Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Deutschungar, dessen Namen bisher nur in der Kinderwelt bekannt
war, oder, wie der Verfasser sich ausdrückt, den die Leserinnen des Büch¬
leins, die guten Mädchen wohl kennen," wendet sich hier dem erwach¬
senen Publicum zu.

In seinen Gedichten tritt dem Leser eine ziemlich ausgeprägte,
individuelle Weltanschauung entgegen, die sich jedoch weniger in den
ernsten als humoristischen Gedichten ausspricht. Hier, wo zeigt sich
eine Heiterkeit, welche bei der gedrückten Stimmung, in der sich der
Dichter offenbar befindet, sehr wohlthut.

Unter diesen humoristischen Gedichten kann das vom Till Eulen-
spiegel, besonders hervorgehoben werden,--eine Satyre auf das deutsche
Schulwesen und speciell auf die deutschen Universitäten. Till Eulen¬
spiegel, der Schalk, litt einmal Noth und es gelüstete ihm nach dem
fetten Leben im Kloster.

Er bewirbt sich dort um ein Ämtchen, und hat beim Abt ein Ex¬
amen zu bestehen, weist sich aus, daß er bei den Säulen des
Herkules Philosophie studirt hat, weiß von seinen Studien viel Er¬
götzliches zu erzählen, und wird vom Eraminator unter schallendem
Gelächter zum Kloster-Bibliothekar ernannt.

Unter den ernsteren Poesien verdient das Einleitungsgedicht An¬
erkennung, ferner "am Morgen", "Trennung in Regensburg" "Klage
und Vesperbrod". Außerdem einige auf Oesterreich bezügliche Poesien:
"die Czechenjungfrau auf der Wuttenburg, Nachtlager der Magyaren zur
Zeit ihrer Einwanderung, am Stein (ein Wirthshaus bei Altenburg
in Oesterreich) und Bäcker Martin. Namentlich in den beiden letztge¬
nannten Gedichten hat es der Verfasser so recht verstanden, auf den
zauberischen Klang, mit dem z. B. der Name der Donau mindestens
in unsere norddeutschen Ohren fällt, zu speculiren.

Wenn ich vorgestern einen Böhmen, und gestern einen Ungarn
las, so hat mich heute ein deutscher Dichter in Italien beschäftigt,
Bernhard von Lepel, welcher Lieder aus Rom herausgab.

Dieser Poet unterscheidet sich von andern Deutschen, welche bis¬
her in Rom gesungen haben. Er kann sich nämlich in Italien nicht
an dem Anblicke der Schatten einer großartigen Vergangenheit trösten,
von denen Goethe mit poetischer Kühnheit sagte, daß einer unter ihnen
mehr werth sei als das ganze heutige Geschlecht. Es fehlt dem ge¬
wiß talentvollen Dichter an dem, was ich den Anflug des Antiken
nennen möchte, um nicht schlechtweg die classische Bildung zu sagen.


Ein Deutschungar, dessen Namen bisher nur in der Kinderwelt bekannt
war, oder, wie der Verfasser sich ausdrückt, den die Leserinnen des Büch¬
leins, die guten Mädchen wohl kennen," wendet sich hier dem erwach¬
senen Publicum zu.

In seinen Gedichten tritt dem Leser eine ziemlich ausgeprägte,
individuelle Weltanschauung entgegen, die sich jedoch weniger in den
ernsten als humoristischen Gedichten ausspricht. Hier, wo zeigt sich
eine Heiterkeit, welche bei der gedrückten Stimmung, in der sich der
Dichter offenbar befindet, sehr wohlthut.

Unter diesen humoristischen Gedichten kann das vom Till Eulen-
spiegel, besonders hervorgehoben werden,—eine Satyre auf das deutsche
Schulwesen und speciell auf die deutschen Universitäten. Till Eulen¬
spiegel, der Schalk, litt einmal Noth und es gelüstete ihm nach dem
fetten Leben im Kloster.

