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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Gesellschaft, die telum Unterschied des Standes noch des Ranges kenne.
-- So unmittelbar war die Poesie noch niemals unter die ehrlichen
Breslauer getreten. Der Enthusiasmus verleitet sie zu der unter solchen
Umstanden leicht verzeihlichen Uebertreibung, daß sie den Jmprovisator
bekränzen und tciumphirend umhertragen.

Unten sind zwei riesige Kessel erschienen; der eine bietet "der Levante
duftenden Balsam", der andere entsendet einen, den achten Breslauer
nicht minder anlockenden Brodem von unzähligen "Wursteln". Ein Jeg-
licher befriedigt seines Herzens Gelüste.

Die Trompete mahnt zum Aufbruche. Trallirend zieht die Gesell¬
schaft den schattigen Bergpfad hinauf zum neuen Schloß, wo der große Saal
der Restauration im Nu gefüllt ist. Die nicht hinein können, lauschen
an den Thüren und Fenstern, was sich jetzt begeben wird. Gesänge
wechseln mit Reden. Hier soll Herr Semrau die verbrecherische Rede
gehalten haben, worin er nachwies, wie nothwendig ein bewußtes Zu¬
sammenhalten des Volkes sei, weil darin seine Stärke und seine Freiheit
liege. Er soll die Geschichte zum Zeugniß aufgerufen haben für die Un¬
widerstehlichkeit eines klar und bestimmt ausgesprochenen Volkswillens
u. s. w. Hier soll Herr Sicbig unter Billigung der vorhergesproche-
uen Worte an die bevorstehende Wahl der Stadtverordneten als an einen
-Act erinnert haben, an welchem die Breslauer Bürger ihren Willen, sich
an den öffentlichen Interessen zu betheiligen, beweisen könnten. Aber
mehr Anstoß noch als diese übrigens bis jetzt noch unbekannten Worte
hat der Toast erregt, welchen der vorletzt genannte Redner auf dem
Marktplatze zu Freiburg ausgebracht.

Die Session im Saale war beendet. Es war Zeit, daß sich die
Gesellschaft zur Disposition der schnaubenden Locomotiven stellte. In
einzelnen lustigen Gruppen wanderte sie dem gastfreundlichen Freiburg
zu. Vor des Bürgermeisters Wohnung war der Sammelplatz. Ein
dreimaliges Hoch nach einigen einfachen von Herrn Siebig gesprochenen
Worten gab dem bescheidenen Consul den Beweis, wie sehr man sich
durch die Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt habe. Ganz Freiburg war
auf den Beinen und zog mit den Gästen zum Bahnhofe, wo letztere mit
Böllerschüssen und Hurrahrufen entlassen wurden.

Hier haben Sie den ganz treuen Bericht über ein Fest, welches
Breslauer Bürger feierten. Sie sehen daraus vielleicht, wie sehr sich
seit einigen Jahren Volkövergnügungcn geändert, schwerlich jedoch, daß
diese Aenderung Staatsgefährliches mit sich bringt. Anders glaubte
unsere Polizei.

Kaum hatten die Theilnehmer das Fest noch einmal in ihrer Erin¬
nerung durchgekostet, so erschien bei den drei nichtangessenen Red¬
nern die Polizei, um ihnen die Manuscripte der gehaltenen Reden abzu¬
fordern. Zwei von ihnen erklärten, daß sie ertcmporisirt hätten, der Dritte
gab an, wer den Entwurf besitze. Hierauf Durchsuchung der Papiere,
^naive Leute würden nun wiederum glauben zu dem Zwecke, die verlang-
enden Redeentwürfe in die Hände zu bekommen. Nein, die Redner hat


Gesellschaft, die telum Unterschied des Standes noch des Ranges kenne.
— So unmittelbar war die Poesie noch niemals unter die ehrlichen
Breslauer getreten. Der Enthusiasmus verleitet sie zu der unter solchen
Umstanden leicht verzeihlichen Uebertreibung, daß sie den Jmprovisator
bekränzen und tciumphirend umhertragen.

Unten sind zwei riesige Kessel erschienen; der eine bietet „der Levante
duftenden Balsam", der andere entsendet einen, den achten Breslauer
nicht minder anlockenden Brodem von unzähligen „Wursteln". Ein Jeg-
licher befriedigt seines Herzens Gelüste.

Die Trompete mahnt zum Aufbruche. Trallirend zieht die Gesell¬
schaft den schattigen Bergpfad hinauf zum neuen Schloß, wo der große Saal
der Restauration im Nu gefüllt ist. Die nicht hinein können, lauschen
an den Thüren und Fenstern, was sich jetzt begeben wird. Gesänge
wechseln mit Reden. Hier soll Herr Semrau die verbrecherische Rede
gehalten haben, worin er nachwies, wie nothwendig ein bewußtes Zu¬
sammenhalten des Volkes sei, weil darin seine Stärke und seine Freiheit
liege. Er soll die Geschichte zum Zeugniß aufgerufen haben für die Un¬
widerstehlichkeit eines klar und bestimmt ausgesprochenen Volkswillens
u. s. w. Hier soll Herr Sicbig unter Billigung der vorhergesproche-
uen Worte an die bevorstehende Wahl der Stadtverordneten als an einen
-Act erinnert haben, an welchem die Breslauer Bürger ihren Willen, sich
an den öffentlichen Interessen zu betheiligen, beweisen könnten. Aber
mehr Anstoß noch als diese übrigens bis jetzt noch unbekannten Worte
hat der Toast erregt, welchen der vorletzt genannte Redner auf dem
Marktplatze zu Freiburg ausgebracht.

