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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und Griechenzeit oder im Mittelalter. Der Mensch kann nicht nur
ein eben so hohes Alter erreichen wie einst -- Hufeland, der dies
zugab, jedoch hinzufügte, daß die Zahl derjenigen die das höchste
Alter erreichen, in modernen Zeiten abgenommen habe, scheint sich
in dieser Hinsicht geirrt zu haben -- der Unterschied, wenn einer
anzunehmen ist, fallt zu Gunsten der neuern Zeit aus.

Wir werden diesen letztern Punkt nicht weiter verfolgen, weil
wir, aus Mangel an hinreichenden Angaben, zu keinem genauen
Facit gelangen würden. Um jedoch annähernd zu schließen, darf
man nur einen Blick auf die Dauer moderner Regierungsepochcn
und auf das Alter der regierenden Häupter von sonst werfen. Das
Alter, welches Ludwig XIV., Georges II., Stanislaus von Po¬
len, Friedrich der Große und Clemens Xll. erreichten, hätten in
der antiken Welt gewiß mehr Aufsehe" gemacht als in der mo¬
dernen.

Hufeland selber sagt, daß man in der alten Geschichte wenig
Könige antrifft, die 80 Jahre alt geworden; in der ganzen lan¬
gen Reihe römischer Kaiser sind es nur vier: Gordian, Valerian,
Anastasius und Justinian. Augustus starb zu 76 und Tiberius
zu 78 Jahren. Vergleicht man damit z. B. die Könige von Frank¬
reich, so findet man nicht nur verhältnißmäßig zahlreichere Bei¬
spiele von hohem Alter, sondern auch im Allgemeinen eine längere
Dauer jeder Regierungszeit. Haller schon machte darauf aufmerk¬
sam, daß man unter den Senatoren von Bern in moderner Zeit
ältere Herren sehe als voreinst. -- Auch folgender Umstand ist be¬
merkenswerth: In den meisten großen Städten, wo es Greisenho¬
spitale gibt, die gewöhnlich im Mittelalter gegründet wurden, und
wo ein bestimmtes Alter die erste Bedingung der Aufnahme ist, hat
die Zahl der Betten vermehrt werden müssen und zwar in einer
Progression, die stärker ist als der Anwachs der Bevölkerung und
die Anhäufung deS Vermögens auf einzelnen Punkten. --

Manche Schriftsteller geben nun zwar die ersten beiden Sätze
des oben erwähnten Irrthums preis, klemmen sich aber desto hart¬
näckiger auf den dritten Punkt und behaupten , daß die Civili¬
sation die Zahl der Krankheiten vermehrt habe. Pro¬
fessor Marx in Göttingen hat diesen Wahn in einer vortrefflichen


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und Griechenzeit oder im Mittelalter. Der Mensch kann nicht nur
ein eben so hohes Alter erreichen wie einst — Hufeland, der dies
zugab, jedoch hinzufügte, daß die Zahl derjenigen die das höchste
Alter erreichen, in modernen Zeiten abgenommen habe, scheint sich
in dieser Hinsicht geirrt zu haben — der Unterschied, wenn einer
anzunehmen ist, fallt zu Gunsten der neuern Zeit aus.

Wir werden diesen letztern Punkt nicht weiter verfolgen, weil
wir, aus Mangel an hinreichenden Angaben, zu keinem genauen
Facit gelangen würden. Um jedoch annähernd zu schließen, darf
man nur einen Blick auf die Dauer moderner Regierungsepochcn
und auf das Alter der regierenden Häupter von sonst werfen. Das
Alter, welches Ludwig XIV., Georges II., Stanislaus von Po¬
len, Friedrich der Große und Clemens Xll. erreichten, hätten in
der antiken Welt gewiß mehr Aufsehe» gemacht als in der mo¬
dernen.

Hufeland selber sagt, daß man in der alten Geschichte wenig
Könige antrifft, die 80 Jahre alt geworden; in der ganzen lan¬
gen Reihe römischer Kaiser sind es nur vier: Gordian, Valerian,
Anastasius und Justinian. Augustus starb zu 76 und Tiberius
zu 78 Jahren. Vergleicht man damit z. B. die Könige von Frank¬
reich, so findet man nicht nur verhältnißmäßig zahlreichere Bei¬
spiele von hohem Alter, sondern auch im Allgemeinen eine längere
Dauer jeder Regierungszeit. Haller schon machte darauf aufmerk¬
sam, daß man unter den Senatoren von Bern in moderner Zeit
ältere Herren sehe als voreinst. — Auch folgender Umstand ist be¬
merkenswerth: In den meisten großen Städten, wo es Greisenho¬
spitale gibt, die gewöhnlich im Mittelalter gegründet wurden, und
wo ein bestimmtes Alter die erste Bedingung der Aufnahme ist, hat
die Zahl der Betten vermehrt werden müssen und zwar in einer
Progression, die stärker ist als der Anwachs der Bevölkerung und
die Anhäufung deS Vermögens auf einzelnen Punkten. —

Manche Schriftsteller geben nun zwar die ersten beiden Sätze
des oben erwähnten Irrthums preis, klemmen sich aber desto hart¬
näckiger auf den dritten Punkt und behaupten , daß die Civili¬
sation die Zahl der Krankheiten vermehrt habe. Pro¬
fessor Marx in Göttingen hat diesen Wahn in einer vortrefflichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/535>, abgerufen am 02.09.2024.