Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und so oft über die geographische Ignoranz der Franzosen, welche zwar
ihre 86 Departements mit allen Hauptorten, Flüssen, Erwerbs- und
Nahrungszweigen ganz genau auswendig lernen, aber die Hauptstädte
der deutschen Staaten 17. Ranges sündlich verwechseln, und doch wis¬
sen auch wir von ihrem inneren Leben im Grunde sehr wenig. I-.es
pAltieulieis mit uller et venu-, til, s>l>ne>80s"til"; no vo^u^e ^,^s/^
sagt I. I. Rousseau. -- Freilich die Straßen von Paris, die Tanz¬
böden, die anderen Lustorte, <^die!>/, den .Irtrdiu nu I^uxomKcmrg' ken¬
nen wir schon aus den Feuilleton-Romanen (sür welche in Paris
übrigens kein Mensch so lebhaftes Interesse nimmt, als etwa der ge¬
bildete Leipziger und Berliner!), wie wir in die Schlupfwinkel der
Londoner City durch Boz--Dickens eingeführt sind, -- aber was wissen
wir sonst noch? -- In den ersten 30 er Jahren hatte jedes deutsche
Deputirten-Kämmerlein seine Odilon-Barrot's, Mauguin's, jedes Staat¬
lein sein Polignac'chen, die Journalisten-Verschwörung ihren Armand
Carrel u. s. w. -- Ueber diese Lächerlichkeit sind wir nur dadurch
hinausgekommen, daß die ganze damalige Aufregung erfolglos ein¬
schlief; aber im Verständniß ver freieren Politik haben wir keine
bedeutenden, weiteren Fortschritte gemacht. -- Die französische Oppo¬
sition, welche im Jahre der Gnade 1830 so plötzlich und überraschend
kühn von den Journalen ausging, ist seitdem g rö ß t en es el l 6 in ei¬
nen gewissen ungefährlicher Liberalismus umgeschlagen (das
kennen wir ja wohl!), der selbst auf den Kathedern nistet. "O'est <w
l)lmuvini8me!" wie man in Paris sagt. --

Viele doctrinaire Professoren, z. B. früher auch Guizot, dann
Rossi wohl am stärksten, folgen dem lockenden Vorbilde des -- trotz
seiner Geistlosigkeit -- bis an sein seliges Lebensende, als Hanpr
der Schule gefeierten, Royer-Collard, den dürrsten Constitutionalis-
mus s I-l Hegel theoretisch zu construiren. Die Theilung und
Mäßigung der Gewalten, die Olmite-of>its, Freiheit der Person und
des Eigenthums, der Sieg der öffentlichen Meinung, u. s. w. --- das
Alles ist wohl recht schön und gut, und eS wäre schon unendlich viel,
wenn wir es in Deutschland nur annäherungsweise errungen hätten,
aber für ein autonomes, politisch-selbstbewußtes Volk, bedürfen solche
Phrasen, denen der enthusiastische Student Beifall klatscht, der nä¬
heren Bestimmung. Die hohle Begeisterung, der unreife, jugend¬
liche Enthusiasmus, denen der beifallsfüchtige Pariser Professor huldigt,
werden freilich am leichtesten durch unbestimmte, aber wohltönende Ne"
densarten gesteigert und ausgebeutet, aber die Aufgabe des erfahrenen


und so oft über die geographische Ignoranz der Franzosen, welche zwar
ihre 86 Departements mit allen Hauptorten, Flüssen, Erwerbs- und
Nahrungszweigen ganz genau auswendig lernen, aber die Hauptstädte
der deutschen Staaten 17. Ranges sündlich verwechseln, und doch wis¬
sen auch wir von ihrem inneren Leben im Grunde sehr wenig. I-.es
pAltieulieis mit uller et venu-, til, s>l>ne>80s»til«; no vo^u^e ^,^s/^
sagt I. I. Rousseau. — Freilich die Straßen von Paris, die Tanz¬
böden, die anderen Lustorte, <^die!>/, den .Irtrdiu nu I^uxomKcmrg' ken¬
nen wir schon aus den Feuilleton-Romanen (sür welche in Paris
übrigens kein Mensch so lebhaftes Interesse nimmt, als etwa der ge¬
bildete Leipziger und Berliner!), wie wir in die Schlupfwinkel der
Londoner City durch Boz—Dickens eingeführt sind, — aber was wissen
wir sonst noch? — In den ersten 30 er Jahren hatte jedes deutsche
Deputirten-Kämmerlein seine Odilon-Barrot's, Mauguin's, jedes Staat¬
lein sein Polignac'chen, die Journalisten-Verschwörung ihren Armand
