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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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und kälteren Mannes wäre es grade, die bestimmte Einsicht in die
objective Welt an die Stelle des blinden Gefühls treten zu lassen. Jene
schönen Phrasen haben so viel unglückliche Aber im Gefolge! Nennt
sich doch auch Thiers ein Kind der Revolution, weil er ein Kind des
Volks ist, und derselbe Thiers steht an der Wiege der Septemberge-
setze, des Embastillementö von Paris, tritt der Wahlreform in den
Weg und intriguirt I.l 'I'"II"<i! -- Die Theilung der Gewal¬
ten unter dem unverantwortlichen Regenten in dem centralsirten
Staate ist von der scheußlichsten Administrativ--Willkür begleitet, die
manchmal sogar dem Deutschen auffällt, und, was wohl noch ärger
ist, von der demüthigendsten Bevormundung der absolut absetzbaren
Beamten, die Freiheit des Eigenthums und die Herrschaft der öffentli¬
chen Meinung (abgesehen von den perfiden September-Gesetzen und
ihrer noch perfideren Auslegung von den Cautionen und anderem
geldariftvkratischen Spuk!) -- sie hängen mit einem gewaltig hohen
Eensus zusammen, der nur eine auserwählte Kaste an den staats¬
bürgerlichen Rechten Theil nehmen läßt. Und was soll die Otmrte-
vvi-ne, wenn sie keine Fortbildung und Entwickelung zuläßt, wenn die
Kammer nichts für das Volk thut?! -- Oder will der constitutio-
nelle Staat etwa, wie in Hegel's Rechtsphilosophie, nur sich selber,
als letzte und höchste Gestaltung des praktischen Geistes?! --

Das französische Wahlgesetz ist übrigens in jeder Hinsicht eins
der schlechtesten Machwerke der neueren Gesetzgebungskünftelei. Eine
vortreffliche Broschüre, die also wohl nicht übersetzt werden wird,
hat das schlagend nachgewiesen, sie ist von Chr. Lesseps, dem
Bruder des bekannten französischen Konsuls in Barcelona, kürzlich erst
herausgegeben worden, und heißt: i"u I><>" so"" "ur I-,, lui
ki'tülvotimi." Der l>v" muß -- nach den vorgelegten Beweisen
-- nothwendig dem Herrn Lesseps zugeben, daß -- dem Gesetz von
183t zufolge -- durchaus kein festes Princip die Wahlen be¬
herrscht, außer etwa dem der Willkür, daß in der Wahlkammer des Reichs
weder die Majorität des Volkes, noch die der. Wähler selbst, nicht
einmal die des Reichthums, geschweige die der Intelligenz vertreten
ist. Von den 459 Wahl-Collegien wählen 30 der unbedeutendsten,
jedes den Deputirten mit durchschnittlich 167 Stimmen, während in
den 22 bedeutendsten Wahl-Collegien durchschnittlich ,13,46 Wähler auf
einen Deputirten kommen. Auf diese Weise führt Cap. II. der er¬
wähnten, sehr scharfsinnig berechnenden Schrift aus, daß: "1^ mino-
rit^ <I,i ein'us vloctmick "vmmo !.t mnjoritv an corps pitrlitmen-


und kälteren Mannes wäre es grade, die bestimmte Einsicht in die
objective Welt an die Stelle des blinden Gefühls treten zu lassen. Jene
schönen Phrasen haben so viel unglückliche Aber im Gefolge! Nennt
sich doch auch Thiers ein Kind der Revolution, weil er ein Kind des
Volks ist, und derselbe Thiers steht an der Wiege der Septemberge-
setze, des Embastillementö von Paris, tritt der Wahlreform in den
Weg und intriguirt I.l 'I'»II«<i! — Die Theilung der Gewal¬
ten unter dem unverantwortlichen Regenten in dem centralsirten
Staate ist von der scheußlichsten Administrativ--Willkür begleitet, die
manchmal sogar dem Deutschen auffällt, und, was wohl noch ärger
ist, von der demüthigendsten Bevormundung der absolut absetzbaren
Beamten, die Freiheit des Eigenthums und die Herrschaft der öffentli¬
chen Meinung (abgesehen von den perfiden September-Gesetzen und
ihrer noch perfideren Auslegung von den Cautionen und anderem
geldariftvkratischen Spuk!) — sie hängen mit einem gewaltig hohen
Eensus zusammen, der nur eine auserwählte Kaste an den staats¬
bürgerlichen Rechten Theil nehmen läßt. Und was soll die Otmrte-
vvi-ne, wenn sie keine Fortbildung und Entwickelung zuläßt, wenn die
Kammer nichts für das Volk thut?! — Oder will der constitutio-
nelle Staat etwa, wie in Hegel's Rechtsphilosophie, nur sich selber,
als letzte und höchste Gestaltung des praktischen Geistes?! —

