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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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steiler, der aus heißer Vaterlandsliebe gegen einen Gegner, oder wenn
man will, gegen einen vermeinten Gegner dieses seines Vaterlandes
schreibt, in's Gefängniß setzt -- müßt Ihr selbst für eine traurige Con-
sequenz erklären. Wohlan, werft diese Traurigkeit ab -- gebt ein Prcß-
gesctz, wie es der Zeit gemäß ist. Im Licht ist Freude!


-- Rainer. --
II.
Aus Berlin.

Die PatrimoniiUgerichtsbarkeit und die Mündlichkeit. -- Die Bühne. -- Fräu¬
lein von Mara.-- Die Musquetiere der Königin.-- Ein Bonmot von Heine.--
Fräulein Unzelmann. -- Noch ein Selbstmord.

Es soll nicht blos "zur Probe" sein, daß man das neue Gerichts¬
verfahren mit Mündlichkeit und Staatsanwalt vor der Hand blos auf
Berlin beschränkt; vielmehr soll ein hoher Wille sogleich die ganze Mon¬
archie damit haben dotiren wollen. Aber die Hochtorns, die hier und da
noch im Besitz der Patrimonialgerichtsbarkeit sind, haben Steine in den
Weg gerollt und wollen ihres Rechtes sich nicht vergeben. Und auf die¬
ses Hinderniß wird die Einführung des mündlichen Verfahrens in den
Provinzen noch lange stoßen, wenn nicht etwa die einzuberufenden Reichs¬
stände durch einen Parlamentsbeschluß dem Patrimonialunwesen auf ein
Mal ein Ende machen. Die Einberufung der Reichsstände hört mit
jedem Tage mehr auf in den Bereich der Seeschlangengeschichten zu ge¬
hören und dürfte, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch vor Neujahr in
den Vereich der wirklichen Geschichte mit Fleisch und Blut treten.

Trotz der glühenden Hitze macht das königl. Hoftheater doch recht
leidliche Geschäfte. Einige neue Gaste ließ Herr von Küstner eilig über
die Bühne laufen. Ordentlich als fürchtete man, es könnte eine bedeu¬
tendes Talent darunter sein, welches engagirt werden müßte. Hierzu
zahlen wir z. B. Mlle- Baumeister von der hannöverschen Bühne, ein
naturwüchsiges frisches Talent für Soubretten und muntere Liebhabe¬
rinnen. Sie gefiel in zwei Rollen außerordentlich, spielte aber nur drei
Mal und reif'te ab. Mlle. Kirchberg vom Prager Theater, ein ganz jun¬
ges Mädchen von anmuthiger Erscheinung, anmuthiger Stimme und
zugleich ausgebildeter Schule, für die Norma zu schwach, aber vortreff¬
lich sür Adalgise, Agathe u. s. w. namentlich hier, wo die Sängerin¬
nen dieser Art fehlen, kam drei Mal zum Spielen und reif'te dann
gleichfalls ab. Das Allcrunerhörteste aber findet mit Fräulein von Mara
statt. Diese Sängerin, der von Wien ein großer Ruf vorausging, kam
hierher. In einigen Privatcirkeln, wo sie singt, ist man entzückt über
diese wunderbare Erscheinung, welche eine Stimmlage von einer fast nie
dagewesenen Höhe besitzt und in den höchsten Noten Triller, Fiorituren
und Coloraturen mit einer Virtuosität vorbringt, die Erstaunen einflößt.
Aber die Intendanz will sie nicht zum Debüt kommen lassen. Endlich
singt sie bei Hofe; Alles umgibt sie mit Bewunderung und die kluge


steiler, der aus heißer Vaterlandsliebe gegen einen Gegner, oder wenn
man will, gegen einen vermeinten Gegner dieses seines Vaterlandes
schreibt, in's Gefängniß setzt — müßt Ihr selbst für eine traurige Con-
sequenz erklären. Wohlan, werft diese Traurigkeit ab — gebt ein Prcß-
gesctz, wie es der Zeit gemäß ist. Im Licht ist Freude!


— Rainer. —
II.
Aus Berlin.

Die PatrimoniiUgerichtsbarkeit und die Mündlichkeit. — Die Bühne. — Fräu¬
lein von Mara.— Die Musquetiere der Königin.— Ein Bonmot von Heine.—
Fräulein Unzelmann. — Noch ein Selbstmord.

Es soll nicht blos „zur Probe" sein, daß man das neue Gerichts¬
verfahren mit Mündlichkeit und Staatsanwalt vor der Hand blos auf
Berlin beschränkt; vielmehr soll ein hoher Wille sogleich die ganze Mon¬
archie damit haben dotiren wollen. Aber die Hochtorns, die hier und da
noch im Besitz der Patrimonialgerichtsbarkeit sind, haben Steine in den
Weg gerollt und wollen ihres Rechtes sich nicht vergeben. Und auf die¬
ses Hinderniß wird die Einführung des mündlichen Verfahrens in den
Provinzen noch lange stoßen, wenn nicht etwa die einzuberufenden Reichs¬
stände durch einen Parlamentsbeschluß dem Patrimonialunwesen auf ein
Mal ein Ende machen. Die Einberufung der Reichsstände hört mit
jedem Tage mehr auf in den Bereich der Seeschlangengeschichten zu ge¬
hören und dürfte, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch vor Neujahr in
den Vereich der wirklichen Geschichte mit Fleisch und Blut treten.

