Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so findet sich daher in jeder Extremität eine< Thieres die Classe,
die Ordnung, das Genus, die Species ausgedrückt.

Dreißig Jahre lang durchforschte Cuvier mit den Waffen die¬
ser Methode die Eingeweide der Erde. Er ordnete und classificirte
die Ueberreste von mehr als 150 Säugethiergeschlechtern, von denen
über 9V heute nicht mehr eristirenden Species angehören, von de¬
nen 1t oder 12 den bekannten Species gleichen und die übrigen
nur entfernte Aehnlichkeit mit der heutigen Thierwelt haben.

Durch die Fossilien kam Cuvier auf seine Theorie der Erde.
Der Erdball konnte nicht immer dieselbe Hülle gehabt haben, es mußte in
seiner Bildungsgeschichte eine Reihe verschiedener Epochen geben:
alle die fossilen Thiergeschlechter mußten ja auf der Oberfläche der
Crde gelebt haben, und jetzt sind sie wie von Abgrunds tiefen ver¬
schlungen. Cuvier prüfte nun die verschiedenen Erdschichten, gleich¬
sam die Blätter der Erdgeschichte lesend. Auf der untersten
oder ersten urjprünglichen Schichte fand er kein animalisches oder
vegetabiles Leben, sondern Granit und Marmor. Auf der zweiten
sah er Zoophyten, Mollusken, riesige Pflanzen und endlich gigan¬
tische Kriechthiere, Eidechsenarten von Wallfischgröße; auf der
dritten erscheinen die Palaeotheriums; auf der vierten lagern
die Ueberreste von Säugethieren; auf der fünften erscheint wie¬
der eine neue und verschollene Thiergattung: die Mammuths.
Erst in der sechsten oberflächlichsten Schichte findet wem zum ersten
Mal die Fossilien von bekannten Thiergattungen und menschliche
Gebeine. Der Mensch ist also die letzte lebende Creatur, welche
die Natur geschaffen hat, das Product der jüngsten Erdepochen.
Nach jeder früheren Epoche überflutete das Weltmeer die ganze
Erdoberfläche und ließ seine Spuren auf ihr zurück; nach der drit¬
ten Sündflut erst erschien der Mensch im Gefolge der jetzt leben¬
den Thierwelt. Nach Cuvier's Berechnung ist diese letzte Revolution
vor 5 bis 6000 Jahren vorgefallen. Unter den sechs mosaischen
Schöpfungstagen hätte man sich demnach nur eben so viele Schö-
Pfungs-Epochen zudenken, um die Zeitrechnung der Chinesen, die
Bibel und die moderne Wissenschaft mit einander in Einklang zu bringen.

Man kann vielleicht annehmen, daß dem Naturforscher, der in
solche Betrachtungen vertieft war, die politischen Revolutionen el^
ner Menschenspecies, z. B. der Franzosen,nuralskleinliche und darum


or-nzbotcn, Isis. l. Zg

so findet sich daher in jeder Extremität eine< Thieres die Classe,
die Ordnung, das Genus, die Species ausgedrückt.

Dreißig Jahre lang durchforschte Cuvier mit den Waffen die¬
ser Methode die Eingeweide der Erde. Er ordnete und classificirte
die Ueberreste von mehr als 150 Säugethiergeschlechtern, von denen
über 9V heute nicht mehr eristirenden Species angehören, von de¬
nen 1t oder 12 den bekannten Species gleichen und die übrigen
nur entfernte Aehnlichkeit mit der heutigen Thierwelt haben.

