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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Bällen u. tgi. mitten in einer festlichen Gesellschaft Bewaffnete herum¬
steigen und mit dem Säbel an der Seite tanzen müssen. Ist "s
schon ganz zwecklos und ein Mißgriff gegen die Ordnung überhaupt,
daß der Soldat außer dem Dienst Waffen trägt, indem dadurch dem
rohen oder berauschten Militair die Gelegenheit zu Mißhandlungen
gegen das unbewaffnete Civile gleichsam aufgedrungen wird, ohne daß
irgend ein Grund für die Nothwendigkeit' des Waffentragens vor¬
handen wäre, wie dies auch z. B. in England erkannt wird, wo der
Soldat außer dem Dienste kein Seitengewehr tragen darf, so ist es
vollends unbegreiflich, was ein bewaffneter Tänzer bedeuten soll.
Man will diese Unordnung freilich dadurch rechtfertigen, daß die Er¬
haltung des militairischen Ehrgefühls selbe erheische, indem die stete
Wehrhaftigkeit dem Soldaten ein erhöhtes Bewußtsein und das Ge¬
fühl der Überlegenheit einflößt und dieses durch die periodische Was-
serlosigkeit geschwächt wird, doch beweist das angeführte Beispiel des
englischen Soldaten zur Genüge, wie unstichhaltig dieser Grund sei;
die englischen Truppen, denen Niemand Tapferkeit und das Zeugniß
erprobter Kriegstüchtigkeit absprechen wird, haben in allen fünf Welt¬
theilen einen ruhmvollen Schauplatz für ihre Thatenlust und sind
nicht genöthigt ihr Selbstbewußtsein durch derlei polizeiwidrige Privi¬
legien zu stahlen; während sie für das Wohl und den Ruhm der
Nation in Indien oder Persien kämpfen, bleibt ihnen keine Zeit
übrig, um in Regentstreet oder Hydepark harmlose Cigarrenschmau-
cher niederzustrecken.

Der Ausbau der Thurmspitze an der Stephanskirche mittelst ei¬
nes eisernen Gerippes, das kaum so lange aushielt, als Zeit zur
Austheilung von Orden, Beförderungen und Verdienstmedaillen an
die geschickten Bauleiter erforderlich war, kann als ein würdiges Sei-
tenstück zu der römischen Architektur der neuen Brücke am Schotten¬
thore gelten, denn wie diese, scheint er blos unternommen worden zu
sein, um den Herren Baukünstlern eine bleibende Beschäftigung zu
geben. Seitdem das Gerüst weggenommen worden, hat es sich ge¬
zeigt, wie unpraktisch die unerklärliche, von Hosbaurath Sprenger in
Vorschlag gebrachte Verbindung des Eisens mit dem ohnehin schon
mürben Gestein ist, denn da sich Metalle durch die Hitze ausdehnen
und durch Kälte sich zusammenziehen, so muß nothwendig in dem
Steinwerk, wo das Eisengerippe aufliegt und eingefügt ist, eine fort¬
währende Nüttlung entstehen, so daß sich der Stein verbröckelt und
herabfällt, die feste und sichere Verbindung des eisernen Theils mit
dem steinernen Bau aber aufgehoben wird. Gleichwohl will man
den begangenen Fehler nicht eingestehen und pfusche lieber jahrelang
an dem Thurm herum, der jetzt ganz und gar mit Brettern und
Balken verhüllt ist, gleichsam als schäme er sich den Leuten seine
Hinfälligkeit zu zeigen. Doch auch UM einen schönen Genuß hat


"Sttnzbütm, 1S40. I. 58

Bällen u. tgi. mitten in einer festlichen Gesellschaft Bewaffnete herum¬
steigen und mit dem Säbel an der Seite tanzen müssen. Ist «s
schon ganz zwecklos und ein Mißgriff gegen die Ordnung überhaupt,
daß der Soldat außer dem Dienst Waffen trägt, indem dadurch dem
rohen oder berauschten Militair die Gelegenheit zu Mißhandlungen
gegen das unbewaffnete Civile gleichsam aufgedrungen wird, ohne daß
irgend ein Grund für die Nothwendigkeit' des Waffentragens vor¬
handen wäre, wie dies auch z. B. in England erkannt wird, wo der
Soldat außer dem Dienste kein Seitengewehr tragen darf, so ist es
vollends unbegreiflich, was ein bewaffneter Tänzer bedeuten soll.
Man will diese Unordnung freilich dadurch rechtfertigen, daß die Er¬
haltung des militairischen Ehrgefühls selbe erheische, indem die stete
Wehrhaftigkeit dem Soldaten ein erhöhtes Bewußtsein und das Ge¬
fühl der Überlegenheit einflößt und dieses durch die periodische Was-
serlosigkeit geschwächt wird, doch beweist das angeführte Beispiel des
englischen Soldaten zur Genüge, wie unstichhaltig dieser Grund sei;
die englischen Truppen, denen Niemand Tapferkeit und das Zeugniß
erprobter Kriegstüchtigkeit absprechen wird, haben in allen fünf Welt¬
theilen einen ruhmvollen Schauplatz für ihre Thatenlust und sind
nicht genöthigt ihr Selbstbewußtsein durch derlei polizeiwidrige Privi¬
legien zu stahlen; während sie für das Wohl und den Ruhm der
Nation in Indien oder Persien kämpfen, bleibt ihnen keine Zeit
übrig, um in Regentstreet oder Hydepark harmlose Cigarrenschmau-
cher niederzustrecken.

Der Ausbau der Thurmspitze an der Stephanskirche mittelst ei¬
nes eisernen Gerippes, das kaum so lange aushielt, als Zeit zur
Austheilung von Orden, Beförderungen und Verdienstmedaillen an
die geschickten Bauleiter erforderlich war, kann als ein würdiges Sei-
tenstück zu der römischen Architektur der neuen Brücke am Schotten¬
thore gelten, denn wie diese, scheint er blos unternommen worden zu
sein, um den Herren Baukünstlern eine bleibende Beschäftigung zu
geben. Seitdem das Gerüst weggenommen worden, hat es sich ge¬
zeigt, wie unpraktisch die unerklärliche, von Hosbaurath Sprenger in
Vorschlag gebrachte Verbindung des Eisens mit dem ohnehin schon
mürben Gestein ist, denn da sich Metalle durch die Hitze ausdehnen
und durch Kälte sich zusammenziehen, so muß nothwendig in dem
Steinwerk, wo das Eisengerippe aufliegt und eingefügt ist, eine fort¬
währende Nüttlung entstehen, so daß sich der Stein verbröckelt und
herabfällt, die feste und sichere Verbindung des eisernen Theils mit
dem steinernen Bau aber aufgehoben wird. Gleichwohl will man
den begangenen Fehler nicht eingestehen und pfusche lieber jahrelang
an dem Thurm herum, der jetzt ganz und gar mit Brettern und
Balken verhüllt ist, gleichsam als schäme er sich den Leuten seine
Hinfälligkeit zu zeigen. Doch auch UM einen schönen Genuß hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/465>, abgerufen am 22.12.2024.