Er bewirbt sich dort um ein Ämtchen, und hat beim Abt ein Ex¬
amen zu bestehen, weist sich aus, daß er bei den Säulen des
Herkules Philosophie studirt hat, weiß von seinen Studien viel Er¬
götzliches zu erzählen, und wird vom Eraminator unter schallendem
Gelächter zum Kloster-Bibliothekar ernannt.

Unter den ernsteren Poesien verdient das Einleitungsgedicht An¬
erkennung, ferner „am Morgen", „Trennung in Regensburg" „Klage
und Vesperbrod". Außerdem einige auf Oesterreich bezügliche Poesien:
„die Czechenjungfrau auf der Wuttenburg, Nachtlager der Magyaren zur
Zeit ihrer Einwanderung, am Stein (ein Wirthshaus bei Altenburg
in Oesterreich) und Bäcker Martin. Namentlich in den beiden letztge¬
nannten Gedichten hat es der Verfasser so recht verstanden, auf den
zauberischen Klang, mit dem z. B. der Name der Donau mindestens
in unsere norddeutschen Ohren fällt, zu speculiren.

Wenn ich vorgestern einen Böhmen, und gestern einen Ungarn
las, so hat mich heute ein deutscher Dichter in Italien beschäftigt,
Bernhard von Lepel, welcher Lieder aus Rom herausgab.