Das französische Wahlgesetz ist übrigens in jeder Hinsicht eins
der schlechtesten Machwerke der neueren Gesetzgebungskünftelei. Eine
vortreffliche Broschüre, die also wohl nicht übersetzt werden wird,
hat das schlagend nachgewiesen, sie ist von Chr. Lesseps, dem
Bruder des bekannten französischen Konsuls in Barcelona, kürzlich erst
herausgegeben worden, und heißt: i»u I><>» so»« «ur I-,, lui
ki'tülvotimi." Der l>v» muß — nach den vorgelegten Beweisen
— nothwendig dem Herrn Lesseps zugeben, daß — dem Gesetz von
183t zufolge — durchaus kein festes Princip die Wahlen be¬
herrscht, außer etwa dem der Willkür, daß in der Wahlkammer des Reichs
weder die Majorität des Volkes, noch die der. Wähler selbst, nicht
einmal die des Reichthums, geschweige die der Intelligenz vertreten
ist. Von den 459 Wahl-Collegien wählen 30 der unbedeutendsten,
jedes den Deputirten mit durchschnittlich 167 Stimmen, während in
den 22 bedeutendsten Wahl-Collegien durchschnittlich ,13,46 Wähler auf
einen Deputirten kommen. Auf diese Weise führt Cap. II. der er¬
wähnten, sehr scharfsinnig berechnenden Schrift aus, daß: „1^ mino-
rit^ <I,i ein'us vloctmick »vmmo !.t mnjoritv an corps pitrlitmen-


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[0329] und kälteren Mannes wäre es grade, die bestimmte Einsicht in die objective Welt an die Stelle des blinden Gefühls treten zu lassen. Jene schönen Phrasen haben so viel unglückliche Aber im Gefolge! Nennt sich doch auch Thiers ein Kind der Revolution, weil er ein Kind des Volks ist, und derselbe Thiers steht an der Wiege der Septemberge- setze, des Embastillementö von Paris, tritt der Wahlreform in den Weg und intriguirt I.l 'I'»II«<i! — Die Theilung der Gewal¬ ten unter dem unverantwortlichen Regenten in dem centralsirten Staate ist von der scheußlichsten Administrativ--Willkür begleitet, die manchmal sogar dem Deutschen auffällt, und, was wohl noch ärger ist, von der demüthigendsten Bevormundung der absolut absetzbaren Beamten, die Freiheit des Eigenthums und die Herrschaft der öffentli¬ chen Meinung (abgesehen von den perfiden September-Gesetzen und ihrer noch perfideren Auslegung von den Cautionen und anderem geldariftvkratischen Spuk!) — sie hängen mit einem gewaltig hohen Eensus zusammen, der nur eine auserwählte Kaste an den staats¬ bürgerlichen Rechten Theil nehmen läßt. Und was soll die Otmrte- vvi-ne, wenn sie keine Fortbildung und Entwickelung zuläßt, wenn die Kammer nichts für das Volk thut?! — Oder will der constitutio- nelle Staat etwa, wie in Hegel's Rechtsphilosophie, nur sich selber, als letzte und höchste Gestaltung des praktischen Geistes?! — Das französische Wahlgesetz ist übrigens in jeder Hinsicht eins der schlechtesten Machwerke der neueren Gesetzgebungskünftelei. Eine vortreffliche Broschüre, die also wohl nicht übersetzt werden wird, hat das schlagend nachgewiesen, sie ist von Chr. Lesseps, dem Bruder des bekannten französischen Konsuls in Barcelona, kürzlich erst herausgegeben worden, und heißt: i»u I><>» so»« «ur I-,, lui ki'tülvotimi." Der l>v» muß — nach den vorgelegten Beweisen — nothwendig dem Herrn Lesseps zugeben, daß — dem Gesetz von 183t zufolge — durchaus kein festes Princip die Wahlen be¬ herrscht, außer etwa dem der Willkür, daß in der Wahlkammer des Reichs weder die Majorität des Volkes, noch die der. Wähler selbst, nicht einmal die des Reichthums, geschweige die der Intelligenz vertreten ist. Von den 459 Wahl-Collegien wählen 30 der unbedeutendsten, jedes den Deputirten mit durchschnittlich 167 Stimmen, während in den 22 bedeutendsten Wahl-Collegien durchschnittlich ,13,46 Wähler auf einen Deputirten kommen. Auf diese Weise führt Cap. II. der er¬ wähnten, sehr scharfsinnig berechnenden Schrift aus, daß: „1^ mino- rit^ <I,i ein'us vloctmick »vmmo !.t mnjoritv an corps pitrlitmen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/329>, abgerufen am 24.07.2024.