Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf dem Beaumarchais-Theater wurde vorgestern ein dreiacti-
ges Drama Beaumarchais aufgeführt, was aber nichts anderes
als eine Umarbeitung unseres deutschen Clavigo ist. Doch haben
die Verfasser dieses Stückes allerlei Aenderungen und neue Person.n
eingeführt, so z. B. heirathet Clavigo am Ende, zur Freude der Zu¬
schauer, die verlassene Maria. Auch ist es ganz französisch, daß Cla¬
vigo mit der Maitresse des Königs sich verheirathen will. Bon der
Gothischen Charakteristik ist wenig Spur und die Verfasser haben
auch einen ganz andern Weg eingeschlagen. Geistreich ist jedoch die
Idee, daß Beaumarchais, der hier der Held des Stückes ist, Figaro
und Basilio kennen lernt, die auf eine hübsche Weise in die Hand¬
lung verflochten sind.


II.
Aus Wien.

Hoftrauer. -- Schicksalstücke wider den Carneval. -- Der Herzog von Mo¬
den". -- Erzherzog Karl. -- Der Banknotenfälscher Borr. -- Feeerei der Börse.

Durch den Hintritt des Herzogs von Modena, der 67 Jahre
alt, an den Folgen eines Gichtübels starb, haben die diesjährigen
Carnevalsvergnügungen am hiesigen Hofe abermals eine unerwartete
Unterbrechung erlitten, denn die Hoftrauer nimmt die wenigen Wochen
der carnevalistischen Saison hinweg, und somit ist der erste Hofball
in dem laufenden Jahr auch der letzte gewesen. Auffallend bleibt die
Bosheit des Zufalls, welche es seit Jahren so zu fügen wußte, daß
stets in den heitern Frohsinnswochen, die den Freuden der Feste und
des Tanzes gewidmet sind, irgend ein erlauchter Todesfall den bereits an die
Lippen gebrachten Lustbecher wieder mit ernster Resignation niederzusetzen
zwang. Am meisten verliert noch die Damenwelt durch diese Ver¬
schwörung der Parzen, die sich vom Tode des Kaisers Franz her-
schreibt, (welcher selbst unter den Walzerklangen des Carnevals ver¬
schied); denn unsere Herren sind im Durchschnitt schon lange keine
Verehrer Terpsichorens mehr und machen lieber den kritisirenden Be¬
obachter oder plaudern in den Fensterverciefungen und versammeln sich
um den Whisttisch. Was nun den erwähnten Tod des Herzogs von
Modena betrifft, so wird er nicht leicht anderswo, als in den engsten
Familienkreisen Theilnahme erwecken, am wenigsten in seinem eigenen
Lande, dem er ein strenger Herr und Gebieter war, welcher mehr po¬
litische Verbrecher hinrichten ließ, als irgend ein König eines mächtigen
Reiches. Der Herzog bekannte sich zu einem so ausschweifenden Ab¬
solutismus, daß selbst der Kaiser Franz seine Grundsatze tadelte; we¬
der Napoleon noch Louis Philippe wurden von ihm anerkannt, und
er war der einzige Fürst in Europa, welcher der Dynastie Orleans
jede politische Berechtigung beharrlich absprach.


Auf dem Beaumarchais-Theater wurde vorgestern ein dreiacti-
ges Drama Beaumarchais aufgeführt, was aber nichts anderes
als eine Umarbeitung unseres deutschen Clavigo ist. Doch haben
die Verfasser dieses Stückes allerlei Aenderungen und neue Person.n
eingeführt, so z. B. heirathet Clavigo am Ende, zur Freude der Zu¬
schauer, die verlassene Maria. Auch ist es ganz französisch, daß Cla¬
vigo mit der Maitresse des Königs sich verheirathen will. Bon der
Gothischen Charakteristik ist wenig Spur und die Verfasser haben
auch einen ganz andern Weg eingeschlagen. Geistreich ist jedoch die
Idee, daß Beaumarchais, der hier der Held des Stückes ist, Figaro
und Basilio kennen lernt, die auf eine hübsche Weise in die Hand¬
lung verflochten sind.


II.
Aus Wien.

Hoftrauer. — Schicksalstücke wider den Carneval. — Der Herzog von Mo¬
den». — Erzherzog Karl. — Der Banknotenfälscher Borr. — Feeerei der Börse.

