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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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die Sätze der abscheulichen Sekte der Manichäer, die namentlich den
Studenten so verhaßt sind, waren ihn nicht ganz fremd.

Großpapa war als guter Katholik natürlich ein Feind Luthers,
Melanchthon's und der Reformatoren, ja er glaubte trotz seiner ziem¬
lichen Aufklärung steif und fest, daß solche Männer, welche so großes
Unglück über die Menschheit gebracht und so viele Völker von dem
wahren Glauben abgeführt hätten, ewig verdammt sein müßten. Er
kannte die Geschichte der Reformation ziemlich genau, und ich erinnere
mich, mehrmals von ihm die Aeußerung gehört zu haben: "O hätte
ich doch der Disputation Luthers und Ecks beiwohnen dürfen!" --
Ja, er war so fest von der alleinigen Richtigkeit seiner Meinungen
und der stegenden Kraft der Wahrheit überzeugt, daß er in seinem El-'
fer wohl gar den egoistischen Glauben hegte: er selbst wäre im Stande
gewesen den Luther besser zu widerlegen, als Doctor Eck, und wir
Würden jetzt keine evangelischen Christen haben, wenn er an der Stelle
des Eck mit dem kühnen Reformator hätte disputiren dürfen. Gro߬
papa hielt sich, wie alle gewöhnlichen Denker, nur an den Formalismus
des Christenthumes; er konnte sich nicht zu der Ansicht erheben, daß
es in der Reinheit seiner Idee noch gar nicht verwirklicht wäre, ja
wohl gar verwirklicht werden könnte, und daß alle die verschiedenen
Religionssysteme nur die Stufen der Entwickelung bezeichneten. --

Doch genug hierüber. Ich sage nur noch, daß es einen höchst
angenehmen Eindruck auf das Gemüth machte, wenn man bisweilen
den Kaplan und den Großpapa vor der Wohnung des Letztern sitzen
sehen konnte. Vor dem Hause stand eine Gruppe schlanker Pappeln,
zwei Linden und zwei Espen, welche die Hütte beschatteten und ihr
auch wohl Schutz gewährten gegen die heftigen Herbststürme. Unter
den Bäumen saßen nun die Beiden oft des Sonntags nach dem Nach-
mittagsgottesdienste und plauderten mit einander. Vor jedem von ih¬
nen stand ein Glas Milch, oftmals auch Wein, wie denn überhaupt
Großpapa immer für etwas Leckerhaftes sorgte, wenn er den Besuch
des Kaplans erwartete; er ließ dann wohl auch von dem Conditor
in der nahen, kleinen Stadt einige Delicatessen holen, als z. B. Zuk-
kerzwieback, kleine Kuchen u. s. w., Sachen, die sich Herr Kauder im¬
mer sehr wohl schmecken ließ, wenn er auch anfangs immer sagte:
"Aber, guter Vater, ihr habt Euch wieder recht unnöthige Kosten ge¬
macht. Ich werde Euch gar nicht mehr besuchen dürfen, wenn Ihr
nicht von dieser Gewohnheit ablassen wollt." ^


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die Sätze der abscheulichen Sekte der Manichäer, die namentlich den
Studenten so verhaßt sind, waren ihn nicht ganz fremd.

Großpapa war als guter Katholik natürlich ein Feind Luthers,
Melanchthon's und der Reformatoren, ja er glaubte trotz seiner ziem¬
lichen Aufklärung steif und fest, daß solche Männer, welche so großes
Unglück über die Menschheit gebracht und so viele Völker von dem
wahren Glauben abgeführt hätten, ewig verdammt sein müßten. Er
kannte die Geschichte der Reformation ziemlich genau, und ich erinnere
mich, mehrmals von ihm die Aeußerung gehört zu haben: „O hätte
ich doch der Disputation Luthers und Ecks beiwohnen dürfen!" —
Ja, er war so fest von der alleinigen Richtigkeit seiner Meinungen
und der stegenden Kraft der Wahrheit überzeugt, daß er in seinem El-'
fer wohl gar den egoistischen Glauben hegte: er selbst wäre im Stande
gewesen den Luther besser zu widerlegen, als Doctor Eck, und wir
Würden jetzt keine evangelischen Christen haben, wenn er an der Stelle
des Eck mit dem kühnen Reformator hätte disputiren dürfen. Gro߬
papa hielt sich, wie alle gewöhnlichen Denker, nur an den Formalismus
des Christenthumes; er konnte sich nicht zu der Ansicht erheben, daß
es in der Reinheit seiner Idee noch gar nicht verwirklicht wäre, ja
wohl gar verwirklicht werden könnte, und daß alle die verschiedenen
Religionssysteme nur die Stufen der Entwickelung bezeichneten. —

