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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ven Fremden genügt, um die Herzen zu beruhigen und eine edlere
Saat darin auszustreuen.

Man hat den Dorfpfarrer oft gemalt: Herr von Lamartine hat
ihn in Jocelyn gefeiert; aber wer hat den Schulmeister besungen, wer
hat seinen frömmelt Einfluß geschildert, wie Auerbach? Der Schul-
meister Sainte-Beuves, Monsieur Jean, nimmt eitlen Platz für sich ein,
mit seiner jansenistischen Strenge, mit dem schmerzlichen Geschick, das
ihm der Dichter gegeben, lind ich möchte nicht den bescheidenen Orga¬
nisten von Nordstetten mit dem unglücklichen Sohn Jean Jacques
Rousseau's vergleichen. Der Schützling Auerbach's erinnert mich, wenn
dies nicht zuviel gesagt ist, hier und da an die poetische Person La¬
martine's; ich will nicht die Verlegenheiten des Schulmeisters mit den
zerreißenden Schmerzen des Geliebten Laurencens vergleichen; doch
was ihm an Größe fehlt, ersetzt er durch Grazie und Zartheit. Die
Erzählung Auerbach's enthält ein Gemälde, das viel Aehnlichkeit hat
mit der glänzenden Episode der "Labourcurs," aber natürlich von sehr
verschiedener Ausführung. Jocelyn sieht von der Spitze des Berges
den Arbeitern auf der Ebene zu, und während die Pflugschar die
Erde auswählt, während die Saat in die Furche niedergelegt wird,
besingt er in glänzenden Hymnen die fruchtbare Feldarbeit, und den
Boden, der den menschlichen Schweiß trinkt. Der Schulmeister spaziert
auf dem Felde, am Saum des Waldes; auch er betrachtet die Ochsen,
die Pflüge, die sich verlängernde Furche; wenn er nicht singt wie
Jocelyn, so regt doch dieses Schauspiel der Arbeit, auch in ihm die
schönsten Betrachtungen über das Leben, die Seele, das Schicksal des
Menschen an. Seine Philosophie vermag sich nicht in glänzenden
Strophen zu entfalten; er gibt uns eine Reihe von Maximen und
Betrachtungen, zu denen die verschiedenen Züge des vor ihm liegenden
Bildes den Tert geben. Ob Allerhand an das Gedicht Lamartine's
dachte, als er die bescheidene, rührende Chronik des lauterbacher Schul¬
meisters schrieb? Wir wissen es nicht; doch diese Aehnlichkeit schadet
durchaus nicht der Originalität seines Werkes; wenn er sich Lamar¬
tine's erinnert hat, so ist es ihm gelungen, sich die Schöpfung des
Dichters mit unbestreitbarer Wahrheit anzueignen und auf seiner Lein¬
wand eine Figur zu schaffen, die ihm gehört.

Ich bedaure, daß der Dichter sich nicht ganz auf die lachenden
Gemälde, in denen er Meister ist, beschränkt hat; er hat vielleicht
Eintönigkeit gefürchtet, und um seiner Sammlung mehr Mannichfal-
tigkeit zu geben, hat er hier und da zu künstlichen Empfindungen und


ven Fremden genügt, um die Herzen zu beruhigen und eine edlere
Saat darin auszustreuen.

Man hat den Dorfpfarrer oft gemalt: Herr von Lamartine hat
ihn in Jocelyn gefeiert; aber wer hat den Schulmeister besungen, wer
hat seinen frömmelt Einfluß geschildert, wie Auerbach? Der Schul-
meister Sainte-Beuves, Monsieur Jean, nimmt eitlen Platz für sich ein,
mit seiner jansenistischen Strenge, mit dem schmerzlichen Geschick, das
ihm der Dichter gegeben, lind ich möchte nicht den bescheidenen Orga¬
nisten von Nordstetten mit dem unglücklichen Sohn Jean Jacques
Rousseau's vergleichen. Der Schützling Auerbach's erinnert mich, wenn
dies nicht zuviel gesagt ist, hier und da an die poetische Person La¬
martine's; ich will nicht die Verlegenheiten des Schulmeisters mit den
zerreißenden Schmerzen des Geliebten Laurencens vergleichen; doch
was ihm an Größe fehlt, ersetzt er durch Grazie und Zartheit. Die
Erzählung Auerbach's enthält ein Gemälde, das viel Aehnlichkeit hat
mit der glänzenden Episode der „Labourcurs," aber natürlich von sehr
verschiedener Ausführung. Jocelyn sieht von der Spitze des Berges
den Arbeitern auf der Ebene zu, und während die Pflugschar die
Erde auswählt, während die Saat in die Furche niedergelegt wird,
besingt er in glänzenden Hymnen die fruchtbare Feldarbeit, und den
Boden, der den menschlichen Schweiß trinkt. Der Schulmeister spaziert
auf dem Felde, am Saum des Waldes; auch er betrachtet die Ochsen,
die Pflüge, die sich verlängernde Furche; wenn er nicht singt wie
Jocelyn, so regt doch dieses Schauspiel der Arbeit, auch in ihm die
schönsten Betrachtungen über das Leben, die Seele, das Schicksal des
Menschen an. Seine Philosophie vermag sich nicht in glänzenden
Strophen zu entfalten; er gibt uns eine Reihe von Maximen und
Betrachtungen, zu denen die verschiedenen Züge des vor ihm liegenden
Bildes den Tert geben. Ob Allerhand an das Gedicht Lamartine's
dachte, als er die bescheidene, rührende Chronik des lauterbacher Schul¬
meisters schrieb? Wir wissen es nicht; doch diese Aehnlichkeit schadet
durchaus nicht der Originalität seines Werkes; wenn er sich Lamar¬
tine's erinnert hat, so ist es ihm gelungen, sich die Schöpfung des
Dichters mit unbestreitbarer Wahrheit anzueignen und auf seiner Lein¬
wand eine Figur zu schaffen, die ihm gehört.

Ich bedaure, daß der Dichter sich nicht ganz auf die lachenden
Gemälde, in denen er Meister ist, beschränkt hat; er hat vielleicht
Eintönigkeit gefürchtet, und um seiner Sammlung mehr Mannichfal-
tigkeit zu geben, hat er hier und da zu künstlichen Empfindungen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/37>, abgerufen am 24.07.2024.