Die Session im Saale war beendet. Es war Zeit, daß sich die
Gesellschaft zur Disposition der schnaubenden Locomotiven stellte. In
einzelnen lustigen Gruppen wanderte sie dem gastfreundlichen Freiburg
zu. Vor des Bürgermeisters Wohnung war der Sammelplatz. Ein
dreimaliges Hoch nach einigen einfachen von Herrn Siebig gesprochenen
Worten gab dem bescheidenen Consul den Beweis, wie sehr man sich
durch die Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt habe. Ganz Freiburg war
auf den Beinen und zog mit den Gästen zum Bahnhofe, wo letztere mit
Böllerschüssen und Hurrahrufen entlassen wurden.

Hier haben Sie den ganz treuen Bericht über ein Fest, welches
Breslauer Bürger feierten. Sie sehen daraus vielleicht, wie sehr sich
seit einigen Jahren Volkövergnügungcn geändert, schwerlich jedoch, daß
diese Aenderung Staatsgefährliches mit sich bringt. Anders glaubte
unsere Polizei.

Kaum hatten die Theilnehmer das Fest noch einmal in ihrer Erin¬
nerung durchgekostet, so erschien bei den drei nichtangessenen Red¬
nern die Polizei, um ihnen die Manuscripte der gehaltenen Reden abzu¬
fordern. Zwei von ihnen erklärten, daß sie ertcmporisirt hätten, der Dritte
gab an, wer den Entwurf besitze. Hierauf Durchsuchung der Papiere,
^naive Leute würden nun wiederum glauben zu dem Zwecke, die verlang-
enden Redeentwürfe in die Hände zu bekommen. Nein, die Redner hat


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[0314] Gesellschaft, die telum Unterschied des Standes noch des Ranges kenne. — So unmittelbar war die Poesie noch niemals unter die ehrlichen Breslauer getreten. Der Enthusiasmus verleitet sie zu der unter solchen Umstanden leicht verzeihlichen Uebertreibung, daß sie den Jmprovisator bekränzen und tciumphirend umhertragen. Unten sind zwei riesige Kessel erschienen; der eine bietet „der Levante duftenden Balsam", der andere entsendet einen, den achten Breslauer nicht minder anlockenden Brodem von unzähligen „Wursteln". Ein Jeg- licher befriedigt seines Herzens Gelüste. Die Trompete mahnt zum Aufbruche. Trallirend zieht die Gesell¬ schaft den schattigen Bergpfad hinauf zum neuen Schloß, wo der große Saal der Restauration im Nu gefüllt ist. Die nicht hinein können, lauschen an den Thüren und Fenstern, was sich jetzt begeben wird. Gesänge wechseln mit Reden. Hier soll Herr Semrau die verbrecherische Rede gehalten haben, worin er nachwies, wie nothwendig ein bewußtes Zu¬ sammenhalten des Volkes sei, weil darin seine Stärke und seine Freiheit liege. Er soll die Geschichte zum Zeugniß aufgerufen haben für die Un¬ widerstehlichkeit eines klar und bestimmt ausgesprochenen Volkswillens u. s. w. Hier soll Herr Sicbig unter Billigung der vorhergesproche- uen Worte an die bevorstehende Wahl der Stadtverordneten als an einen -Act erinnert haben, an welchem die Breslauer Bürger ihren Willen, sich an den öffentlichen Interessen zu betheiligen, beweisen könnten. Aber mehr Anstoß noch als diese übrigens bis jetzt noch unbekannten Worte hat der Toast erregt, welchen der vorletzt genannte Redner auf dem Marktplatze zu Freiburg ausgebracht. Die Session im Saale war beendet. Es war Zeit, daß sich die Gesellschaft zur Disposition der schnaubenden Locomotiven stellte. In einzelnen lustigen Gruppen wanderte sie dem gastfreundlichen Freiburg zu. Vor des Bürgermeisters Wohnung war der Sammelplatz. Ein dreimaliges Hoch nach einigen einfachen von Herrn Siebig gesprochenen Worten gab dem bescheidenen Consul den Beweis, wie sehr man sich durch die Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt habe. Ganz Freiburg war auf den Beinen und zog mit den Gästen zum Bahnhofe, wo letztere mit Böllerschüssen und Hurrahrufen entlassen wurden. Hier haben Sie den ganz treuen Bericht über ein Fest, welches Breslauer Bürger feierten. Sie sehen daraus vielleicht, wie sehr sich seit einigen Jahren Volkövergnügungcn geändert, schwerlich jedoch, daß diese Aenderung Staatsgefährliches mit sich bringt. Anders glaubte unsere Polizei. Kaum hatten die Theilnehmer das Fest noch einmal in ihrer Erin¬ nerung durchgekostet, so erschien bei den drei nichtangessenen Red¬ nern die Polizei, um ihnen die Manuscripte der gehaltenen Reden abzu¬ fordern. Zwei von ihnen erklärten, daß sie ertcmporisirt hätten, der Dritte gab an, wer den Entwurf besitze. Hierauf Durchsuchung der Papiere, ^naive Leute würden nun wiederum glauben zu dem Zwecke, die verlang- enden Redeentwürfe in die Hände zu bekommen. Nein, die Redner hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/314>, abgerufen am 23.06.2024.