Dieser Poet unterscheidet sich von andern Deutschen, welche bis¬
her in Rom gesungen haben. Er kann sich nämlich in Italien nicht
an dem Anblicke der Schatten einer großartigen Vergangenheit trösten,
von denen Goethe mit poetischer Kühnheit sagte, daß einer unter ihnen
mehr werth sei als das ganze heutige Geschlecht. Es fehlt dem ge¬
wiß talentvollen Dichter an dem, was ich den Anflug des Antiken
nennen möchte, um nicht schlechtweg die classische Bildung zu sagen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183269"/>
          <p xml:id="ID_671" prev="#ID_670"> Ein Deutschungar, dessen Namen bisher nur in der Kinderwelt bekannt<lb/>
war, oder, wie der Verfasser sich ausdrückt, den die Leserinnen des Büch¬<lb/>
leins, die guten Mädchen wohl kennen," wendet sich hier dem erwach¬<lb/>
senen Publicum zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_672"> In seinen Gedichten tritt dem Leser eine ziemlich ausgeprägte,<lb/>
individuelle Weltanschauung entgegen, die sich jedoch weniger in den<lb/>
ernsten als humoristischen Gedichten ausspricht. Hier, wo zeigt sich<lb/>
eine Heiterkeit, welche bei der gedrückten Stimmung, in der sich der<lb/>
Dichter offenbar befindet, sehr wohlthut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_673"> Unter diesen humoristischen Gedichten kann das vom Till Eulen-<lb/>
spiegel, besonders hervorgehoben werden,&#x2014;eine Satyre auf das deutsche<lb/>
Schulwesen und speciell auf die deutschen Universitäten.  Till Eulen¬<lb/>
spiegel, der Schalk, litt einmal Noth und es gelüstete ihm nach dem<lb/>
fetten Leben im Kloster.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_674"> Er bewirbt sich dort um ein Ämtchen, und hat beim Abt ein Ex¬<lb/>
amen zu bestehen, weist sich aus, daß er bei den Säulen des<lb/>
Herkules Philosophie studirt hat, weiß von seinen Studien viel Er¬<lb/>
götzliches zu erzählen, und wird vom Eraminator unter schallendem<lb/>
Gelächter zum Kloster-Bibliothekar ernannt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_675"> Unter den ernsteren Poesien verdient das Einleitungsgedicht An¬<lb/>
erkennung, ferner &#x201E;am Morgen", &#x201E;Trennung in Regensburg" &#x201E;Klage<lb/>
und Vesperbrod". Außerdem einige auf Oesterreich bezügliche Poesien:<lb/>
&#x201E;die Czechenjungfrau auf der Wuttenburg, Nachtlager der Magyaren zur<lb/>
Zeit ihrer Einwanderung, am Stein (ein Wirthshaus bei Altenburg<lb/>
in Oesterreich) und Bäcker Martin. Namentlich in den beiden letztge¬<lb/>
nannten Gedichten hat es der Verfasser so recht verstanden, auf den<lb/>
zauberischen Klang, mit dem z. B. der Name der Donau mindestens<lb/>
in unsere norddeutschen Ohren fällt, zu speculiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_676"> Wenn ich vorgestern einen Böhmen, und gestern einen Ungarn<lb/>
las, so hat mich heute ein deutscher Dichter in Italien beschäftigt,<lb/>
Bernhard von Lepel, welcher Lieder aus Rom herausgab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_677" next="#ID_678"> Dieser Poet unterscheidet sich von andern Deutschen, welche bis¬<lb/>
her in Rom gesungen haben. Er kann sich nämlich in Italien nicht<lb/>
an dem Anblicke der Schatten einer großartigen Vergangenheit trösten,<lb/>
von denen Goethe mit poetischer Kühnheit sagte, daß einer unter ihnen<lb/>
mehr werth sei als das ganze heutige Geschlecht. Es fehlt dem ge¬<lb/>
wiß talentvollen Dichter an dem, was ich den Anflug des Antiken<lb/>
nennen möchte, um nicht schlechtweg die classische Bildung zu sagen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] Ein Deutschungar, dessen Namen bisher nur in der Kinderwelt bekannt war, oder, wie der Verfasser sich ausdrückt, den die Leserinnen des Büch¬ leins, die guten Mädchen wohl kennen," wendet sich hier dem erwach¬ senen Publicum zu. In seinen Gedichten tritt dem Leser eine ziemlich ausgeprägte, individuelle Weltanschauung entgegen, die sich jedoch weniger in den ernsten als humoristischen Gedichten ausspricht. Hier, wo zeigt sich eine Heiterkeit, welche bei der gedrückten Stimmung, in der sich der Dichter offenbar befindet, sehr wohlthut. Unter diesen humoristischen Gedichten kann das vom Till Eulen- spiegel, besonders hervorgehoben werden,—eine Satyre auf das deutsche Schulwesen und speciell auf die deutschen Universitäten. Till Eulen¬ spiegel, der Schalk, litt einmal Noth und es gelüstete ihm nach dem fetten Leben im Kloster. Er bewirbt sich dort um ein Ämtchen, und hat beim Abt ein Ex¬ amen zu bestehen, weist sich aus, daß er bei den Säulen des Herkules Philosophie studirt hat, weiß von seinen Studien viel Er¬ götzliches zu erzählen, und wird vom Eraminator unter schallendem Gelächter zum Kloster-Bibliothekar ernannt. Unter den ernsteren Poesien verdient das Einleitungsgedicht An¬ erkennung, ferner „am Morgen", „Trennung in Regensburg" „Klage und Vesperbrod". Außerdem einige auf Oesterreich bezügliche Poesien: „die Czechenjungfrau auf der Wuttenburg, Nachtlager der Magyaren zur Zeit ihrer Einwanderung, am Stein (ein Wirthshaus bei Altenburg in Oesterreich) und Bäcker Martin. Namentlich in den beiden letztge¬ nannten Gedichten hat es der Verfasser so recht verstanden, auf den zauberischen Klang, mit dem z. B. der Name der Donau mindestens in unsere norddeutschen Ohren fällt, zu speculiren. Wenn ich vorgestern einen Böhmen, und gestern einen Ungarn las, so hat mich heute ein deutscher Dichter in Italien beschäftigt, Bernhard von Lepel, welcher Lieder aus Rom herausgab. Dieser Poet unterscheidet sich von andern Deutschen, welche bis¬ her in Rom gesungen haben. Er kann sich nämlich in Italien nicht an dem Anblicke der Schatten einer großartigen Vergangenheit trösten, von denen Goethe mit poetischer Kühnheit sagte, daß einer unter ihnen mehr werth sei als das ganze heutige Geschlecht. Es fehlt dem ge¬ wiß talentvollen Dichter an dem, was ich den Anflug des Antiken nennen möchte, um nicht schlechtweg die classische Bildung zu sagen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/248>, abgerufen am 24.07.2024.