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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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unmögliche geworden ist und von einer Schelling'schen Schule ist gar
nicht zu reden. --

Während die philosophischen Parteien und Parteiungen immer
ohne unmittelbaren Einfluß auf die Masse blieben, haben die kirchlich¬
religiösen Interessen sich ganz direct an dieselbe gewendet. Berlin ist
nach dieser Seite hin eine Musterkarte für Geistes- und Gewissens,
sreiheit. Man braucht eben nur die " Eingesanvts " unserer Zeitun-
gen zu lesen, um überzeugt zu werden, daß die kirchlich-religiösen Fra¬
gen in einem großen Kreise lebendig sind. Im Allgemeinen ist jedoch
auch auf diesem Gebiete ein religiöser Indifferentismus der Charakter
der Massen. Sie nehmen nur Theil, wo sie müssen oder wo ihnen
ein materieller Vortheil aus der Theilnahme erwächst. Anders ist es
mit unserer Bourgeoisie. Für sie ist die Glaubcnsfrage noch eine Le¬
bensfrage und sie bildet die religiösen Elemente nach allen entgegen¬
gesetzten Richtungen aus. Wir deuten den Schauplatz der confessto-
ncllen Streitigkeiten nur an und wollen ihn nicht genau bezeichnen,
da wir den confessionellen und überhaupt den Glaubens-Conflicten nicht
jene Wichtigkeit beilegen, welche ihnen so häufig beigelegt wird. Mit
welchem unerquicklichen Material hätten wir uns hier zu beschäftigen,
wenn wir alle die einzelnen religiösen Parteien Berlins, die mucker-
haftcn, die orthodoxen, die halbatheistischen und die pietistischen, die
ultramontanen und die deutschkatholischen, die talmudischen und die
rcformjüdtschen, die Hengstenbergianer bis zu den Atheisten, welche un¬
ter die Lichtfreunde gegangen sind, genau darstellen wollten! In dem
Lande der ausgebreitet sten Sittenfreiheit, in Nordamerika, kann der re¬
ligiöse Parteienkampf zwar wohl äußerlich freier, aber nicht intensiver
geführt werden, als bei uns. Die Hauptinteressen, welche sich bei uns
entgegenstehen, sind die Interessen einer auf die Vergangenheit zurück¬
gehenden Staatskirche und die Interessen eines möglichst freien Ge¬
meindelebens, die Interessen einer streng organisirten Kirchenpolizei und
einer möglichst ausgedehnten kirchlichen Selbstverwaltung, die Inte¬
ressen eines auf Dogmen sich berufenden Autoritätsglaubens und ei¬
nes aufgeklärten Nationalismus. Man hat, namentlich auf dem Ge¬
biete des Protestantismus, den kirchlichen Kampf auch zu einem po¬
litischen gemacht und es haben sich die mannichfachsten Conflicte zwi¬
schen der höchsten Staats- und Kirchengewalt und den Ansprüchen,
welche erhoben wurden, herausgestellt. Eine ausführliche Darstellung
und Kritik mag unterbleiben. Ehe wir aber schließen, müssen wir ei¬
nige Worte über das pietistische Element, über die pietistische Parder


unmögliche geworden ist und von einer Schelling'schen Schule ist gar
nicht zu reden. —

