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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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unsere ganze Zeit in ihrer socialen Entwicklung bis in die untersten
Glieder nicht für die Geschichtsmalerei bereits abgestorben sei und ob
nicht eben das sociale Leben der ganzen Masse mit seinen Leiden und
Freuden sich über den Stoff der Geschichtsmalerei vorgeschoben habe
und den eigentlichen Lebensfern unserer Kunst -- der dramatischen,
wie der bildenden -- ausmache.

Wir wollen nun im Kurzem jene Richtungen der Geschichtsma¬
lerei schildern, welche für Oesterreich von Bedeutung sind und dabei
zugleich auf die literarischen Verhältnisse Rücksicht nehmen, an welche
sich die künstlerischen Bestrebungen angelehnt haben. Jene sind zwar
dieselben (bis zur neuesten deutschen Literatur), welche sich auch außer¬
halb geltend gemacht haben; doch ist es bemerkenswert), daß der
Oesterreicher, so gerne er sich auch dem herrschenden Zuge hingibt,
doch selten mit voller Begeisterung und einer gewissen, den Stoff ge¬
staltenden Ursprünglichkeit an's Werk geht; daher diese Erzeugnisse in Li¬
teratur und Kunst das Gemachte, nachgeahmte sehr leserlich an der
Stirne tragen.

Die antikisirende Richtung ist wohl eine der bedeutendsten
und durch die Talente Füger, Abel u. s. w. auch eine der anerkann¬
testen geworden, wiewohl ihre Nachklänge mehr noch in der Schule
als im Kunstleben spürbar sind. Sie schreibt sich aus der Zeit her,
wo man glaubte, eine Regeneration der Kunst einzig und allein aus
der Antike schöpfen zu müssen. Man zog den plastischen Gestalten¬
reichthum ohne Verständniß in das Gebiet der Malerei hinüber; da¬
rum zeigen auch diese Gemälde durchaus etwas Kaltes, ja man möchte
sagen, etwas steinernes, denn man lauschte der Antike blos eine ge¬
wisse Regelmäßigkeit in Gestalt und Faltenwurf ab, drang aber durch
dieses Aeußere nicht bis zum warmen Leben, welches in ihnen liegt.
Und dieses antikisirende Element blieb auch den gelehrten Kreisen nicht
fremd. Selbst im täglichen Leben sah man sehr nüchterne Gestalten
in Porjraits als Hebe, Juno u. s. w. abgebildet. Alle Ereignisse im
politischen Leben fanden ihre künstlerische Darstellung durch ähnliche
Begebenheiten im römischen oder griechischen Staatsleben und selbst
den christlichen Mythos durchzog die lange Reihe antiker Stylbil-
düngen, wie man aus Füger's Kupfer zu Klopstocks Messiade erse¬
hen kann.

Aber schon seit Langem hat sich die Kunst des Tages dieser Nach¬
ahmung entzogen und wahrscheinlich wäre sie schon ohne weitere Nach¬
wirkung verschwunden, wenn nicht eben in jene Zeit die Einrichtung


unsere ganze Zeit in ihrer socialen Entwicklung bis in die untersten
Glieder nicht für die Geschichtsmalerei bereits abgestorben sei und ob
nicht eben das sociale Leben der ganzen Masse mit seinen Leiden und
Freuden sich über den Stoff der Geschichtsmalerei vorgeschoben habe
und den eigentlichen Lebensfern unserer Kunst — der dramatischen,
wie der bildenden — ausmache.

Wir wollen nun im Kurzem jene Richtungen der Geschichtsma¬
lerei schildern, welche für Oesterreich von Bedeutung sind und dabei
zugleich auf die literarischen Verhältnisse Rücksicht nehmen, an welche
sich die künstlerischen Bestrebungen angelehnt haben. Jene sind zwar
dieselben (bis zur neuesten deutschen Literatur), welche sich auch außer¬
halb geltend gemacht haben; doch ist es bemerkenswert), daß der
Oesterreicher, so gerne er sich auch dem herrschenden Zuge hingibt,
doch selten mit voller Begeisterung und einer gewissen, den Stoff ge¬
staltenden Ursprünglichkeit an's Werk geht; daher diese Erzeugnisse in Li¬
teratur und Kunst das Gemachte, nachgeahmte sehr leserlich an der
Stirne tragen.

