Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.freie Gemeindeverfassung einführte und noch so große Vortheile be¬ IN. Reclame". Wir möchten unsere Sprachpuristen, die alle Fremdworte aus Der Deutsche glaubt um Vieles sittlicher als der Franzose zu Einstweilen aber ist Tüchtigkeit und Heimlichkeit noch unser Grenzbotcn, 184", I. 7g
freie Gemeindeverfassung einführte und noch so große Vortheile be¬ IN. Reclame». Wir möchten unsere Sprachpuristen, die alle Fremdworte aus Der Deutsche glaubt um Vieles sittlicher als der Franzose zu Einstweilen aber ist Tüchtigkeit und Heimlichkeit noch unser Grenzbotcn, 184«, I. 7g
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freie Gemeindeverfassung einführte und noch so große Vortheile be¬
willigte: die Ostseeprovinzen haden nun einmal für die Einbildungs¬
krast nicht denselben'Reiz des Jenseitigen, wie Amerika.
IN.
Reclame».
Wir möchten unsere Sprachpuristen, die alle Fremdworte aus
unserem Schriftthum (bei Leibe nicht: Literatur!) verbannt sehen
wollen, ein Mal fragen, wie sie das Wort Reclame übersetzen und
ersetzen möchten? Wir wollen uns alles gefallen lassen, wir wollen
statt Constitution Verfassung sagen, obsckon auch Rußland, die Türkei
und China auch eine Verfassung haben, wir wollen statt l'-illie
ö'ete,t« Wirthstafel sagen, statt Radicale Gründliche, statt Restaura¬
tionsepoche Wiederhcrstellungszeit, statt das Parterre applaudirte — die
Ebenerdigen beifallklatschten, wir wollen jedes Fremdwort verbannen,
wie den Cafe zur Zeit der Continentalsperre (Verzeihung! soll heißen
Fcstlandssperre), aber Eins wissen wir nicht zu übersetzen, wie sehr
wir auch Grimm und Adelung und Heinsius durchwühlten, für das
Wort Reclame haben wir keine Uebersetzung gesunden.
Der Deutsche glaubt um Vieles sittlicher als der Franzose zu
sein, weil er züchtiger, das heißt heimlicher mit seinen Lastern ist
und sie nicht beim wahren Namen nennt; er ist aber im Grunde
nur heuchlerischer und weniger geneigt, sich selbst klar zu werden.
Wenn erst in Deutschland die Gerichtshöfe aller Welt zugänglich, die
Gerichtsverhandlungen nicht mehr unter dem Siegel der Vehme sein
werden, dann werden wir erstaunen über den Reichthum von brillan¬
ten Lastern, über welche wir zu gebieten haben, wir werden nicht
mehr aus der Gazette des Tribuneaux die piquantesten Crmiinalge-
schichten entlehnen müssen, wir werden uns von dem französischen
Markt emancipiren und auf eigenem Felde ackern und ärndten. Offen¬
bar ist es nur im Interesse der „Züchtigkeit", daß die hohen Re¬
gierungen uns die Oeffentlichkeit entziehen, offenbar wollen sie unserer
Poesie die Gelbveiglein Unschuld ferner wahren. Aber die kleinen
Nisse, die hie und da in den Vorhang der Heimlichkeit gerathen,
und die giftmischenden Nuthartsprocesse, die wcinvcrfalschcnden Kreis-
gerichtsdirectorenanklagen, die vielverheißend durchschimmern, lassen
uns einen ganzen Christbaum von Selbsterkenntniß erwarten, wenn
wir Kinder erst in die lang verschlossene Kammer hinein dürfen, einen
Christbaum, dessen Lichter nicht blos aus dem Talg der untersten
Classen gezogen sind, sondern zu denen die hochlöblichen und
hohen Gesellschaftsschichten gar viele Kerzen uns aufstecken werden.
Einstweilen aber ist Tüchtigkeit und Heimlichkeit noch unser
zweites Gebot, und da wir über die wichtigsten Krankheiten der deut-
Grenzbotcn, 184«, I. 7g
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