Durch die Fossilien kam Cuvier auf seine Theorie der Erde.
Der Erdball konnte nicht immer dieselbe Hülle gehabt haben, es mußte in
seiner Bildungsgeschichte eine Reihe verschiedener Epochen geben:
alle die fossilen Thiergeschlechter mußten ja auf der Oberfläche der
Crde gelebt haben, und jetzt sind sie wie von Abgrunds tiefen ver¬
schlungen. Cuvier prüfte nun die verschiedenen Erdschichten, gleich¬
sam die Blätter der Erdgeschichte lesend. Auf der untersten
oder ersten urjprünglichen Schichte fand er kein animalisches oder
vegetabiles Leben, sondern Granit und Marmor. Auf der zweiten
sah er Zoophyten, Mollusken, riesige Pflanzen und endlich gigan¬
tische Kriechthiere, Eidechsenarten von Wallfischgröße; auf der
dritten erscheinen die Palaeotheriums; auf der vierten lagern
die Ueberreste von Säugethieren; auf der fünften erscheint wie¬
der eine neue und verschollene Thiergattung: die Mammuths.
Erst in der sechsten oberflächlichsten Schichte findet wem zum ersten
Mal die Fossilien von bekannten Thiergattungen und menschliche
Gebeine. Der Mensch ist also die letzte lebende Creatur, welche
die Natur geschaffen hat, das Product der jüngsten Erdepochen.
Nach jeder früheren Epoche überflutete das Weltmeer die ganze
Erdoberfläche und ließ seine Spuren auf ihr zurück; nach der drit¬
ten Sündflut erst erschien der Mensch im Gefolge der jetzt leben¬
den Thierwelt. Nach Cuvier's Berechnung ist diese letzte Revolution
vor 5 bis 6000 Jahren vorgefallen. Unter den sechs mosaischen
Schöpfungstagen hätte man sich demnach nur eben so viele Schö-
Pfungs-Epochen zudenken, um die Zeitrechnung der Chinesen, die
Bibel und die moderne Wissenschaft mit einander in Einklang zu bringen.

Man kann vielleicht annehmen, daß dem Naturforscher, der in
solche Betrachtungen vertieft war, die politischen Revolutionen el^
ner Menschenspecies, z. B. der Franzosen,nuralskleinliche und darum