Die antikisirende Richtung ist wohl eine der bedeutendsten
und durch die Talente Füger, Abel u. s. w. auch eine der anerkann¬
testen geworden, wiewohl ihre Nachklänge mehr noch in der Schule
als im Kunstleben spürbar sind. Sie schreibt sich aus der Zeit her,
wo man glaubte, eine Regeneration der Kunst einzig und allein aus
der Antike schöpfen zu müssen. Man zog den plastischen Gestalten¬
reichthum ohne Verständniß in das Gebiet der Malerei hinüber; da¬
rum zeigen auch diese Gemälde durchaus etwas Kaltes, ja man möchte
sagen, etwas steinernes, denn man lauschte der Antike blos eine ge¬
wisse Regelmäßigkeit in Gestalt und Faltenwurf ab, drang aber durch
dieses Aeußere nicht bis zum warmen Leben, welches in ihnen liegt.
Und dieses antikisirende Element blieb auch den gelehrten Kreisen nicht
fremd. Selbst im täglichen Leben sah man sehr nüchterne Gestalten
in Porjraits als Hebe, Juno u. s. w. abgebildet. Alle Ereignisse im
politischen Leben fanden ihre künstlerische Darstellung durch ähnliche
Begebenheiten im römischen oder griechischen Staatsleben und selbst
den christlichen Mythos durchzog die lange Reihe antiker Stylbil-
düngen, wie man aus Füger's Kupfer zu Klopstocks Messiade erse¬
hen kann.

Aber schon seit Langem hat sich die Kunst des Tages dieser Nach¬
ahmung entzogen und wahrscheinlich wäre sie schon ohne weitere Nach¬
wirkung verschwunden, wenn nicht eben in jene Zeit die Einrichtung


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[0114] unsere ganze Zeit in ihrer socialen Entwicklung bis in die untersten Glieder nicht für die Geschichtsmalerei bereits abgestorben sei und ob nicht eben das sociale Leben der ganzen Masse mit seinen Leiden und Freuden sich über den Stoff der Geschichtsmalerei vorgeschoben habe und den eigentlichen Lebensfern unserer Kunst — der dramatischen, wie der bildenden — ausmache. Wir wollen nun im Kurzem jene Richtungen der Geschichtsma¬ lerei schildern, welche für Oesterreich von Bedeutung sind und dabei zugleich auf die literarischen Verhältnisse Rücksicht nehmen, an welche sich die künstlerischen Bestrebungen angelehnt haben. Jene sind zwar dieselben (bis zur neuesten deutschen Literatur), welche sich auch außer¬ halb geltend gemacht haben; doch ist es bemerkenswert), daß der Oesterreicher, so gerne er sich auch dem herrschenden Zuge hingibt, doch selten mit voller Begeisterung und einer gewissen, den Stoff ge¬ staltenden Ursprünglichkeit an's Werk geht; daher diese Erzeugnisse in Li¬ teratur und Kunst das Gemachte, nachgeahmte sehr leserlich an der Stirne tragen. Die antikisirende Richtung ist wohl eine der bedeutendsten und durch die Talente Füger, Abel u. s. w. auch eine der anerkann¬ testen geworden, wiewohl ihre Nachklänge mehr noch in der Schule als im Kunstleben spürbar sind. Sie schreibt sich aus der Zeit her, wo man glaubte, eine Regeneration der Kunst einzig und allein aus der Antike schöpfen zu müssen. Man zog den plastischen Gestalten¬ reichthum ohne Verständniß in das Gebiet der Malerei hinüber; da¬ rum zeigen auch diese Gemälde durchaus etwas Kaltes, ja man möchte sagen, etwas steinernes, denn man lauschte der Antike blos eine ge¬ wisse Regelmäßigkeit in Gestalt und Faltenwurf ab, drang aber durch dieses Aeußere nicht bis zum warmen Leben, welches in ihnen liegt. Und dieses antikisirende Element blieb auch den gelehrten Kreisen nicht fremd. Selbst im täglichen Leben sah man sehr nüchterne Gestalten in Porjraits als Hebe, Juno u. s. w. abgebildet. Alle Ereignisse im politischen Leben fanden ihre künstlerische Darstellung durch ähnliche Begebenheiten im römischen oder griechischen Staatsleben und selbst den christlichen Mythos durchzog die lange Reihe antiker Stylbil- düngen, wie man aus Füger's Kupfer zu Klopstocks Messiade erse¬ hen kann. Aber schon seit Langem hat sich die Kunst des Tages dieser Nach¬ ahmung entzogen und wahrscheinlich wäre sie schon ohne weitere Nach¬ wirkung verschwunden, wenn nicht eben in jene Zeit die Einrichtung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/114>, abgerufen am 24.07.2024.