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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Aus Wien.

GalizischeAngelegenheicen. --Die Staatsschrift. -- Herr Breindl- --Atmosphärische
Eisenbahn. -- Männergesangsverein. --

Als in den ersten Tagen des tollen Unternehmens der Polen Alles
in der gespanntesten Erwartung war, als man jede Nachricht, sie mochte
noch so unwahrscheinlich sein, verbreitete und glaubhaft fand -- da gab
die Regierung täglich selbst Beweise in ihren Journalen, da erlaubte
man sogar mir^nit" tjivtu! dem einzigen hiesigen halbpolitischen Blatte
"die Gegenwart" einen selbständigen leitenden Artikel. Man sah da¬
mals in diesem öffentlichen Auftreten der Regierung ein vertrauungsvolles
Entgegenkommen, man glaubte, sie würde nun den Werth einer guten
Presse kennen lernen, sie würde einsehen, wie viel es werth sei, wenn
man durch die Oeffentlichkeit sich mit der Nation verständige. Aber
kaum ist die Ruhe wieder hergestellt, fo macht die Regierung eine Reihe
von Schritten, von denen einige sicher zum Wohle Galiziens, andere aber
wieder zu den heftigsten Angriffen führen werden. Zu den letzteren ge¬
hören die Herausgabe der bekannten Staatsschrift und das Avancement (?)
und die Decorirung des bekannten Kreishauptmanns von Tarnow Breindl.

Wenn etwas den totalen Mangel einer guten schriftstellerischen Fe¬
der in der Staatskanzlei beweist, so ist es die Abfassung dieser Staats¬
schrift. Abgesehen davon, daß es sehr kleinlich ist, diese Staatsschrift
nicht offen und ehrlich in Wien drucken zu lassen, und den darin ent¬
haltenen Zeugnissen wenigstens ein officielles Gepräge zu geben, statt sie
in einer kleinen Stadt des Auslandes an's Licht treten zu lassen, abge¬
sehen davon, gibt diese Staatsschrift durch das übersichtliche Aneinander¬
reihen der Facta und Documente erst den Beweis, wie übereilt und
taktlos man in dieser ganzen traurigen Geschichte vorgegangen. Ja der
schlechte, matte Styl dieser Staatsschrift läßt es sogar in der Perspec-
tive erscheinen, als wenn an der vielbesprochenen Proscriptionsgeschichte doch
etwas Wahres wäre, denn die Person, welche sie als den Preisaussetzcr
angibt, ist eine ganz andere, als' jene, von welcher alle andern Berichte
sprachen; dann stimmt auch die Zeit nicht überein, indem zwischen Bei¬
den der Zeitraum mehrerer Tage liegt. So viel ist aber sicher, daß von
den Beamten im ersten Schrecken der Ueberraschung etwas Unzukömm-
liches geschehen, welches vertuscht werden soll. Ist dieses aber eines
Staats wie Oesterreich würdig? Wäre es nicht ebenso gerecht als hoch¬
herzig gewesen, wenn man den Beamten zur Verantwortung gezogen,
und wenn nur der geringste Verdacht auf ihm ruht, ihn der allgemeinen
Stimme gegenüber fallen gelassen hätte, statt ihm den Leopoldorden
zu verleihen, und zum Gubernium nach Mähren zu versetzen. Letz-
teres ist nun ebenfalls sehr bezeichnend. Denn entweder er hat sich um
Galizien hebr verdient gemacht -- warum versetzt man ihn dann, der
so genau das Land und die Verhältnisse kennt? Hat er sich taktlos be-


u.
Aus Wien.

GalizischeAngelegenheicen. —Die Staatsschrift. — Herr Breindl- —Atmosphärische
Eisenbahn. — Männergesangsverein. —

Als in den ersten Tagen des tollen Unternehmens der Polen Alles
in der gespanntesten Erwartung war, als man jede Nachricht, sie mochte
noch so unwahrscheinlich sein, verbreitete und glaubhaft fand — da gab
die Regierung täglich selbst Beweise in ihren Journalen, da erlaubte
man sogar mir^nit» tjivtu! dem einzigen hiesigen halbpolitischen Blatte
„die Gegenwart" einen selbständigen leitenden Artikel. Man sah da¬
mals in diesem öffentlichen Auftreten der Regierung ein vertrauungsvolles
Entgegenkommen, man glaubte, sie würde nun den Werth einer guten
Presse kennen lernen, sie würde einsehen, wie viel es werth sei, wenn
man durch die Oeffentlichkeit sich mit der Nation verständige. Aber
kaum ist die Ruhe wieder hergestellt, fo macht die Regierung eine Reihe
von Schritten, von denen einige sicher zum Wohle Galiziens, andere aber
wieder zu den heftigsten Angriffen führen werden. Zu den letzteren ge¬
hören die Herausgabe der bekannten Staatsschrift und das Avancement (?)
und die Decorirung des bekannten Kreishauptmanns von Tarnow Breindl.

