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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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den den Studenten denen sie nachäffen, so erscheinen die meisten
deutschen Flüchtlinge neben den politischen Verbrechern aus Polen,
Italien oder Spanien. Die als harmlose Jungen geflohen sind,
werden erst durch das Elend der Fremde zu irgend einer wirklichen
Schuld gebracht; und an den meisten geht ein ordnungslieben¬
der deutscher Hausvater verloren. Tragisch und manchmal tragi¬
komisch ist die Carriere, auf welche der ideologische deutsche Schwär¬
mer getrieben zu werden pflegt. Der Eine endet im Wahnsinn,
der Andere klopft Chausseestcine; da ist ein Candidatus Juris
aus Noth Friseur geworden und ein ehemaliger Philosoph, der
die geheimsten Wurzeln des Universums durch die freie Forschung
erschütterte, macht Annoncen für einen Hühneraugenoperateur in
London, der durch die verwegenste Charlatanerie ein Haus in
Piccadilly und eine glänzende Equipage sich erobert hat. -- Die
Edelsten und stolzesten gehen am frühsten zu Grunde, während
ein leichtes Abenteurertalent Manchen emporträgt. S. hoffte noch
immer auf einen festen grünen Zweig und versuchte alles Mögliche.
Er döctorte -- als gewesener Mediciner -- gab Unterricht in deut¬
scher Sprache, und machte den Pcnnyaliner; zugleich unterhielt er
eine Liebschaft mit einer gewesenen Schülerin. Dieses Verhältniß
pflegte er mit pflichteifrigem Ernst, wie ein auf Avancement die¬
nender Referendar sein Amt. Jeden Sonntag ging er zur Predigt,
bezahlte jährlich eine Guinee für seinen Platz im Kirchenstuhl, um
ein re8>,celni"to )vunA man zu heißen; denn er hatte ehrliche Ab¬
sichten mit seiner Heloise, weniger aus Liebe, wie aus Nahrungs¬
sorgen. Doch lassen wir das und machen wir einen Sprung aus
der Nähe von Pettycoatlane nach New Road, wo mir mein Cice¬
rone eine Privatwohnung suchen wollte.

New Road ist eine und eine halbe Stunde lang. Denke dir
eine breite, breite Landstraße, die zwischen zwei endlosen Städten
in sanften Wellenlinien auf und ab führt. Am schönsten ist die
Partie, wo die sogenannten Terraces liegen. Nicht die Häuser
an sich imponiren hier dem Auge; sie machen vielmehr mit ihren
platten Dächern, hohen Schornsteinen und torffarbigen Mauern
einen trüben Eindruck. Aber zwischen den Häuserzeilen und den
Trottoirs auf beiden Seiten dehnen sich eben so lange, fächerför
nig abgetheilte und eingegitterte Gartenreihen hin. Den Eingang


den den Studenten denen sie nachäffen, so erscheinen die meisten
deutschen Flüchtlinge neben den politischen Verbrechern aus Polen,
Italien oder Spanien. Die als harmlose Jungen geflohen sind,
werden erst durch das Elend der Fremde zu irgend einer wirklichen
Schuld gebracht; und an den meisten geht ein ordnungslieben¬
der deutscher Hausvater verloren. Tragisch und manchmal tragi¬
komisch ist die Carriere, auf welche der ideologische deutsche Schwär¬
mer getrieben zu werden pflegt. Der Eine endet im Wahnsinn,
der Andere klopft Chausseestcine; da ist ein Candidatus Juris
aus Noth Friseur geworden und ein ehemaliger Philosoph, der
die geheimsten Wurzeln des Universums durch die freie Forschung
erschütterte, macht Annoncen für einen Hühneraugenoperateur in
London, der durch die verwegenste Charlatanerie ein Haus in
Piccadilly und eine glänzende Equipage sich erobert hat. — Die
Edelsten und stolzesten gehen am frühsten zu Grunde, während
ein leichtes Abenteurertalent Manchen emporträgt. S. hoffte noch
immer auf einen festen grünen Zweig und versuchte alles Mögliche.
Er döctorte — als gewesener Mediciner — gab Unterricht in deut¬
scher Sprache, und machte den Pcnnyaliner; zugleich unterhielt er
eine Liebschaft mit einer gewesenen Schülerin. Dieses Verhältniß
pflegte er mit pflichteifrigem Ernst, wie ein auf Avancement die¬
nender Referendar sein Amt. Jeden Sonntag ging er zur Predigt,
bezahlte jährlich eine Guinee für seinen Platz im Kirchenstuhl, um
ein re8>,celni»to )vunA man zu heißen; denn er hatte ehrliche Ab¬
sichten mit seiner Heloise, weniger aus Liebe, wie aus Nahrungs¬
sorgen. Doch lassen wir das und machen wir einen Sprung aus
der Nähe von Pettycoatlane nach New Road, wo mir mein Cice¬
rone eine Privatwohnung suchen wollte.

