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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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desto lästigere Störungen vorkamen. Indessen ward sein Sinn für
Ruhe und Ordnung bald mit der Julyrevolution ausgesöhnt
durch die friedliche Wendung, die sie nahm; die neue Negierung
behandelte ihn mit demselben Wohlwollen, wie die frühere, und
eine königliche Ordonnanz erhob ihn im Jahre 1831 zum Pair
von Frankreich.

Am 8. Mai 1832 eröffnete er, zum dritten Male seit 30 Jah¬
ren, nach einer langen Unterbrechung, am College de France vor
einem zahllosen Publicum seine Vorlesungen über Geschichte
der Naturwissenschaften, und nach einem kurzen Rückblick auf die
zurückgelegte Laufbahn sprach er den Wunsch aus, daß die Vorse¬
hung ihm gestatten möge, das angefangene Werk zu vollenden.
Aber am Schluß dieser ersten Vorlesung wurde er, wahrscheinlich in
Folge übergroßer Anstrengungen in letzter Zeit, von einem Schlag¬
fluß gerührt, der binnen acht Tagen seinem glorreichen Leben ein
Ende machte. Der Anfall gehörte zu den seltensten, denn er
lähmte blos jene Nerven in denen die Willenskraft liegt, und ver¬
schonte die Nerven der Wahrnehmungö - und Sinnesorgane. Er
sah dem Tode mit heiterem Muth entgegen und war bis zum letz¬
ten Augenblick allen intimen Freunden zugänglich. Vier Stunden
vor seinem Erlöschen ließ er sich in sein Arbeitszimmer tragen. Da
besuchte ihn noch der Kanzler Pasquier. Zu diesem sagte er: Ich
hatte noch so Viel zu thun! Drei wichtige Werke herauszugeben --
die Materialien sind bereit. Alles hab ich im Kopf fertig, ich
hätte nur aufzuschreiben brauchen. -- Pasquier erwähnte, wie ganz
Paris voll Theilnahme sich um ihn erkundige. - Ich glaub's gern,
versetzte er; ich arbeite auch schon lange daran, mich dieser Theil¬
nahme würdig zu machen.

Er starb am Abend desselben Tages, den 13. Mai 1832. Be¬
wunderungswürdig war die Geistesgegenwart, mit der er sein eige¬
nes Sterben, wißbegierig bis zum letzten Athemzuge, beobachtete.
So bemerkte er eine Stunde vor seinem Ende mit' Lächeln, seine
Träume fingen schon an, bizarr und confus zu werden, und bald
darauf wandte er sich zu seinem Bruder und sagte mit einem aus¬
drucksvollen Blick: "Jetzt kommt es ins Gehirn", und in der That
war es ein Paar Minuten später überstanden. Es war der Tod
eines Weisen.


desto lästigere Störungen vorkamen. Indessen ward sein Sinn für
Ruhe und Ordnung bald mit der Julyrevolution ausgesöhnt
durch die friedliche Wendung, die sie nahm; die neue Negierung
behandelte ihn mit demselben Wohlwollen, wie die frühere, und
eine königliche Ordonnanz erhob ihn im Jahre 1831 zum Pair
von Frankreich.

Am 8. Mai 1832 eröffnete er, zum dritten Male seit 30 Jah¬
ren, nach einer langen Unterbrechung, am College de France vor
einem zahllosen Publicum seine Vorlesungen über Geschichte
der Naturwissenschaften, und nach einem kurzen Rückblick auf die
zurückgelegte Laufbahn sprach er den Wunsch aus, daß die Vorse¬
hung ihm gestatten möge, das angefangene Werk zu vollenden.
Aber am Schluß dieser ersten Vorlesung wurde er, wahrscheinlich in
Folge übergroßer Anstrengungen in letzter Zeit, von einem Schlag¬
fluß gerührt, der binnen acht Tagen seinem glorreichen Leben ein
Ende machte. Der Anfall gehörte zu den seltensten, denn er
lähmte blos jene Nerven in denen die Willenskraft liegt, und ver¬
schonte die Nerven der Wahrnehmungö - und Sinnesorgane. Er
sah dem Tode mit heiterem Muth entgegen und war bis zum letz¬
ten Augenblick allen intimen Freunden zugänglich. Vier Stunden
vor seinem Erlöschen ließ er sich in sein Arbeitszimmer tragen. Da
besuchte ihn noch der Kanzler Pasquier. Zu diesem sagte er: Ich
hatte noch so Viel zu thun! Drei wichtige Werke herauszugeben —
die Materialien sind bereit. Alles hab ich im Kopf fertig, ich
hätte nur aufzuschreiben brauchen. — Pasquier erwähnte, wie ganz
Paris voll Theilnahme sich um ihn erkundige. - Ich glaub's gern,
versetzte er; ich arbeite auch schon lange daran, mich dieser Theil¬
nahme würdig zu machen.