Während die philosophischen Parteien und Parteiungen immer
ohne unmittelbaren Einfluß auf die Masse blieben, haben die kirchlich¬
religiösen Interessen sich ganz direct an dieselbe gewendet. Berlin ist
nach dieser Seite hin eine Musterkarte für Geistes- und Gewissens,
sreiheit. Man braucht eben nur die „ Eingesanvts " unserer Zeitun-
gen zu lesen, um überzeugt zu werden, daß die kirchlich-religiösen Fra¬
gen in einem großen Kreise lebendig sind. Im Allgemeinen ist jedoch
auch auf diesem Gebiete ein religiöser Indifferentismus der Charakter
der Massen. Sie nehmen nur Theil, wo sie müssen oder wo ihnen
ein materieller Vortheil aus der Theilnahme erwächst. Anders ist es
mit unserer Bourgeoisie. Für sie ist die Glaubcnsfrage noch eine Le¬
bensfrage und sie bildet die religiösen Elemente nach allen entgegen¬
gesetzten Richtungen aus. Wir deuten den Schauplatz der confessto-
ncllen Streitigkeiten nur an und wollen ihn nicht genau bezeichnen,
da wir den confessionellen und überhaupt den Glaubens-Conflicten nicht
jene Wichtigkeit beilegen, welche ihnen so häufig beigelegt wird. Mit
welchem unerquicklichen Material hätten wir uns hier zu beschäftigen,
wenn wir alle die einzelnen religiösen Parteien Berlins, die mucker-
haftcn, die orthodoxen, die halbatheistischen und die pietistischen, die
ultramontanen und die deutschkatholischen, die talmudischen und die
rcformjüdtschen, die Hengstenbergianer bis zu den Atheisten, welche un¬
ter die Lichtfreunde gegangen sind, genau darstellen wollten! In dem
Lande der ausgebreitet sten Sittenfreiheit, in Nordamerika, kann der re¬
ligiöse Parteienkampf zwar wohl äußerlich freier, aber nicht intensiver
geführt werden, als bei uns. Die Hauptinteressen, welche sich bei uns
entgegenstehen, sind die Interessen einer auf die Vergangenheit zurück¬
gehenden Staatskirche und die Interessen eines möglichst freien Ge¬
meindelebens, die Interessen einer streng organisirten Kirchenpolizei und
einer möglichst ausgedehnten kirchlichen Selbstverwaltung, die Inte¬
ressen eines auf Dogmen sich berufenden Autoritätsglaubens und ei¬
nes aufgeklärten Nationalismus. Man hat, namentlich auf dem Ge¬
biete des Protestantismus, den kirchlichen Kampf auch zu einem po¬
litischen gemacht und es haben sich die mannichfachsten Conflicte zwi¬
schen der höchsten Staats- und Kirchengewalt und den Ansprüchen,
welche erhoben wurden, herausgestellt. Eine ausführliche Darstellung
und Kritik mag unterbleiben. Ehe wir aber schließen, müssen wir ei¬
nige Worte über das pietistische Element, über die pietistische Parder


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[0296] unmögliche geworden ist und von einer Schelling'schen Schule ist gar nicht zu reden. — Während die philosophischen Parteien und Parteiungen immer ohne unmittelbaren Einfluß auf die Masse blieben, haben die kirchlich¬ religiösen Interessen sich ganz direct an dieselbe gewendet. Berlin ist nach dieser Seite hin eine Musterkarte für Geistes- und Gewissens, sreiheit. Man braucht eben nur die „ Eingesanvts " unserer Zeitun- gen zu lesen, um überzeugt zu werden, daß die kirchlich-religiösen Fra¬ gen in einem großen Kreise lebendig sind. Im Allgemeinen ist jedoch auch auf diesem Gebiete ein religiöser Indifferentismus der Charakter der Massen. Sie nehmen nur Theil, wo sie müssen oder wo ihnen ein materieller Vortheil aus der Theilnahme erwächst. Anders ist es mit unserer Bourgeoisie. Für sie ist die Glaubcnsfrage noch eine Le¬ bensfrage und sie bildet die religiösen Elemente nach allen entgegen¬ gesetzten Richtungen aus. Wir deuten den Schauplatz der confessto- ncllen Streitigkeiten nur an und wollen ihn nicht genau bezeichnen, da wir den confessionellen und überhaupt den Glaubens-Conflicten nicht jene Wichtigkeit beilegen, welche ihnen so häufig beigelegt wird. Mit welchem unerquicklichen Material hätten wir uns hier zu beschäftigen, wenn wir alle die einzelnen religiösen Parteien Berlins, die mucker- haftcn, die orthodoxen, die halbatheistischen und die pietistischen, die ultramontanen und die deutschkatholischen, die talmudischen und die rcformjüdtschen, die Hengstenbergianer bis zu den Atheisten, welche un¬ ter die Lichtfreunde gegangen sind, genau darstellen wollten! In dem Lande der ausgebreitet sten Sittenfreiheit, in Nordamerika, kann der re¬ ligiöse Parteienkampf zwar wohl äußerlich freier, aber nicht intensiver geführt werden, als bei uns. Die Hauptinteressen, welche sich bei uns entgegenstehen, sind die Interessen einer auf die Vergangenheit zurück¬ gehenden Staatskirche und die Interessen eines möglichst freien Ge¬ meindelebens, die Interessen einer streng organisirten Kirchenpolizei und einer möglichst ausgedehnten kirchlichen Selbstverwaltung, die Inte¬ ressen eines auf Dogmen sich berufenden Autoritätsglaubens und ei¬ nes aufgeklärten Nationalismus. Man hat, namentlich auf dem Ge¬ biete des Protestantismus, den kirchlichen Kampf auch zu einem po¬ litischen gemacht und es haben sich die mannichfachsten Conflicte zwi¬ schen der höchsten Staats- und Kirchengewalt und den Ansprüchen, welche erhoben wurden, herausgestellt. Eine ausführliche Darstellung und Kritik mag unterbleiben. Ehe wir aber schließen, müssen wir ei¬ nige Worte über das pietistische Element, über die pietistische Parder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/296>, abgerufen am 24.07.2024.