Trotz der glühenden Hitze macht das königl. Hoftheater doch recht
leidliche Geschäfte. Einige neue Gaste ließ Herr von Küstner eilig über
die Bühne laufen. Ordentlich als fürchtete man, es könnte eine bedeu¬
tendes Talent darunter sein, welches engagirt werden müßte. Hierzu
zahlen wir z. B. Mlle- Baumeister von der hannöverschen Bühne, ein
naturwüchsiges frisches Talent für Soubretten und muntere Liebhabe¬
rinnen. Sie gefiel in zwei Rollen außerordentlich, spielte aber nur drei
Mal und reif'te ab. Mlle. Kirchberg vom Prager Theater, ein ganz jun¬
ges Mädchen von anmuthiger Erscheinung, anmuthiger Stimme und
zugleich ausgebildeter Schule, für die Norma zu schwach, aber vortreff¬
lich sür Adalgise, Agathe u. s. w. namentlich hier, wo die Sängerin¬
nen dieser Art fehlen, kam drei Mal zum Spielen und reif'te dann
gleichfalls ab. Das Allcrunerhörteste aber findet mit Fräulein von Mara
statt. Diese Sängerin, der von Wien ein großer Ruf vorausging, kam
hierher. In einigen Privatcirkeln, wo sie singt, ist man entzückt über
diese wunderbare Erscheinung, welche eine Stimmlage von einer fast nie
dagewesenen Höhe besitzt und in den höchsten Noten Triller, Fiorituren
und Coloraturen mit einer Virtuosität vorbringt, die Erstaunen einflößt.
Aber die Intendanz will sie nicht zum Debüt kommen lassen. Endlich
singt sie bei Hofe; Alles umgibt sie mit Bewunderung und die kluge


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[0236] steiler, der aus heißer Vaterlandsliebe gegen einen Gegner, oder wenn man will, gegen einen vermeinten Gegner dieses seines Vaterlandes schreibt, in's Gefängniß setzt — müßt Ihr selbst für eine traurige Con- sequenz erklären. Wohlan, werft diese Traurigkeit ab — gebt ein Prcß- gesctz, wie es der Zeit gemäß ist. Im Licht ist Freude! — Rainer. — II. Aus Berlin. Die PatrimoniiUgerichtsbarkeit und die Mündlichkeit. — Die Bühne. — Fräu¬ lein von Mara.— Die Musquetiere der Königin.— Ein Bonmot von Heine.— Fräulein Unzelmann. — Noch ein Selbstmord. Es soll nicht blos „zur Probe" sein, daß man das neue Gerichts¬ verfahren mit Mündlichkeit und Staatsanwalt vor der Hand blos auf Berlin beschränkt; vielmehr soll ein hoher Wille sogleich die ganze Mon¬ archie damit haben dotiren wollen. Aber die Hochtorns, die hier und da noch im Besitz der Patrimonialgerichtsbarkeit sind, haben Steine in den Weg gerollt und wollen ihres Rechtes sich nicht vergeben. Und auf die¬ ses Hinderniß wird die Einführung des mündlichen Verfahrens in den Provinzen noch lange stoßen, wenn nicht etwa die einzuberufenden Reichs¬ stände durch einen Parlamentsbeschluß dem Patrimonialunwesen auf ein Mal ein Ende machen. Die Einberufung der Reichsstände hört mit jedem Tage mehr auf in den Bereich der Seeschlangengeschichten zu ge¬ hören und dürfte, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch vor Neujahr in den Vereich der wirklichen Geschichte mit Fleisch und Blut treten. Trotz der glühenden Hitze macht das königl. Hoftheater doch recht leidliche Geschäfte. Einige neue Gaste ließ Herr von Küstner eilig über die Bühne laufen. Ordentlich als fürchtete man, es könnte eine bedeu¬ tendes Talent darunter sein, welches engagirt werden müßte. Hierzu zahlen wir z. B. Mlle- Baumeister von der hannöverschen Bühne, ein naturwüchsiges frisches Talent für Soubretten und muntere Liebhabe¬ rinnen. Sie gefiel in zwei Rollen außerordentlich, spielte aber nur drei Mal und reif'te ab. Mlle. Kirchberg vom Prager Theater, ein ganz jun¬ ges Mädchen von anmuthiger Erscheinung, anmuthiger Stimme und zugleich ausgebildeter Schule, für die Norma zu schwach, aber vortreff¬ lich sür Adalgise, Agathe u. s. w. namentlich hier, wo die Sängerin¬ nen dieser Art fehlen, kam drei Mal zum Spielen und reif'te dann gleichfalls ab. Das Allcrunerhörteste aber findet mit Fräulein von Mara statt. Diese Sängerin, der von Wien ein großer Ruf vorausging, kam hierher. In einigen Privatcirkeln, wo sie singt, ist man entzückt über diese wunderbare Erscheinung, welche eine Stimmlage von einer fast nie dagewesenen Höhe besitzt und in den höchsten Noten Triller, Fiorituren und Coloraturen mit einer Virtuosität vorbringt, die Erstaunen einflößt. Aber die Intendanz will sie nicht zum Debüt kommen lassen. Endlich singt sie bei Hofe; Alles umgibt sie mit Bewunderung und die kluge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/236>, abgerufen am 26.06.2024.