Carrel u. s. w. — Ueber diese Lächerlichkeit sind wir nur dadurch
hinausgekommen, daß die ganze damalige Aufregung erfolglos ein¬
schlief; aber im Verständniß ver freieren Politik haben wir keine
bedeutenden, weiteren Fortschritte gemacht. — Die französische Oppo¬
sition, welche im Jahre der Gnade 1830 so plötzlich und überraschend
kühn von den Journalen ausging, ist seitdem g rö ß t en es el l 6 in ei¬
nen gewissen ungefährlicher Liberalismus umgeschlagen (das
kennen wir ja wohl!), der selbst auf den Kathedern nistet. „O'est <w
l)lmuvini8me!" wie man in Paris sagt. —

Viele doctrinaire Professoren, z. B. früher auch Guizot, dann
Rossi wohl am stärksten, folgen dem lockenden Vorbilde des — trotz
seiner Geistlosigkeit — bis an sein seliges Lebensende, als Hanpr
der Schule gefeierten, Royer-Collard, den dürrsten Constitutionalis-
mus s I-l Hegel theoretisch zu construiren. Die Theilung und
Mäßigung der Gewalten, die Olmite-of>its, Freiheit der Person und
des Eigenthums, der Sieg der öffentlichen Meinung, u. s. w. —- das
Alles ist wohl recht schön und gut, und eS wäre schon unendlich viel,
wenn wir es in Deutschland nur annäherungsweise errungen hätten,
aber für ein autonomes, politisch-selbstbewußtes Volk, bedürfen solche
Phrasen, denen der enthusiastische Student Beifall klatscht, der nä¬
heren Bestimmung. Die hohle Begeisterung, der unreife, jugend¬
liche Enthusiasmus, denen der beifallsfüchtige Pariser Professor huldigt,
werden freilich am leichtesten durch unbestimmte, aber wohltönende Ne«
densarten gesteigert und ausgebeutet, aber die Aufgabe des erfahrenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183349"/>
          <p xml:id="ID_977" prev="#ID_976"> und so oft über die geographische Ignoranz der Franzosen, welche zwar<lb/>
ihre 86 Departements mit allen Hauptorten, Flüssen, Erwerbs- und<lb/>
Nahrungszweigen ganz genau auswendig lernen, aber die Hauptstädte<lb/>
der deutschen Staaten 17. Ranges sündlich verwechseln, und doch wis¬<lb/>
sen auch wir von ihrem inneren Leben im Grunde sehr wenig. I-.es<lb/>
pAltieulieis mit uller et venu-, til, s&gt;l&gt;ne&gt;80s»til«; no vo^u^e ^,^s/^<lb/>
sagt I. I. Rousseau. &#x2014; Freilich die Straßen von Paris, die Tanz¬<lb/>
böden, die anderen Lustorte, &lt;^die!&gt;/, den .Irtrdiu nu I^uxomKcmrg' ken¬<lb/>
nen wir schon aus den Feuilleton-Romanen (sür welche in Paris<lb/>
übrigens kein Mensch so lebhaftes Interesse nimmt, als etwa der ge¬<lb/>
bildete Leipziger und Berliner!), wie wir in die Schlupfwinkel der<lb/>
Londoner City durch Boz&#x2014;Dickens eingeführt sind, &#x2014; aber was wissen<lb/>
wir sonst noch? &#x2014; In den ersten 30 er Jahren hatte jedes deutsche<lb/>
Deputirten-Kämmerlein seine Odilon-Barrot's, Mauguin's, jedes Staat¬<lb/>
lein sein Polignac'chen, die Journalisten-Verschwörung ihren Armand<lb/>
Carrel u. s. w. &#x2014; Ueber diese Lächerlichkeit sind wir nur dadurch<lb/>
hinausgekommen, daß die ganze damalige Aufregung erfolglos ein¬<lb/>
schlief; aber im Verständniß ver freieren Politik haben wir keine<lb/>
bedeutenden, weiteren Fortschritte gemacht. &#x2014; Die französische Oppo¬<lb/>
sition, welche im Jahre der Gnade 1830 so plötzlich und überraschend<lb/>
kühn von den Journalen ausging, ist seitdem g rö ß t en es el l 6 in ei¬<lb/>
nen gewissen ungefährlicher Liberalismus umgeschlagen (das<lb/>
kennen wir ja wohl!), der selbst auf den Kathedern nistet. &#x201E;O'est &lt;w<lb/>
l)lmuvini8me!" wie man in Paris sagt. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978" next="#ID_979"> Viele doctrinaire Professoren, z. B. früher auch Guizot, dann<lb/>
Rossi wohl am stärksten, folgen dem lockenden Vorbilde des &#x2014; trotz<lb/>
