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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Ich habe oft die Unterredung der Beiden belauschen können, selbst
dann, als ich schon Gymnasiast war und mich während der Ferien bei
meinen Eltern befand. Der Kaplan war immer sehr freundlich gegen
mich, und er ging jedes Mal mit mir zum Weine, wenn ich ihm mein
Zeugniß zeigte. Wir gingen auch mit einander spazieren und er führte
mich bein anderen Kaplänen und Pfarrherren ein. Das gefiel mir auch
wohl, besonders weil uns an den meisten Orten etwas Delicates vor¬
gesetzt wurde, und weil mir das Mittagsessen bei dem geistlichen Herrn
immer besser schmeckte als bei meinen Eltern. In jenen glücklichen Ta¬
gen sprach ich im Stillen oft zu mir: "Ich will nur ein Pfarrer wer¬
den i Niemand auf der Welt hat es so gut wie ein Pater." --

Während der Ferien borgte mir Herr Kauder auch oftmals Bü¬
cher aus seiner kleinen Bibliothek, die er für die Schulkinder angeschafft.
Es waren auch meist Kinderschriften, unschuldige Geschichten von dem
Verfasser der Ostereier und andern Jugendschriftstellern, Bücher, in de¬
nen fromme, unschuldige Mädchen, gewöhnlich Burgfräulein, Ritter¬
burgen und Ritter, Schloßvögte, Jagden, Jäger, Falken und Falken¬
händler, Täubchen und schneeweiße Lämmchen, schwarze, aber gutmü¬
thige Köhler und Köhlerinncn, Hohlen, Einsiedler u. f. w. vorkommen.
Alle diese Sachen sind nach einem Plane zugeschnitten. Im Anfang
geht es den tugendhaften Leuten immer schlecht, aber zuletzt wird das
Laster entlarvt, die Unschuld kommt an den Tag und die Tugend
empfängt ihren Lohn. -- Ich verdanke der Lectüre dieser Bücher sehr
viele angenehme Stunden während der Ferien. Ich las sie am lieb¬
sten in der freien Natur, und steckte darum im Frühling und Sommer
eins oder das andere zu mir, ging entweder damit in den Wald und
legte mich unter einen Baum, an einen Bach, oder ich ging auf'S
Feld und streckte mich behaglich in's Gras neben ein blühendes Korn¬
feld. Es waren dies schöne Stunden, und ich bin dem Kaplan noch
jetzt dankbar dafür, obwohl ich mich jetzt kaum noch an jener Lectüre
ergötzen würde. Unter die Bücher, welche mir ganz besonders gefal¬
len haben, zähle ich die BeatuShöhle, das Blumenkörbchen, das Täub¬
chen u. s. w. Ich habe später oft bedauert, daß nicht dieselbe Ge¬
rechtigkeit, noch weniger aber dieselbe Unschuld, welche in den Kinder¬
schriften herrscht, im Leben zu finden ist. -- Doch, ich sehe mich ge¬
nöthigt in meiner Schilderung etwas zurückzugehen. --

Ich war eilf Jahre alt, als mich mein Vater auf das Gymna¬
sium der nächsten Stadt gab. Unter deu Abschieden, welche ich zu


Ich habe oft die Unterredung der Beiden belauschen können, selbst
dann, als ich schon Gymnasiast war und mich während der Ferien bei
meinen Eltern befand. Der Kaplan war immer sehr freundlich gegen
mich, und er ging jedes Mal mit mir zum Weine, wenn ich ihm mein
Zeugniß zeigte. Wir gingen auch mit einander spazieren und er führte
mich bein anderen Kaplänen und Pfarrherren ein. Das gefiel mir auch
wohl, besonders weil uns an den meisten Orten etwas Delicates vor¬
gesetzt wurde, und weil mir das Mittagsessen bei dem geistlichen Herrn
immer besser schmeckte als bei meinen Eltern. In jenen glücklichen Ta¬
gen sprach ich im Stillen oft zu mir: „Ich will nur ein Pfarrer wer¬
den i Niemand auf der Welt hat es so gut wie ein Pater." —