Wenn etwas den totalen Mangel einer guten schriftstellerischen Fe¬
der in der Staatskanzlei beweist, so ist es die Abfassung dieser Staats¬
schrift. Abgesehen davon, daß es sehr kleinlich ist, diese Staatsschrift
nicht offen und ehrlich in Wien drucken zu lassen, und den darin ent¬
haltenen Zeugnissen wenigstens ein officielles Gepräge zu geben, statt sie
in einer kleinen Stadt des Auslandes an's Licht treten zu lassen, abge¬
sehen davon, gibt diese Staatsschrift durch das übersichtliche Aneinander¬
reihen der Facta und Documente erst den Beweis, wie übereilt und
taktlos man in dieser ganzen traurigen Geschichte vorgegangen. Ja der
schlechte, matte Styl dieser Staatsschrift läßt es sogar in der Perspec-
tive erscheinen, als wenn an der vielbesprochenen Proscriptionsgeschichte doch
etwas Wahres wäre, denn die Person, welche sie als den Preisaussetzcr
angibt, ist eine ganz andere, als' jene, von welcher alle andern Berichte
sprachen; dann stimmt auch die Zeit nicht überein, indem zwischen Bei¬
den der Zeitraum mehrerer Tage liegt. So viel ist aber sicher, daß von
den Beamten im ersten Schrecken der Ueberraschung etwas Unzukömm-
liches geschehen, welches vertuscht werden soll. Ist dieses aber eines
Staats wie Oesterreich würdig? Wäre es nicht ebenso gerecht als hoch¬
herzig gewesen, wenn man den Beamten zur Verantwortung gezogen,
und wenn nur der geringste Verdacht auf ihm ruht, ihn der allgemeinen
Stimme gegenüber fallen gelassen hätte, statt ihm den Leopoldorden
zu verleihen, und zum Gubernium nach Mähren zu versetzen. Letz-
teres ist nun ebenfalls sehr bezeichnend. Denn entweder er hat sich um
Galizien hebr verdient gemacht — warum versetzt man ihn dann, der
so genau das Land und die Verhältnisse kennt? Hat er sich taktlos be-


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[0274] u. Aus Wien. GalizischeAngelegenheicen. —Die Staatsschrift. — Herr Breindl- —Atmosphärische Eisenbahn. — Männergesangsverein. — Als in den ersten Tagen des tollen Unternehmens der Polen Alles in der gespanntesten Erwartung war, als man jede Nachricht, sie mochte noch so unwahrscheinlich sein, verbreitete und glaubhaft fand — da gab die Regierung täglich selbst Beweise in ihren Journalen, da erlaubte man sogar mir^nit» tjivtu! dem einzigen hiesigen halbpolitischen Blatte „die Gegenwart" einen selbständigen leitenden Artikel. Man sah da¬ mals in diesem öffentlichen Auftreten der Regierung ein vertrauungsvolles Entgegenkommen, man glaubte, sie würde nun den Werth einer guten Presse kennen lernen, sie würde einsehen, wie viel es werth sei, wenn man durch die Oeffentlichkeit sich mit der Nation verständige. Aber kaum ist die Ruhe wieder hergestellt, fo macht die Regierung eine Reihe von Schritten, von denen einige sicher zum Wohle Galiziens, andere aber wieder zu den heftigsten Angriffen führen werden. Zu den letzteren ge¬ hören die Herausgabe der bekannten Staatsschrift und das Avancement (?) und die Decorirung des bekannten Kreishauptmanns von Tarnow Breindl. Wenn etwas den totalen Mangel einer guten schriftstellerischen Fe¬ der in der Staatskanzlei beweist, so ist es die Abfassung dieser Staats¬ schrift. Abgesehen davon, daß es sehr kleinlich ist, diese Staatsschrift nicht offen und ehrlich in Wien drucken zu lassen, und den darin ent¬ haltenen Zeugnissen wenigstens ein officielles Gepräge zu geben, statt sie in einer kleinen Stadt des Auslandes an's Licht treten zu lassen, abge¬ sehen davon, gibt diese Staatsschrift durch das übersichtliche Aneinander¬ reihen der Facta und Documente erst den Beweis, wie übereilt und taktlos man in dieser ganzen traurigen Geschichte vorgegangen. Ja der schlechte, matte Styl dieser Staatsschrift läßt es sogar in der Perspec- tive erscheinen, als wenn an der vielbesprochenen Proscriptionsgeschichte doch etwas Wahres wäre, denn die Person, welche sie als den Preisaussetzcr angibt, ist eine ganz andere, als' jene, von welcher alle andern Berichte sprachen; dann stimmt auch die Zeit nicht überein, indem zwischen Bei¬ den der Zeitraum mehrerer Tage liegt. So viel ist aber sicher, daß von den Beamten im ersten Schrecken der Ueberraschung etwas Unzukömm- liches geschehen, welches vertuscht werden soll. Ist dieses aber eines Staats wie Oesterreich würdig? Wäre es nicht ebenso gerecht als hoch¬ herzig gewesen, wenn man den Beamten zur Verantwortung gezogen, und wenn nur der geringste Verdacht auf ihm ruht, ihn der allgemeinen Stimme gegenüber fallen gelassen hätte, statt ihm den Leopoldorden zu verleihen, und zum Gubernium nach Mähren zu versetzen. Letz- teres ist nun ebenfalls sehr bezeichnend. Denn entweder er hat sich um Galizien hebr verdient gemacht — warum versetzt man ihn dann, der so genau das Land und die Verhältnisse kennt? Hat er sich taktlos be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/274>, abgerufen am 24.07.2024.