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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ten das Angelus und Gruppen von Spaziergängern gehen und kom¬
men auf der großen Straße. Der Schulmeister grüßt seine neue Re¬
sidenz aus der Ferne, und bei den, heiteren Anblick dieser Gegend fühlt
er sich von Freude durchdrungen. Dieses festtägliche Ansehen, dieses
Läuten der Glocken, Alles entzückt ihn; es scheint ihm beinahe, als
ob das Dorf die Stunde seiner Ankunft kenne und als ob das Glocken¬
spiel ihm zu Ehren ertöne. Warten wir bis morgen, welcher Con¬
trast zwischen diesem ehrlichen Enthusiasmus und dem widerwärtigen
Empfang, den man ihm bereitet! Diese guten Leute von Nordstetten
haben schwere Fehler, und Auerbach hat durchaus keine süßliche Ekloge
schreiben wollen. Der Schulmeister ist in Nordstetten fremd, d. h. er
geräth in feindliches Land. Dazu kommt, daß der arme, junge Mann
in Lauterbach geboren ist, und daß über die Bewohner von Lauter¬
bach ein lustiges Volkslied vorhanden ist. Dieses Spottlied wird ihm
in allen Tonleitern vorgesungen werden, ihn, der bet den Tönen der
gastlichen Glocke so süß träumte. Er wird sich jedoch bemühen, diese
furchtbare Opposition zu beschwören; er wird dem abgedankter Schul¬
meister, den schlausten, alten Baktern seinen Besuch machen; er wird
die boshaften Reden und die groben Spöttereien mit guter Miene er¬
tragen. Sein Tagebuch, dem er jeden Abend seine geheimsten Ein¬
drücke anvertraut, wird uns sehr kostbare Schätze bei diesem offenen,
hingebungsvollen, jungen Menschen enthüllen; er wird hier seine ganze
Seele in zwanglosen Geständnissen ausschütten. Und dann spielt er am
Sonntag die Orgel. Die Musik ist einmal heilige Zuflucht für dieses
einfache und unwillkürlich mystische Gemüth. Dieses ganze Gemälde
ist von vollendeter Eleganz und Zartheit. Eines Abends stimmt eine
Gruppe von jungen Leuten unter den Fenstern des Schulmeisters das
berüchtigte Lauterbacher Lied an; der Schulmeister nimmt betrübt lind
lächelnd seine Violine lind begleitet das Spottlied bis zu Ende. So
viel Sanftmuth, so viel Gutmüthigkeit mußten endlich die Widerspen¬
stigsten bezähmen, und dem Schulmeister gelingt es endlich. Das Dorf
wird von ihm moralisirt werden; die, welche ihn am meisten beleidig¬
ten, werden morgen seine besten Freunde sein, und er selbst, nachdem
er oft geschworen, er werde sobald als möglich diese böse Gegend ver¬
lassen, gewinnt sie lieb um all' des Guten willen, das er daselbst stif¬
tet. Eine reine Liebe tritt hinzu und gibt ihm Kräfte. Die Stiftung
einer Gesangfchule, eines Lesezirkels, nebst den Widerständen, über die
der Schulmeister siegt, sind pikante Einzelnheiten. Endlich wird seine
Hochzeit mit Hedwig wie ein Familienfest gefeiert. Ein Winter hatte


ten das Angelus und Gruppen von Spaziergängern gehen und kom¬
men auf der großen Straße. Der Schulmeister grüßt seine neue Re¬
sidenz aus der Ferne, und bei den, heiteren Anblick dieser Gegend fühlt
er sich von Freude durchdrungen. Dieses festtägliche Ansehen, dieses
Läuten der Glocken, Alles entzückt ihn; es scheint ihm beinahe, als
ob das Dorf die Stunde seiner Ankunft kenne und als ob das Glocken¬
spiel ihm zu Ehren ertöne. Warten wir bis morgen, welcher Con¬
trast zwischen diesem ehrlichen Enthusiasmus und dem widerwärtigen
Empfang, den man ihm bereitet! Diese guten Leute von Nordstetten
haben schwere Fehler, und Auerbach hat durchaus keine süßliche Ekloge
schreiben wollen. Der Schulmeister ist in Nordstetten fremd, d. h. er
geräth in feindliches Land. Dazu kommt, daß der arme, junge Mann
in Lauterbach geboren ist, und daß über die Bewohner von Lauter¬
bach ein lustiges Volkslied vorhanden ist. Dieses Spottlied wird ihm
in allen Tonleitern vorgesungen werden, ihn, der bet den Tönen der
gastlichen Glocke so süß träumte. Er wird sich jedoch bemühen, diese
furchtbare Opposition zu beschwören; er wird dem abgedankter Schul¬
meister, den schlausten, alten Baktern seinen Besuch machen; er wird
die boshaften Reden und die groben Spöttereien mit guter Miene er¬
tragen. Sein Tagebuch, dem er jeden Abend seine geheimsten Ein¬
drücke anvertraut, wird uns sehr kostbare Schätze bei diesem offenen,
hingebungsvollen, jungen Menschen enthüllen; er wird hier seine ganze
Seele in zwanglosen Geständnissen ausschütten. Und dann spielt er am
Sonntag die Orgel. Die Musik ist einmal heilige Zuflucht für dieses
einfache und unwillkürlich mystische Gemüth. Dieses ganze Gemälde
ist von vollendeter Eleganz und Zartheit. Eines Abends stimmt eine
Gruppe von jungen Leuten unter den Fenstern des Schulmeisters das
berüchtigte Lauterbacher Lied an; der Schulmeister nimmt betrübt lind
lächelnd seine Violine lind begleitet das Spottlied bis zu Ende. So
viel Sanftmuth, so viel Gutmüthigkeit mußten endlich die Widerspen¬
stigsten bezähmen, und dem Schulmeister gelingt es endlich. Das Dorf
wird von ihm moralisirt werden; die, welche ihn am meisten beleidig¬
ten, werden morgen seine besten Freunde sein, und er selbst, nachdem
er oft geschworen, er werde sobald als möglich diese böse Gegend ver¬
lassen, gewinnt sie lieb um all' des Guten willen, das er daselbst stif¬
tet. Eine reine Liebe tritt hinzu und gibt ihm Kräfte. Die Stiftung
einer Gesangfchule, eines Lesezirkels, nebst den Widerständen, über die
der Schulmeister siegt, sind pikante Einzelnheiten. Endlich wird seine
Hochzeit mit Hedwig wie ein Familienfest gefeiert. Ein Winter hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/36>, abgerufen am 24.07.2024.