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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Deutschland die Verehrung finden, die ihrer Gelehrsamkeit gebührt, aber
solche Kauze wie Herrn Deinhardstein sollte man zur Ehre österreichischer
Wissenschaft nicht als Redacteur der "ersten wissenschaftlichen Zeitschrift"
aussenden; noch weniger aber sollte man den heiligen Ruf der österreichi¬
schen Polizeiklugheit auf's Spiel setzen, indem man Herrn Deinhardstein
zur Inspicirung deutscher Presse unter "degcl gegangen zu sein, den
Schein laßt.

Von der Gräfin Hahn-Hahn ist schon wieder ein zweibändiger Ro¬
man unter der Presse; er führt den Titel Sibvlle und soll eine
ihrer besten Productionen sein. Wenn man von der Armuth deutscher
Schriftsteller spricht und als Gegensatz auf die großen Honorare hinweist,
welche die französischen Autoren erhalten, so möchten wir nur auf die
beiden romanstcickenden Berlinerinnen aufmerksam machen! Es gibt
Jahre, in welchen die Gräfin Hahn von ihrem Verleger 5iiW Thaler
Honorar bezieht und unter 30W läuft selten ein Jahr ab. Das Ein¬
kommen der Frau Paalzow ist nur um ein Weniges geringer. Um
5l)l)l) Thaler jährlicher Einkünfte zu haben, bedarf ein Grundbesitzer we¬
nigstens eines Ritterguts im Werthe von 120,y(et) Thaler, und dabei
sind die polnischen Gutsherren noch der Gefahr ausgesetzt, von ihren Un¬
terthanen den Kopf abgeschlagen oder mindestens die Robot verweigert zu
erhalten. Die Verfasserin von Faustine und von Thomas Tvrnau er¬
halten höchstens von der Kritik einige blaue Flecken, den Kopf tragen
sie nach wie vor sehr hoch und auf ihren papiernen Lehnsgütern roboten
sie selber mit solchem Fleiße, daß ein Bauer mit zwei Augochsen es ihnen
kaum nachthun könnte.

An der königlichen Bühne setzt Fräulein Unzelmann ihr glänzendes
Gastspiel mit gleichem Beifall fort und alle Stimmen vereinigen sich in
dem Ausspruch, daß diese junge Künstlerin eins der ersten Talente ist,
welche die deutschen Bühnen jetzt aufzuweisen haben. -- Im Königs¬
städter Theater macht der Komiker L'Aronge in Ncstron'schen und Rai-
mundschen Rollen viel Glück. -- Fraulein von Mara wird, -- da die
Tucze? auf Gnadenweg Urlaub zu einer Badereise erhalten hat -- nun
doch einen Cyclus von Gastrollen geben. --- Der Selbstmord eines be¬
kannten hiesigen Bonvivants machte diese Woche Aufsehen. Derselbe
hatte innerhalb fünf Jahren ein Erbtheil von 50,<)l)t) Thaler verpraßt;
als der letzte Thaler zu Ende war, setzte er sich in einen Lehnstuhl, einem
großen Trumeauspiegel gegenüber, leerte behaglich eine Flasche Cham¬
pagner aus und schoß sich dann eine Kugel in den Kopf, wobei ihm der
Spiegel offenbar Dienste leistete. In dieser Situation trafen ihn die
herbei eilenden Hausleute mausetodt, die leere Ehampagnerflasche neben
ihm. Dieser Selbstmord fand in einem Hause dicht an der Stehelischen
Conditorei statt, und die Mokka schlürfenden Aeitungscorrespondenten, die
dort ihreNachmittagssitzungcn halten, hatten die piquante Neuigkeit gleich
bei der Hand. --


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Deutschland die Verehrung finden, die ihrer Gelehrsamkeit gebührt, aber
solche Kauze wie Herrn Deinhardstein sollte man zur Ehre österreichischer
Wissenschaft nicht als Redacteur der „ersten wissenschaftlichen Zeitschrift"
aussenden; noch weniger aber sollte man den heiligen Ruf der österreichi¬
schen Polizeiklugheit auf's Spiel setzen, indem man Herrn Deinhardstein
zur Inspicirung deutscher Presse unter «degcl gegangen zu sein, den
Schein laßt.

Von der Gräfin Hahn-Hahn ist schon wieder ein zweibändiger Ro¬
man unter der Presse; er führt den Titel Sibvlle und soll eine
ihrer besten Productionen sein. Wenn man von der Armuth deutscher
Schriftsteller spricht und als Gegensatz auf die großen Honorare hinweist,
welche die französischen Autoren erhalten, so möchten wir nur auf die
beiden romanstcickenden Berlinerinnen aufmerksam machen! Es gibt
Jahre, in welchen die Gräfin Hahn von ihrem Verleger 5iiW Thaler
Honorar bezieht und unter 30W läuft selten ein Jahr ab. Das Ein¬
kommen der Frau Paalzow ist nur um ein Weniges geringer. Um
5l)l)l) Thaler jährlicher Einkünfte zu haben, bedarf ein Grundbesitzer we¬
nigstens eines Ritterguts im Werthe von 120,y(et) Thaler, und dabei
sind die polnischen Gutsherren noch der Gefahr ausgesetzt, von ihren Un¬
terthanen den Kopf abgeschlagen oder mindestens die Robot verweigert zu
erhalten. Die Verfasserin von Faustine und von Thomas Tvrnau er¬
halten höchstens von der Kritik einige blaue Flecken, den Kopf tragen
sie nach wie vor sehr hoch und auf ihren papiernen Lehnsgütern roboten
sie selber mit solchem Fleiße, daß ein Bauer mit zwei Augochsen es ihnen
kaum nachthun könnte.

An der königlichen Bühne setzt Fräulein Unzelmann ihr glänzendes
Gastspiel mit gleichem Beifall fort und alle Stimmen vereinigen sich in
dem Ausspruch, daß diese junge Künstlerin eins der ersten Talente ist,
welche die deutschen Bühnen jetzt aufzuweisen haben. — Im Königs¬
städter Theater macht der Komiker L'Aronge in Ncstron'schen und Rai-
mundschen Rollen viel Glück. — Fraulein von Mara wird, — da die
Tucze? auf Gnadenweg Urlaub zu einer Badereise erhalten hat — nun
doch einen Cyclus von Gastrollen geben. -— Der Selbstmord eines be¬
kannten hiesigen Bonvivants machte diese Woche Aufsehen. Derselbe
hatte innerhalb fünf Jahren ein Erbtheil von 50,<)l)t) Thaler verpraßt;
als der letzte Thaler zu Ende war, setzte er sich in einen Lehnstuhl, einem
großen Trumeauspiegel gegenüber, leerte behaglich eine Flasche Cham¬
pagner aus und schoß sich dann eine Kugel in den Kopf, wobei ihm der
Spiegel offenbar Dienste leistete. In dieser Situation trafen ihn die
herbei eilenden Hausleute mausetodt, die leere Ehampagnerflasche neben
ihm. Dieser Selbstmord fand in einem Hause dicht an der Stehelischen
Conditorei statt, und die Mokka schlürfenden Aeitungscorrespondenten, die
dort ihreNachmittagssitzungcn halten, hatten die piquante Neuigkeit gleich
bei der Hand. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/273>, abgerufen am 25.07.2024.