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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ein stolzes Dampfschiff, und auf der Vordcrspitze sitzt ein trauriger
Jüngling, der die Gegenden rechts und links mit wehmüthigen,
sehnsüchtigen Augen betrachtet, als wollte er sich ihre Bilder für
alle Ewigkeit ins Herz prägen. Dieser traurige Jüngling bin ich,
und der Tag, an dem die Handlung spielt, ist der erste Septem¬
ber des Jahres 1844, und der Ort der Handlung ist die Elbe.
Ich hatte ein Manuscript in der Tasche, das in Leipzig gedruckt
werden sollte, und von dem ich wußte, daß es über kurz oder lang
"das Heimatpförtlein mir verbaut." Darum war ich so traurig,
denn ich nahm auf lange Jahre Abschied von meiner Heimat, und
darum kümmerte ich mich in meiner Trauer auch nicht um meine
Reisegesellschaft, wie interessant sie auch war. Denn die Architek¬
ten kehrten eben von ihrer Versammlung aus Prag zurück, und
Leute, wie Franz Kugler, Stier und andere berühmte Künstler,
deren Bekanntschaft ich unter andern Umständen eifrig gesucht hätte,
befanden sich auf dem Schiffe. Wie ich mich um Niemand küm¬
merte, so kümmerte sich reciprok auch Niemand um mich. Nur ein
junger, schöner, französischer Aristokrat stand neben mir und belehrte
mich unaufhörlich über die heiligen Rechte der Bourbonen; und ein
dicker Königsberger Destillateur besuchte mich von Zeit zu Zeit in
meiner Einsamkeit und erzählte mir von den Vorgängen am Hin-
tertheile des Schiffes, und von den Späßen, welche die heitern
Künstler ausführten. Das rührte mich alles nicht; erst als er
mir erzählte, daß die Dame, die verschleiert aufs Schiff gekom¬
men war, eine sehr hübsche Dame sei und sehr interessant, erst da
verließ ich meinen einsamen Standpunkt und mischte mich unter
die Gesellschaft.

-- So? Da mischten Sie sich unter die Gesellschaft, trotz
aller Trauer, trotz Manuskript und Heimatpförtlein? unterbrach
mich hier Eugenie.

-- Ja, ich mischte mich unter die Gesellschaft und pflanzte
mich der bezeichneten Dame gegenüber auf; ich habe den Muth,
Ihnen das zu gestehen.

-- Und war sie schön, war sie jung? fragte Eugenie weiter.

-- Ja, sie war schön und jung, Eugenie. Ich muß es Ih¬
nen gestehen, sie war schön und jung, und ich blieb lange vor ihr
stehen und betrachtete sie aufmerksam. Schon suchte ich nach einem


ein stolzes Dampfschiff, und auf der Vordcrspitze sitzt ein trauriger
Jüngling, der die Gegenden rechts und links mit wehmüthigen,
sehnsüchtigen Augen betrachtet, als wollte er sich ihre Bilder für
alle Ewigkeit ins Herz prägen. Dieser traurige Jüngling bin ich,
und der Tag, an dem die Handlung spielt, ist der erste Septem¬
ber des Jahres 1844, und der Ort der Handlung ist die Elbe.
Ich hatte ein Manuscript in der Tasche, das in Leipzig gedruckt
werden sollte, und von dem ich wußte, daß es über kurz oder lang
„das Heimatpförtlein mir verbaut." Darum war ich so traurig,
denn ich nahm auf lange Jahre Abschied von meiner Heimat, und
darum kümmerte ich mich in meiner Trauer auch nicht um meine
Reisegesellschaft, wie interessant sie auch war. Denn die Architek¬
ten kehrten eben von ihrer Versammlung aus Prag zurück, und
Leute, wie Franz Kugler, Stier und andere berühmte Künstler,
deren Bekanntschaft ich unter andern Umständen eifrig gesucht hätte,
befanden sich auf dem Schiffe. Wie ich mich um Niemand küm¬
merte, so kümmerte sich reciprok auch Niemand um mich. Nur ein
junger, schöner, französischer Aristokrat stand neben mir und belehrte
mich unaufhörlich über die heiligen Rechte der Bourbonen; und ein
dicker Königsberger Destillateur besuchte mich von Zeit zu Zeit in
meiner Einsamkeit und erzählte mir von den Vorgängen am Hin-
tertheile des Schiffes, und von den Späßen, welche die heitern
Künstler ausführten. Das rührte mich alles nicht; erst als er
mir erzählte, daß die Dame, die verschleiert aufs Schiff gekom¬
men war, eine sehr hübsche Dame sei und sehr interessant, erst da
verließ ich meinen einsamen Standpunkt und mischte mich unter
die Gesellschaft.