Während der Ferien borgte mir Herr Kauder auch oftmals Bü¬
cher aus seiner kleinen Bibliothek, die er für die Schulkinder angeschafft.
Es waren auch meist Kinderschriften, unschuldige Geschichten von dem
Verfasser der Ostereier und andern Jugendschriftstellern, Bücher, in de¬
nen fromme, unschuldige Mädchen, gewöhnlich Burgfräulein, Ritter¬
burgen und Ritter, Schloßvögte, Jagden, Jäger, Falken und Falken¬
händler, Täubchen und schneeweiße Lämmchen, schwarze, aber gutmü¬
thige Köhler und Köhlerinncn, Hohlen, Einsiedler u. f. w. vorkommen.
Alle diese Sachen sind nach einem Plane zugeschnitten. Im Anfang
geht es den tugendhaften Leuten immer schlecht, aber zuletzt wird das
Laster entlarvt, die Unschuld kommt an den Tag und die Tugend
empfängt ihren Lohn. — Ich verdanke der Lectüre dieser Bücher sehr
viele angenehme Stunden während der Ferien. Ich las sie am lieb¬
sten in der freien Natur, und steckte darum im Frühling und Sommer
eins oder das andere zu mir, ging entweder damit in den Wald und
legte mich unter einen Baum, an einen Bach, oder ich ging auf'S
Feld und streckte mich behaglich in's Gras neben ein blühendes Korn¬
feld. Es waren dies schöne Stunden, und ich bin dem Kaplan noch
jetzt dankbar dafür, obwohl ich mich jetzt kaum noch an jener Lectüre
ergötzen würde. Unter die Bücher, welche mir ganz besonders gefal¬
len haben, zähle ich die BeatuShöhle, das Blumenkörbchen, das Täub¬
chen u. s. w. Ich habe später oft bedauert, daß nicht dieselbe Ge¬
rechtigkeit, noch weniger aber dieselbe Unschuld, welche in den Kinder¬
schriften herrscht, im Leben zu finden ist. — Doch, ich sehe mich ge¬
nöthigt in meiner Schilderung etwas zurückzugehen. —

Ich war eilf Jahre alt, als mich mein Vater auf das Gymna¬
sium der nächsten Stadt gab. Unter deu Abschieden, welche ich zu


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[0306] Ich habe oft die Unterredung der Beiden belauschen können, selbst dann, als ich schon Gymnasiast war und mich während der Ferien bei meinen Eltern befand. Der Kaplan war immer sehr freundlich gegen mich, und er ging jedes Mal mit mir zum Weine, wenn ich ihm mein Zeugniß zeigte. Wir gingen auch mit einander spazieren und er führte mich bein anderen Kaplänen und Pfarrherren ein. Das gefiel mir auch wohl, besonders weil uns an den meisten Orten etwas Delicates vor¬ gesetzt wurde, und weil mir das Mittagsessen bei dem geistlichen Herrn immer besser schmeckte als bei meinen Eltern. In jenen glücklichen Ta¬ gen sprach ich im Stillen oft zu mir: „Ich will nur ein Pfarrer wer¬ den i Niemand auf der Welt hat es so gut wie ein Pater." — Während der Ferien borgte mir Herr Kauder auch oftmals Bü¬ cher aus seiner kleinen Bibliothek, die er für die Schulkinder angeschafft. Es waren auch meist Kinderschriften, unschuldige Geschichten von dem Verfasser der Ostereier und andern Jugendschriftstellern, Bücher, in de¬ nen fromme, unschuldige Mädchen, gewöhnlich Burgfräulein, Ritter¬ burgen und Ritter, Schloßvögte, Jagden, Jäger, Falken und Falken¬ händler, Täubchen und schneeweiße Lämmchen, schwarze, aber gutmü¬ thige Köhler und Köhlerinncn, Hohlen, Einsiedler u. f. w. vorkommen. Alle diese Sachen sind nach einem Plane zugeschnitten. Im Anfang geht es den tugendhaften Leuten immer schlecht, aber zuletzt wird das Laster entlarvt, die Unschuld kommt an den Tag und die Tugend empfängt ihren Lohn. — Ich verdanke der Lectüre dieser Bücher sehr viele angenehme Stunden während der Ferien. Ich las sie am lieb¬ sten in der freien Natur, und steckte darum im Frühling und Sommer eins oder das andere zu mir, ging entweder damit in den Wald und legte mich unter einen Baum, an einen Bach, oder ich ging auf'S Feld und streckte mich behaglich in's Gras neben ein blühendes Korn¬ feld. Es waren dies schöne Stunden, und ich bin dem Kaplan noch jetzt dankbar dafür, obwohl ich mich jetzt kaum noch an jener Lectüre ergötzen würde. Unter die Bücher, welche mir ganz besonders gefal¬ len haben, zähle ich die BeatuShöhle, das Blumenkörbchen, das Täub¬ chen u. s. w. Ich habe später oft bedauert, daß nicht dieselbe Ge¬ rechtigkeit, noch weniger aber dieselbe Unschuld, welche in den Kinder¬ schriften herrscht, im Leben zu finden ist. — Doch, ich sehe mich ge¬ nöthigt in meiner Schilderung etwas zurückzugehen. — Ich war eilf Jahre alt, als mich mein Vater auf das Gymna¬ sium der nächsten Stadt gab. Unter deu Abschieden, welche ich zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/306>, abgerufen am 30.06.2024.