Er starb am Abend desselben Tages, den 13. Mai 1832. Be¬
wunderungswürdig war die Geistesgegenwart, mit der er sein eige¬
nes Sterben, wißbegierig bis zum letzten Athemzuge, beobachtete.
So bemerkte er eine Stunde vor seinem Ende mit' Lächeln, seine
Träume fingen schon an, bizarr und confus zu werden, und bald
darauf wandte er sich zu seinem Bruder und sagte mit einem aus¬
drucksvollen Blick: „Jetzt kommt es ins Gehirn", und in der That
war es ein Paar Minuten später überstanden. Es war der Tod
eines Weisen.


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[0314] desto lästigere Störungen vorkamen. Indessen ward sein Sinn für Ruhe und Ordnung bald mit der Julyrevolution ausgesöhnt durch die friedliche Wendung, die sie nahm; die neue Negierung behandelte ihn mit demselben Wohlwollen, wie die frühere, und eine königliche Ordonnanz erhob ihn im Jahre 1831 zum Pair von Frankreich. Am 8. Mai 1832 eröffnete er, zum dritten Male seit 30 Jah¬ ren, nach einer langen Unterbrechung, am College de France vor einem zahllosen Publicum seine Vorlesungen über Geschichte der Naturwissenschaften, und nach einem kurzen Rückblick auf die zurückgelegte Laufbahn sprach er den Wunsch aus, daß die Vorse¬ hung ihm gestatten möge, das angefangene Werk zu vollenden. Aber am Schluß dieser ersten Vorlesung wurde er, wahrscheinlich in Folge übergroßer Anstrengungen in letzter Zeit, von einem Schlag¬ fluß gerührt, der binnen acht Tagen seinem glorreichen Leben ein Ende machte. Der Anfall gehörte zu den seltensten, denn er lähmte blos jene Nerven in denen die Willenskraft liegt, und ver¬ schonte die Nerven der Wahrnehmungö - und Sinnesorgane. Er sah dem Tode mit heiterem Muth entgegen und war bis zum letz¬ ten Augenblick allen intimen Freunden zugänglich. Vier Stunden vor seinem Erlöschen ließ er sich in sein Arbeitszimmer tragen. Da besuchte ihn noch der Kanzler Pasquier. Zu diesem sagte er: Ich hatte noch so Viel zu thun! Drei wichtige Werke herauszugeben — die Materialien sind bereit. Alles hab ich im Kopf fertig, ich hätte nur aufzuschreiben brauchen. — Pasquier erwähnte, wie ganz Paris voll Theilnahme sich um ihn erkundige. - Ich glaub's gern, versetzte er; ich arbeite auch schon lange daran, mich dieser Theil¬ nahme würdig zu machen. Er starb am Abend desselben Tages, den 13. Mai 1832. Be¬ wunderungswürdig war die Geistesgegenwart, mit der er sein eige¬ nes Sterben, wißbegierig bis zum letzten Athemzuge, beobachtete. So bemerkte er eine Stunde vor seinem Ende mit' Lächeln, seine Träume fingen schon an, bizarr und confus zu werden, und bald darauf wandte er sich zu seinem Bruder und sagte mit einem aus¬ drucksvollen Blick: „Jetzt kommt es ins Gehirn", und in der That war es ein Paar Minuten später überstanden. Es war der Tod eines Weisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/314>, abgerufen am 23.12.2024.