— So? Da mischten Sie sich unter die Gesellschaft, trotz
aller Trauer, trotz Manuskript und Heimatpförtlein? unterbrach
mich hier Eugenie.

— Ja, ich mischte mich unter die Gesellschaft und pflanzte
mich der bezeichneten Dame gegenüber auf; ich habe den Muth,
Ihnen das zu gestehen.

— Und war sie schön, war sie jung? fragte Eugenie weiter.

— Ja, sie war schön und jung, Eugenie. Ich muß es Ih¬
nen gestehen, sie war schön und jung, und ich blieb lange vor ihr
stehen und betrachtete sie aufmerksam. Schon suchte ich nach einem


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[0436] ein stolzes Dampfschiff, und auf der Vordcrspitze sitzt ein trauriger Jüngling, der die Gegenden rechts und links mit wehmüthigen, sehnsüchtigen Augen betrachtet, als wollte er sich ihre Bilder für alle Ewigkeit ins Herz prägen. Dieser traurige Jüngling bin ich, und der Tag, an dem die Handlung spielt, ist der erste Septem¬ ber des Jahres 1844, und der Ort der Handlung ist die Elbe. Ich hatte ein Manuscript in der Tasche, das in Leipzig gedruckt werden sollte, und von dem ich wußte, daß es über kurz oder lang „das Heimatpförtlein mir verbaut." Darum war ich so traurig, denn ich nahm auf lange Jahre Abschied von meiner Heimat, und darum kümmerte ich mich in meiner Trauer auch nicht um meine Reisegesellschaft, wie interessant sie auch war. Denn die Architek¬ ten kehrten eben von ihrer Versammlung aus Prag zurück, und Leute, wie Franz Kugler, Stier und andere berühmte Künstler, deren Bekanntschaft ich unter andern Umständen eifrig gesucht hätte, befanden sich auf dem Schiffe. Wie ich mich um Niemand küm¬ merte, so kümmerte sich reciprok auch Niemand um mich. Nur ein junger, schöner, französischer Aristokrat stand neben mir und belehrte mich unaufhörlich über die heiligen Rechte der Bourbonen; und ein dicker Königsberger Destillateur besuchte mich von Zeit zu Zeit in meiner Einsamkeit und erzählte mir von den Vorgängen am Hin- tertheile des Schiffes, und von den Späßen, welche die heitern Künstler ausführten. Das rührte mich alles nicht; erst als er mir erzählte, daß die Dame, die verschleiert aufs Schiff gekom¬ men war, eine sehr hübsche Dame sei und sehr interessant, erst da verließ ich meinen einsamen Standpunkt und mischte mich unter die Gesellschaft. — So? Da mischten Sie sich unter die Gesellschaft, trotz aller Trauer, trotz Manuskript und Heimatpförtlein? unterbrach mich hier Eugenie. — Ja, ich mischte mich unter die Gesellschaft und pflanzte mich der bezeichneten Dame gegenüber auf; ich habe den Muth, Ihnen das zu gestehen. — Und war sie schön, war sie jung? fragte Eugenie weiter. — Ja, sie war schön und jung, Eugenie. Ich muß es Ih¬ nen gestehen, sie war schön und jung, und ich blieb lange vor ihr stehen und betrachtete sie aufmerksam. Schon suchte ich nach einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/436>, abgerufen am 08.10.2024.