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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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theaterspielend, und für Literatur hegt man in allen Kreisen, in al¬
len Altern eine nicht gewöhnliche Theilnahme. Die belletristische
Buchlectüre wird vorzüglich von den Frauen gepflegt, die Journa¬
listik interessirt vorzugsweise die vielbeschäftigte, daher zu anhalten-
der außergeschäftlicher Lectüre selten aufgelegte Männerwelt. Man
kann übrigens nicht sagen, daß unter den Frauen eine bestimmte
Richtung in der belletristischen Literatur vorzugsweise beliebt sei.
Dazu ist der Büchermarkt zu groß und dessen Benutzung nach al¬
len Richtungen hin durch den Sortimentsbuchhandel sowohl, als
durch die Leihbibliotheken zu sehr erleichtert. Wie man jeder künst¬
lerisch oder literarisch irgend bedeutenden Persönlichkeit, deren so
viele längere oder kürzere Zeit Leipzig zum Aufenthaltsort wählen,
mit geselliger Artigkeit und Zuvorkommenheit begegnet, so läßt
man auch jedem Aufsehen erregen den Buche eine gewisse Beachtung
angedeihen. Man macht die Mode mit -- unis rieu 6e plus.
So sprach man einige Winter lang von Jda Hahn-Hahn, dann
von Godwin-Castle und Se. Roche, dazwischen von Pückler, auch
beiläufig von Friederike Bremer und man spricht jetzt von StiftersStudien
und Berthold Auerbach's volksthümlichen Dichtungen. Auch die
Anderes tlo t>ilri8 und der .tun err-me schlugen ihren Lärmen,
wie früher Boz-Diken'S und Bulwer's Schöpfungen; allein eine
eigentliche Vorliebe für nichtdeutsche Literatur ist doch nicht in dem
Grade vorhanden, wie sie leider in manchen andern Großstädten
Deutschlands noch heute gerad unter der Gesellschaft gilt. Wie
aber die Alten singen, so zwitschern die Jungen. Auch von der
erblühenden Frauenwelt gilt fast dasselbe, wie von der gereifter";
nur daß hier im Allgemeinen ein unmittelbarer Lebensgenuß die
Lectüre überhaupt nur zu einem minder starken Interesse emporwachsen
läßt. Diesen Allcrökreisen ist dagegen vorzugsweise die Pflege der
Musik anvertraut. Daß neben dieser verhältnißmäßig nur selten
eine andere der Künste geübt wird, ist sehr natürlich, da im Gan¬
zen für eine Eingewöhnung in die Anschauung der Werke pla¬
stischer Kunst nur geringe Gelegenheit gegeben ist. Die künstleri¬
sche Neigung erhält von frühester Zeit an auch vorzugsweise ihre
Richtung nach dem Reiche der Töne hin und der Dilentantiömuö
in der Musik erreicht dadurch allerdings gar nicht selten eine Kunst,
Höhe, welche der Virtuosität ziemlich nahe kömmt. Die Musiklieb-


theaterspielend, und für Literatur hegt man in allen Kreisen, in al¬
len Altern eine nicht gewöhnliche Theilnahme. Die belletristische
Buchlectüre wird vorzüglich von den Frauen gepflegt, die Journa¬
listik interessirt vorzugsweise die vielbeschäftigte, daher zu anhalten-
der außergeschäftlicher Lectüre selten aufgelegte Männerwelt. Man
kann übrigens nicht sagen, daß unter den Frauen eine bestimmte
Richtung in der belletristischen Literatur vorzugsweise beliebt sei.
Dazu ist der Büchermarkt zu groß und dessen Benutzung nach al¬
len Richtungen hin durch den Sortimentsbuchhandel sowohl, als
durch die Leihbibliotheken zu sehr erleichtert. Wie man jeder künst¬
lerisch oder literarisch irgend bedeutenden Persönlichkeit, deren so
viele längere oder kürzere Zeit Leipzig zum Aufenthaltsort wählen,
mit geselliger Artigkeit und Zuvorkommenheit begegnet, so läßt
man auch jedem Aufsehen erregen den Buche eine gewisse Beachtung
angedeihen. Man macht die Mode mit — unis rieu 6e plus.