seiner Geistlosigkeit &#x2014; bis an sein seliges Lebensende, als Hanpr<lb/>
der Schule gefeierten, Royer-Collard, den dürrsten Constitutionalis-<lb/>
mus s I-l Hegel theoretisch zu construiren. Die Theilung und<lb/>
Mäßigung der Gewalten, die Olmite-of&gt;its, Freiheit der Person und<lb/>
des Eigenthums, der Sieg der öffentlichen Meinung, u. s. w. &#x2014;- das<lb/>
Alles ist wohl recht schön und gut, und eS wäre schon unendlich viel,<lb/>
wenn wir es in Deutschland nur annäherungsweise errungen hätten,<lb/>
aber für ein autonomes, politisch-selbstbewußtes Volk, bedürfen solche<lb/>
Phrasen, denen der enthusiastische Student Beifall klatscht, der nä¬<lb/>
heren Bestimmung. Die hohle Begeisterung, der unreife, jugend¬<lb/>
liche Enthusiasmus, denen der beifallsfüchtige Pariser Professor huldigt,<lb/>
werden freilich am leichtesten durch unbestimmte, aber wohltönende Ne«<lb/>
densarten gesteigert und ausgebeutet, aber die Aufgabe des erfahrenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] und so oft über die geographische Ignoranz der Franzosen, welche zwar ihre 86 Departements mit allen Hauptorten, Flüssen, Erwerbs- und Nahrungszweigen ganz genau auswendig lernen, aber die Hauptstädte der deutschen Staaten 17. Ranges sündlich verwechseln, und doch wis¬ sen auch wir von ihrem inneren Leben im Grunde sehr wenig. I-.es pAltieulieis mit uller et venu-, til, s>l>ne>80s»til«; no vo^u^e ^,^s/^ sagt I. I. Rousseau. — Freilich die Straßen von Paris, die Tanz¬ böden, die anderen Lustorte, <^die!>/, den .Irtrdiu nu I^uxomKcmrg' ken¬ nen wir schon aus den Feuilleton-Romanen (sür welche in Paris übrigens kein Mensch so lebhaftes Interesse nimmt, als etwa der ge¬ bildete Leipziger und Berliner!), wie wir in die Schlupfwinkel der Londoner City durch Boz—Dickens eingeführt sind, — aber was wissen wir sonst noch? — In den ersten 30 er Jahren hatte jedes deutsche Deputirten-Kämmerlein seine Odilon-Barrot's, Mauguin's, jedes Staat¬ lein sein Polignac'chen, die Journalisten-Verschwörung ihren Armand Carrel u. s. w. — Ueber diese Lächerlichkeit sind wir nur dadurch hinausgekommen, daß die ganze damalige Aufregung erfolglos ein¬ schlief; aber im Verständniß ver freieren Politik haben wir keine bedeutenden, weiteren Fortschritte gemacht. — Die französische Oppo¬ sition, welche im Jahre der Gnade 1830 so plötzlich und überraschend kühn von den Journalen ausging, ist seitdem g rö ß t en es el l 6 in ei¬ nen gewissen ungefährlicher Liberalismus umgeschlagen (das kennen wir ja wohl!), der selbst auf den Kathedern nistet. „O'est <w l)lmuvini8me!" wie man in Paris sagt. — Viele doctrinaire Professoren, z. B. früher auch Guizot, dann Rossi wohl am stärksten, folgen dem lockenden Vorbilde des — trotz seiner Geistlosigkeit — bis an sein seliges Lebensende, als Hanpr der Schule gefeierten, Royer-Collard, den dürrsten Constitutionalis- mus s I-l Hegel theoretisch zu construiren. Die Theilung und Mäßigung der Gewalten, die Olmite-of>its, Freiheit der Person und des Eigenthums, der Sieg der öffentlichen Meinung, u. s. w. —- das Alles ist wohl recht schön und gut, und eS wäre schon unendlich viel, wenn wir es in Deutschland nur annäherungsweise errungen hätten, aber für ein autonomes, politisch-selbstbewußtes Volk, bedürfen solche Phrasen, denen der enthusiastische Student Beifall klatscht, der nä¬ heren Bestimmung. Die hohle Begeisterung, der unreife, jugend¬ liche Enthusiasmus, denen der beifallsfüchtige Pariser Professor huldigt, werden freilich am leichtesten durch unbestimmte, aber wohltönende Ne« densarten gesteigert und ausgebeutet, aber die Aufgabe des erfahrenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/328>, abgerufen am 24.07.2024.