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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Endlich war Cuvier auch nicht ohne Antheil an der Politik
des Landes. Von 1815-1820 legte das Ministerium den Kam¬
mern keinen Gesetzentwurf vor, der die innere Organisation betraf,
ohne daß Cuvier, als königlicher Commissär, ihn auf der Tribune
vertheidigte. Die Ausnahmsgesetze von 1815 verdankten ihm einige
Modifikationen, die ihre Wirkung weniger gefährlich machten. Auch
in jener hitzigen Discussion von 1820, die Wahlschlacht genannt,
spielte er eine Rolle und trug nicht wenig zum Siege der Rechten
bei, was ihn übrigens bei den Liberalen ziemlich unpopulär machte-
Cuvier war, wie man aus dem Allen steht, .ein Mann der Auto¬
rität und liebte nichts weniger als die Revolutionen; er behauptete
sogar offen, man könne in unsern Zeiten niemals zu sehr Partei
nehmen für die herrschende Gewalt; dennoch hatte dieser Cultus
der Gewalt seine Grenzen. Wie er 1815 gegen die Ausschweifun¬
gen der siegreichen Partei sich stemmte, eben so widersetzte er sich
später dem Vorhaben, die Universität den Jesuiten zu überliefern
und drohte augenblicklich alle seine Aemter und Würden niederzule¬
gen, sobald man jener intoleranten Miliz den öffentlichen Unterricht
anvertrauen würde.

Seine glänzendste Wirksamkeit blieb aber doch die wissenschaft¬
liche, und der konservative Politiker hat auf diesem Gebiete nicht
umhin gekonnt, die großartigsten Revolutionen zu machen. Wir ha¬
ben schon vorhin seiner Anwendung des neuen Princips der Unter¬
ordnung der Organe auf die fossilen Knochen erwähnt, die man in
den Eingeweiden der Erde findet. Cuvier hat dadurch die Spuren
antediluvianischer Schöpfungen aufgefunden, ein neues Licht auf die
Geologie und die Geschichte geworfen und aus einem Haufen räth¬
selhafter Fossilien gleichsam eine chronologische Tafel der Revolu¬
tionen gemacht, die den jetzigen Zustand des Erdballs herbeigeführt
haben.

Man weiß, daß die zahlreichen Gebeine von ungeheueren For¬
men, die man in Berghöhlen und Schluchten findet, ursprünglich
jenen Fabeln und Mythen von einem Nicsengeschlecht ihre Entste¬
hung gaben; während man die Muscheln und versteinerten See-
thiere, die man weit von allen Seeküsten und auf Gebirgshöhen
findet, die heutzutage keine Mecrüberschwemmung erreichen könnte,
lange als bloße Naturspiele ansah. Jahrhunderte lang machte man


Endlich war Cuvier auch nicht ohne Antheil an der Politik
des Landes. Von 1815-1820 legte das Ministerium den Kam¬
mern keinen Gesetzentwurf vor, der die innere Organisation betraf,
ohne daß Cuvier, als königlicher Commissär, ihn auf der Tribune
vertheidigte. Die Ausnahmsgesetze von 1815 verdankten ihm einige
Modifikationen, die ihre Wirkung weniger gefährlich machten. Auch
in jener hitzigen Discussion von 1820, die Wahlschlacht genannt,
spielte er eine Rolle und trug nicht wenig zum Siege der Rechten
bei, was ihn übrigens bei den Liberalen ziemlich unpopulär machte-
Cuvier war, wie man aus dem Allen steht, .ein Mann der Auto¬
rität und liebte nichts weniger als die Revolutionen; er behauptete
sogar offen, man könne in unsern Zeiten niemals zu sehr Partei
nehmen für die herrschende Gewalt; dennoch hatte dieser Cultus
der Gewalt seine Grenzen. Wie er 1815 gegen die Ausschweifun¬
gen der siegreichen Partei sich stemmte, eben so widersetzte er sich
später dem Vorhaben, die Universität den Jesuiten zu überliefern
und drohte augenblicklich alle seine Aemter und Würden niederzule¬
gen, sobald man jener intoleranten Miliz den öffentlichen Unterricht
anvertrauen würde.