New Road ist eine und eine halbe Stunde lang. Denke dir
eine breite, breite Landstraße, die zwischen zwei endlosen Städten
in sanften Wellenlinien auf und ab führt. Am schönsten ist die
Partie, wo die sogenannten Terraces liegen. Nicht die Häuser
an sich imponiren hier dem Auge; sie machen vielmehr mit ihren
platten Dächern, hohen Schornsteinen und torffarbigen Mauern
einen trüben Eindruck. Aber zwischen den Häuserzeilen und den
Trottoirs auf beiden Seiten dehnen sich eben so lange, fächerför
nig abgetheilte und eingegitterte Gartenreihen hin. Den Eingang


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[0593] den den Studenten denen sie nachäffen, so erscheinen die meisten deutschen Flüchtlinge neben den politischen Verbrechern aus Polen, Italien oder Spanien. Die als harmlose Jungen geflohen sind, werden erst durch das Elend der Fremde zu irgend einer wirklichen Schuld gebracht; und an den meisten geht ein ordnungslieben¬ der deutscher Hausvater verloren. Tragisch und manchmal tragi¬ komisch ist die Carriere, auf welche der ideologische deutsche Schwär¬ mer getrieben zu werden pflegt. Der Eine endet im Wahnsinn, der Andere klopft Chausseestcine; da ist ein Candidatus Juris aus Noth Friseur geworden und ein ehemaliger Philosoph, der die geheimsten Wurzeln des Universums durch die freie Forschung erschütterte, macht Annoncen für einen Hühneraugenoperateur in London, der durch die verwegenste Charlatanerie ein Haus in Piccadilly und eine glänzende Equipage sich erobert hat. — Die Edelsten und stolzesten gehen am frühsten zu Grunde, während ein leichtes Abenteurertalent Manchen emporträgt. S. hoffte noch immer auf einen festen grünen Zweig und versuchte alles Mögliche. Er döctorte — als gewesener Mediciner — gab Unterricht in deut¬ scher Sprache, und machte den Pcnnyaliner; zugleich unterhielt er eine Liebschaft mit einer gewesenen Schülerin. Dieses Verhältniß pflegte er mit pflichteifrigem Ernst, wie ein auf Avancement die¬ nender Referendar sein Amt. Jeden Sonntag ging er zur Predigt, bezahlte jährlich eine Guinee für seinen Platz im Kirchenstuhl, um ein re8>,celni»to )vunA man zu heißen; denn er hatte ehrliche Ab¬ sichten mit seiner Heloise, weniger aus Liebe, wie aus Nahrungs¬ sorgen. Doch lassen wir das und machen wir einen Sprung aus der Nähe von Pettycoatlane nach New Road, wo mir mein Cice¬ rone eine Privatwohnung suchen wollte. New Road ist eine und eine halbe Stunde lang. Denke dir eine breite, breite Landstraße, die zwischen zwei endlosen Städten in sanften Wellenlinien auf und ab führt. Am schönsten ist die Partie, wo die sogenannten Terraces liegen. Nicht die Häuser an sich imponiren hier dem Auge; sie machen vielmehr mit ihren platten Dächern, hohen Schornsteinen und torffarbigen Mauern einen trüben Eindruck. Aber zwischen den Häuserzeilen und den Trottoirs auf beiden Seiten dehnen sich eben so lange, fächerför nig abgetheilte und eingegitterte Gartenreihen hin. Den Eingang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/593>, abgerufen am 01.09.2024.