Doch genug hierüber. Ich sage nur noch, daß es einen höchst
angenehmen Eindruck auf das Gemüth machte, wenn man bisweilen
den Kaplan und den Großpapa vor der Wohnung des Letztern sitzen
sehen konnte. Vor dem Hause stand eine Gruppe schlanker Pappeln,
zwei Linden und zwei Espen, welche die Hütte beschatteten und ihr
auch wohl Schutz gewährten gegen die heftigen Herbststürme. Unter
den Bäumen saßen nun die Beiden oft des Sonntags nach dem Nach-
mittagsgottesdienste und plauderten mit einander. Vor jedem von ih¬
nen stand ein Glas Milch, oftmals auch Wein, wie denn überhaupt
Großpapa immer für etwas Leckerhaftes sorgte, wenn er den Besuch
des Kaplans erwartete; er ließ dann wohl auch von dem Conditor
in der nahen, kleinen Stadt einige Delicatessen holen, als z. B. Zuk-
kerzwieback, kleine Kuchen u. s. w., Sachen, die sich Herr Kauder im¬
mer sehr wohl schmecken ließ, wenn er auch anfangs immer sagte:
„Aber, guter Vater, ihr habt Euch wieder recht unnöthige Kosten ge¬
macht. Ich werde Euch gar nicht mehr besuchen dürfen, wenn Ihr
nicht von dieser Gewohnheit ablassen wollt." ^


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[0305] die Sätze der abscheulichen Sekte der Manichäer, die namentlich den Studenten so verhaßt sind, waren ihn nicht ganz fremd. Großpapa war als guter Katholik natürlich ein Feind Luthers, Melanchthon's und der Reformatoren, ja er glaubte trotz seiner ziem¬ lichen Aufklärung steif und fest, daß solche Männer, welche so großes Unglück über die Menschheit gebracht und so viele Völker von dem wahren Glauben abgeführt hätten, ewig verdammt sein müßten. Er kannte die Geschichte der Reformation ziemlich genau, und ich erinnere mich, mehrmals von ihm die Aeußerung gehört zu haben: „O hätte ich doch der Disputation Luthers und Ecks beiwohnen dürfen!" — Ja, er war so fest von der alleinigen Richtigkeit seiner Meinungen und der stegenden Kraft der Wahrheit überzeugt, daß er in seinem El-' fer wohl gar den egoistischen Glauben hegte: er selbst wäre im Stande gewesen den Luther besser zu widerlegen, als Doctor Eck, und wir Würden jetzt keine evangelischen Christen haben, wenn er an der Stelle des Eck mit dem kühnen Reformator hätte disputiren dürfen. Gro߬ papa hielt sich, wie alle gewöhnlichen Denker, nur an den Formalismus des Christenthumes; er konnte sich nicht zu der Ansicht erheben, daß es in der Reinheit seiner Idee noch gar nicht verwirklicht wäre, ja wohl gar verwirklicht werden könnte, und daß alle die verschiedenen Religionssysteme nur die Stufen der Entwickelung bezeichneten. — Doch genug hierüber. Ich sage nur noch, daß es einen höchst angenehmen Eindruck auf das Gemüth machte, wenn man bisweilen den Kaplan und den Großpapa vor der Wohnung des Letztern sitzen sehen konnte. Vor dem Hause stand eine Gruppe schlanker Pappeln, zwei Linden und zwei Espen, welche die Hütte beschatteten und ihr auch wohl Schutz gewährten gegen die heftigen Herbststürme. Unter den Bäumen saßen nun die Beiden oft des Sonntags nach dem Nach- mittagsgottesdienste und plauderten mit einander. Vor jedem von ih¬ nen stand ein Glas Milch, oftmals auch Wein, wie denn überhaupt Großpapa immer für etwas Leckerhaftes sorgte, wenn er den Besuch des Kaplans erwartete; er ließ dann wohl auch von dem Conditor in der nahen, kleinen Stadt einige Delicatessen holen, als z. B. Zuk- kerzwieback, kleine Kuchen u. s. w., Sachen, die sich Herr Kauder im¬ mer sehr wohl schmecken ließ, wenn er auch anfangs immer sagte: „Aber, guter Vater, ihr habt Euch wieder recht unnöthige Kosten ge¬ macht. Ich werde Euch gar nicht mehr besuchen dürfen, wenn Ihr nicht von dieser Gewohnheit ablassen wollt." ^ GrmMm. III. ISiv. - 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/305>, abgerufen am 08.01.2025.