zur Schuld legt. Im All¬ gemeinen herrscht in Westphalen eine ängstliche Spannung: man er¬ wartet »lehr mit peinigender Ungeduld, als mit freudiger Sicherheit die Zukunft, die auf den Flügeln des Dampfes einherrauschen wird; man ist besorgt, wie ein Familienvater, der nach Amerika auswandern will. Man hat sich so fest in die bestehenden, jahrhundertalten Ver¬ hältnisse hereingelebt, daß man, und wohl nicht mit Unrecht, besorgt ist, in dem neuen Kleide sich nicht behaglich zu fühlen. Besonders die privilegirten Klassen und unter ihnen der Adel haben kein großes Ver¬ trauen ans die Dinge, welche kommen werden ; man hört in den ad¬ ligen Kreisen lauter Klagen darüber, daß jetzt die „Eigenthümlichkeiten der Provinz," die Stammeigenschaften der alten Sachsen, die einge- bornen Sitten und Gebränche der Vorzeit einer schelen, oberflächlichen Cultur weichen würden. Aber was sind denn das für provinzielle Eigenheiten, für Stammeigenschaften der alten Sachsen, deren Verlust so sehr von den Adligen im Münsterlande betrauert wird? Es ist die bewußtlose Ergebenheit der Banen, gegen den Grundherrn, der fromme Glaube an den Bischof zu Münster und an die Nonnen des Pater Goßler. Diese „Stammeigenschaften der alten Sachsen" haben auf dem letzten westphälischen Landtage die Petitionen um ein Jagdab¬ lösegesetz, um bessere Vertretung des Handels, der Industrie und In¬ telligenz, um Emancipation der Juden, um Besserstellung der Ele¬ mentarlehrer, um Aufhebung des crimirten Gerichtsstandes, — und viele andern freisinnigen Petitionen mehr — fallen lassen, — kein Wun¬ der, daß der Adel diese Stammeigenschaften der „guten, lieben West¬ phalen" nicht gern verkommen lassen möchte. Aus demselben Grunde, 49»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/369>, abgerufen am 24.07.2024.