So sprach man einige Winter lang von Jda Hahn-Hahn, dann
von Godwin-Castle und Se. Roche, dazwischen von Pückler, auch
beiläufig von Friederike Bremer und man spricht jetzt von StiftersStudien
und Berthold Auerbach's volksthümlichen Dichtungen. Auch die
Anderes tlo t>ilri8 und der .tun err-me schlugen ihren Lärmen,
wie früher Boz-Diken'S und Bulwer's Schöpfungen; allein eine
eigentliche Vorliebe für nichtdeutsche Literatur ist doch nicht in dem
Grade vorhanden, wie sie leider in manchen andern Großstädten
Deutschlands noch heute gerad unter der Gesellschaft gilt. Wie
aber die Alten singen, so zwitschern die Jungen. Auch von der
erblühenden Frauenwelt gilt fast dasselbe, wie von der gereifter»;
nur daß hier im Allgemeinen ein unmittelbarer Lebensgenuß die
Lectüre überhaupt nur zu einem minder starken Interesse emporwachsen
läßt. Diesen Allcrökreisen ist dagegen vorzugsweise die Pflege der
Musik anvertraut. Daß neben dieser verhältnißmäßig nur selten
eine andere der Künste geübt wird, ist sehr natürlich, da im Gan¬
zen für eine Eingewöhnung in die Anschauung der Werke pla¬
stischer Kunst nur geringe Gelegenheit gegeben ist. Die künstleri¬
sche Neigung erhält von frühester Zeit an auch vorzugsweise ihre
Richtung nach dem Reiche der Töne hin und der Dilentantiömuö
in der Musik erreicht dadurch allerdings gar nicht selten eine Kunst,
Höhe, welche der Virtuosität ziemlich nahe kömmt. Die Musiklieb-


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[0547] theaterspielend, und für Literatur hegt man in allen Kreisen, in al¬ len Altern eine nicht gewöhnliche Theilnahme. Die belletristische Buchlectüre wird vorzüglich von den Frauen gepflegt, die Journa¬ listik interessirt vorzugsweise die vielbeschäftigte, daher zu anhalten- der außergeschäftlicher Lectüre selten aufgelegte Männerwelt. Man kann übrigens nicht sagen, daß unter den Frauen eine bestimmte Richtung in der belletristischen Literatur vorzugsweise beliebt sei. Dazu ist der Büchermarkt zu groß und dessen Benutzung nach al¬ len Richtungen hin durch den Sortimentsbuchhandel sowohl, als durch die Leihbibliotheken zu sehr erleichtert. Wie man jeder künst¬ lerisch oder literarisch irgend bedeutenden Persönlichkeit, deren so viele längere oder kürzere Zeit Leipzig zum Aufenthaltsort wählen, mit geselliger Artigkeit und Zuvorkommenheit begegnet, so läßt man auch jedem Aufsehen erregen den Buche eine gewisse Beachtung angedeihen. Man macht die Mode mit — unis rieu 6e plus. So sprach man einige Winter lang von Jda Hahn-Hahn, dann von Godwin-Castle und Se. Roche, dazwischen von Pückler, auch beiläufig von Friederike Bremer und man spricht jetzt von StiftersStudien und Berthold Auerbach's volksthümlichen Dichtungen. Auch die Anderes tlo t>ilri8 und der .tun err-me schlugen ihren Lärmen, wie früher Boz-Diken'S und Bulwer's Schöpfungen; allein eine eigentliche Vorliebe für nichtdeutsche Literatur ist doch nicht in dem Grade vorhanden, wie sie leider in manchen andern Großstädten Deutschlands noch heute gerad unter der Gesellschaft gilt. Wie aber die Alten singen, so zwitschern die Jungen. Auch von der erblühenden Frauenwelt gilt fast dasselbe, wie von der gereifter»; nur daß hier im Allgemeinen ein unmittelbarer Lebensgenuß die Lectüre überhaupt nur zu einem minder starken Interesse emporwachsen läßt. Diesen Allcrökreisen ist dagegen vorzugsweise die Pflege der Musik anvertraut. Daß neben dieser verhältnißmäßig nur selten eine andere der Künste geübt wird, ist sehr natürlich, da im Gan¬ zen für eine Eingewöhnung in die Anschauung der Werke pla¬ stischer Kunst nur geringe Gelegenheit gegeben ist. Die künstleri¬ sche Neigung erhält von frühester Zeit an auch vorzugsweise ihre Richtung nach dem Reiche der Töne hin und der Dilentantiömuö in der Musik erreicht dadurch allerdings gar nicht selten eine Kunst, Höhe, welche der Virtuosität ziemlich nahe kömmt. Die Musiklieb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/547>, abgerufen am 02.09.2024.