or-nzbotcn, Isis. l. Zg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182123"/>
          <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700"> so findet sich daher in jeder Extremität eine&lt; Thieres die Classe,<lb/>
die Ordnung, das Genus, die Species ausgedrückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_702"> Dreißig Jahre lang durchforschte Cuvier mit den Waffen die¬<lb/>
ser Methode die Eingeweide der Erde. Er ordnete und classificirte<lb/>
die Ueberreste von mehr als 150 Säugethiergeschlechtern, von denen<lb/>
über 9V heute nicht mehr eristirenden Species angehören, von de¬<lb/>
nen 1t oder 12 den bekannten Species gleichen und die übrigen<lb/>
nur entfernte Aehnlichkeit mit der heutigen Thierwelt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_703"> Durch die Fossilien kam Cuvier auf seine Theorie der Erde.<lb/>
Der Erdball konnte nicht immer dieselbe Hülle gehabt haben, es mußte in<lb/>
seiner Bildungsgeschichte eine Reihe verschiedener Epochen geben:<lb/>
alle die fossilen Thiergeschlechter mußten ja auf der Oberfläche der<lb/>
Crde gelebt haben, und jetzt sind sie wie von Abgrunds tiefen ver¬<lb/>
schlungen. Cuvier prüfte nun die verschiedenen Erdschichten, gleich¬<lb/>
sam die Blätter der Erdgeschichte lesend. Auf der untersten<lb/>
oder ersten urjprünglichen Schichte fand er kein animalisches oder<lb/>
vegetabiles Leben, sondern Granit und Marmor. Auf der zweiten<lb/>
sah er Zoophyten, Mollusken, riesige Pflanzen und endlich gigan¬<lb/>
tische Kriechthiere, Eidechsenarten von Wallfischgröße; auf der<lb/>
dritten erscheinen die Palaeotheriums; auf der vierten lagern<lb/>
die Ueberreste von Säugethieren; auf der fünften erscheint wie¬<lb/>
der eine neue und verschollene Thiergattung: die Mammuths.<lb/>
Erst in der sechsten oberflächlichsten Schichte findet wem zum ersten<lb/>
Mal die Fossilien von bekannten Thiergattungen und menschliche<lb/>
Gebeine. Der Mensch ist also die letzte lebende Creatur, welche<lb/>
die Natur geschaffen hat, das Product der jüngsten Erdepochen.<lb/>
Nach jeder früheren Epoche überflutete das Weltmeer die ganze<lb/>
Erdoberfläche und ließ seine Spuren auf ihr zurück; nach der drit¬<lb/>
ten Sündflut erst erschien der Mensch im Gefolge der jetzt leben¬<lb/>
den Thierwelt. Nach Cuvier's Berechnung ist diese letzte Revolution<lb/>
vor 5 bis 6000 Jahren vorgefallen. Unter den sechs mosaischen<lb/>
Schöpfungstagen hätte man sich demnach nur eben so viele Schö-<lb/>
Pfungs-Epochen zudenken, um die Zeitrechnung der Chinesen, die<lb/>
Bibel und die moderne Wissenschaft mit einander in Einklang zu bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_704" next="#ID_705"> Man kann vielleicht annehmen, daß dem Naturforscher, der in<lb/>
solche Betrachtungen vertieft war, die politischen Revolutionen el^<lb/>
ner Menschenspecies, z. B. der Franzosen,nuralskleinliche und darum</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> or-nzbotcn, Isis. l. Zg</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] so findet sich daher in jeder Extremität eine< Thieres die Classe, die Ordnung, das Genus, die Species ausgedrückt. Dreißig Jahre lang durchforschte Cuvier mit den Waffen die¬ ser Methode die Eingeweide der Erde. Er ordnete und classificirte die Ueberreste von mehr als 150 Säugethiergeschlechtern, von denen über 9V heute nicht mehr eristirenden Species angehören, von de¬ nen 1t oder 12 den bekannten Species gleichen und die übrigen nur entfernte Aehnlichkeit mit der heutigen Thierwelt haben. Durch die Fossilien kam Cuvier auf seine Theorie der Erde. Der Erdball konnte nicht immer dieselbe Hülle gehabt haben, es mußte in seiner Bildungsgeschichte eine Reihe verschiedener Epochen geben: alle die fossilen Thiergeschlechter mußten ja auf der Oberfläche der Crde gelebt haben, und jetzt sind sie wie von Abgrunds tiefen ver¬ schlungen. Cuvier prüfte nun die verschiedenen Erdschichten, gleich¬ sam die Blätter der Erdgeschichte lesend. Auf der untersten oder ersten urjprünglichen Schichte fand er kein animalisches oder vegetabiles Leben, sondern Granit und Marmor. Auf der zweiten sah er Zoophyten, Mollusken, riesige Pflanzen und endlich gigan¬ tische Kriechthiere, Eidechsenarten von Wallfischgröße; auf der dritten erscheinen die Palaeotheriums; auf der vierten lagern die Ueberreste von Säugethieren; auf der fünften erscheint wie¬ der eine neue und verschollene Thiergattung: die Mammuths. Erst in der sechsten oberflächlichsten Schichte findet wem zum ersten Mal die Fossilien von bekannten Thiergattungen und menschliche Gebeine. Der Mensch ist also die letzte lebende Creatur, welche die Natur geschaffen hat, das Product der jüngsten Erdepochen. Nach jeder früheren Epoche überflutete das Weltmeer die ganze Erdoberfläche und ließ seine Spuren auf ihr zurück; nach der drit¬ ten Sündflut erst erschien der Mensch im Gefolge der jetzt leben¬ den Thierwelt. Nach Cuvier's Berechnung ist diese letzte Revolution vor 5 bis 6000 Jahren vorgefallen. Unter den sechs mosaischen Schöpfungstagen hätte man sich demnach nur eben so viele Schö- Pfungs-Epochen zudenken, um die Zeitrechnung der Chinesen, die Bibel und die moderne Wissenschaft mit einander in Einklang zu bringen. Man kann vielleicht annehmen, daß dem Naturforscher, der in solche Betrachtungen vertieft war, die politischen Revolutionen el^ ner Menschenspecies, z. B. der Franzosen,nuralskleinliche und darum or-nzbotcn, Isis. l. Zg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/313>, abgerufen am 02.09.2024.