Seine glänzendste Wirksamkeit blieb aber doch die wissenschaft¬
liche, und der konservative Politiker hat auf diesem Gebiete nicht
umhin gekonnt, die großartigsten Revolutionen zu machen. Wir ha¬
ben schon vorhin seiner Anwendung des neuen Princips der Unter¬
ordnung der Organe auf die fossilen Knochen erwähnt, die man in
den Eingeweiden der Erde findet. Cuvier hat dadurch die Spuren
antediluvianischer Schöpfungen aufgefunden, ein neues Licht auf die
Geologie und die Geschichte geworfen und aus einem Haufen räth¬
selhafter Fossilien gleichsam eine chronologische Tafel der Revolu¬
tionen gemacht, die den jetzigen Zustand des Erdballs herbeigeführt
haben.

Man weiß, daß die zahlreichen Gebeine von ungeheueren For¬
men, die man in Berghöhlen und Schluchten findet, ursprünglich
jenen Fabeln und Mythen von einem Nicsengeschlecht ihre Entste¬
hung gaben; während man die Muscheln und versteinerten See-
thiere, die man weit von allen Seeküsten und auf Gebirgshöhen
findet, die heutzutage keine Mecrüberschwemmung erreichen könnte,
lange als bloße Naturspiele ansah. Jahrhunderte lang machte man


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[0310] Endlich war Cuvier auch nicht ohne Antheil an der Politik des Landes. Von 1815-1820 legte das Ministerium den Kam¬ mern keinen Gesetzentwurf vor, der die innere Organisation betraf, ohne daß Cuvier, als königlicher Commissär, ihn auf der Tribune vertheidigte. Die Ausnahmsgesetze von 1815 verdankten ihm einige Modifikationen, die ihre Wirkung weniger gefährlich machten. Auch in jener hitzigen Discussion von 1820, die Wahlschlacht genannt, spielte er eine Rolle und trug nicht wenig zum Siege der Rechten bei, was ihn übrigens bei den Liberalen ziemlich unpopulär machte- Cuvier war, wie man aus dem Allen steht, .ein Mann der Auto¬ rität und liebte nichts weniger als die Revolutionen; er behauptete sogar offen, man könne in unsern Zeiten niemals zu sehr Partei nehmen für die herrschende Gewalt; dennoch hatte dieser Cultus der Gewalt seine Grenzen. Wie er 1815 gegen die Ausschweifun¬ gen der siegreichen Partei sich stemmte, eben so widersetzte er sich später dem Vorhaben, die Universität den Jesuiten zu überliefern und drohte augenblicklich alle seine Aemter und Würden niederzule¬ gen, sobald man jener intoleranten Miliz den öffentlichen Unterricht anvertrauen würde. Seine glänzendste Wirksamkeit blieb aber doch die wissenschaft¬ liche, und der konservative Politiker hat auf diesem Gebiete nicht umhin gekonnt, die großartigsten Revolutionen zu machen. Wir ha¬ ben schon vorhin seiner Anwendung des neuen Princips der Unter¬ ordnung der Organe auf die fossilen Knochen erwähnt, die man in den Eingeweiden der Erde findet. Cuvier hat dadurch die Spuren antediluvianischer Schöpfungen aufgefunden, ein neues Licht auf die Geologie und die Geschichte geworfen und aus einem Haufen räth¬ selhafter Fossilien gleichsam eine chronologische Tafel der Revolu¬ tionen gemacht, die den jetzigen Zustand des Erdballs herbeigeführt haben. Man weiß, daß die zahlreichen Gebeine von ungeheueren For¬ men, die man in Berghöhlen und Schluchten findet, ursprünglich jenen Fabeln und Mythen von einem Nicsengeschlecht ihre Entste¬ hung gaben; während man die Muscheln und versteinerten See- thiere, die man weit von allen Seeküsten und auf Gebirgshöhen findet, die heutzutage keine Mecrüberschwemmung erreichen könnte, lange als bloße Naturspiele ansah. Jahrhunderte lang machte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/310>, abgerufen am 02.09.2024.