Durch den Hintritt des Herzogs von Modena, der 67 Jahre
alt, an den Folgen eines Gichtübels starb, haben die diesjährigen
Carnevalsvergnügungen am hiesigen Hofe abermals eine unerwartete
Unterbrechung erlitten, denn die Hoftrauer nimmt die wenigen Wochen
der carnevalistischen Saison hinweg, und somit ist der erste Hofball
in dem laufenden Jahr auch der letzte gewesen. Auffallend bleibt die
Bosheit des Zufalls, welche es seit Jahren so zu fügen wußte, daß
stets in den heitern Frohsinnswochen, die den Freuden der Feste und
des Tanzes gewidmet sind, irgend ein erlauchter Todesfall den bereits an die
Lippen gebrachten Lustbecher wieder mit ernster Resignation niederzusetzen
zwang. Am meisten verliert noch die Damenwelt durch diese Ver¬
schwörung der Parzen, die sich vom Tode des Kaisers Franz her-
schreibt, (welcher selbst unter den Walzerklangen des Carnevals ver¬
schied); denn unsere Herren sind im Durchschnitt schon lange keine
Verehrer Terpsichorens mehr und machen lieber den kritisirenden Be¬
obachter oder plaudern in den Fensterverciefungen und versammeln sich
um den Whisttisch. Was nun den erwähnten Tod des Herzogs von
Modena betrifft, so wird er nicht leicht anderswo, als in den engsten
Familienkreisen Theilnahme erwecken, am wenigsten in seinem eigenen
Lande, dem er ein strenger Herr und Gebieter war, welcher mehr po¬
litische Verbrecher hinrichten ließ, als irgend ein König eines mächtigen
Reiches. Der Herzog bekannte sich zu einem so ausschweifenden Ab¬
solutismus, daß selbst der Kaiser Franz seine Grundsatze tadelte; we¬
der Napoleon noch Louis Philippe wurden von ihm anerkannt, und
er war der einzige Fürst in Europa, welcher der Dynastie Orleans
jede politische Berechtigung beharrlich absprach.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182092"/>
            <p xml:id="ID_622"> Auf dem Beaumarchais-Theater wurde vorgestern ein dreiacti-<lb/>
ges Drama Beaumarchais aufgeführt, was aber nichts anderes<lb/>
als eine Umarbeitung unseres deutschen Clavigo ist. Doch haben<lb/>
die Verfasser dieses Stückes allerlei Aenderungen und neue Person.n<lb/>
eingeführt, so z. B. heirathet Clavigo am Ende, zur Freude der Zu¬<lb/>
schauer, die verlassene Maria. Auch ist es ganz französisch, daß Cla¬<lb/>
vigo mit der Maitresse des Königs sich verheirathen will. Bon der<lb/>
Gothischen Charakteristik ist wenig Spur und die Verfasser haben<lb/>
auch einen ganz andern Weg eingeschlagen. Geistreich ist jedoch die<lb/>
Idee, daß Beaumarchais, der hier der Held des Stückes ist, Figaro<lb/>
und Basilio kennen lernt, die auf eine hübsche Weise in die Hand¬<lb/>
lung verflochten sind.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.<lb/>
Aus Wien.</head><lb/>
            <note type="argument"> Hoftrauer. &#x2014; Schicksalstücke wider den Carneval. &#x2014; Der Herzog von Mo¬<lb/>
den». &#x2014; Erzherzog Karl. &#x2014; Der Banknotenfälscher Borr. &#x2014; Feeerei der Börse.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_623"> Durch den Hintritt des Herzogs von Modena, der 67 Jahre<lb/>
alt, an den Folgen eines Gichtübels starb, haben die diesjährigen<lb/>
Carnevalsvergnügungen am hiesigen Hofe abermals eine unerwartete<lb/>
Unterbrechung erlitten, denn die Hoftrauer nimmt die wenigen Wochen<lb/>
der carnevalistischen Saison hinweg, und somit ist der erste Hofball<lb/>
in dem laufenden Jahr auch der letzte gewesen. Auffallend bleibt die<lb/>
Bosheit des Zufalls, welche es seit Jahren so zu fügen wußte, daß<lb/>
stets in den heitern Frohsinnswochen, die den Freuden der Feste und<lb/>
des Tanzes gewidmet sind, irgend ein erlauchter Todesfall den bereits an die<lb/>
Lippen gebrachten Lustbecher wieder mit ernster Resignation niederzusetzen<lb/>
zwang. Am meisten verliert noch die Damenwelt durch diese Ver¬<lb/>
schwörung der Parzen, die sich vom Tode des Kaisers Franz her-<lb/>
schreibt, (welcher selbst unter den Walzerklangen des Carnevals ver¬<lb/>
schied); denn unsere Herren sind im Durchschnitt schon lange keine<lb/>
Verehrer Terpsichorens mehr und machen lieber den kritisirenden Be¬<lb/>
obachter oder plaudern in den Fensterverciefungen und versammeln sich<lb/>
um den Whisttisch. Was nun den erwähnten Tod des Herzogs von<lb/>
Modena betrifft, so wird er nicht leicht anderswo, als in den engsten<lb/>
Familienkreisen Theilnahme erwecken, am wenigsten in seinem eigenen<lb/>
Lande, dem er ein strenger Herr und Gebieter war, welcher mehr po¬<lb/>
litische Verbrecher hinrichten ließ, als irgend ein König eines mächtigen<lb/>
Reiches. Der Herzog bekannte sich zu einem so ausschweifenden Ab¬<lb/>
solutismus, daß selbst der Kaiser Franz seine Grundsatze tadelte; we¬<lb/>
der Napoleon noch Louis Philippe wurden von ihm anerkannt, und<lb/>
er war der einzige Fürst in Europa, welcher der Dynastie Orleans<lb/>
jede politische Berechtigung beharrlich absprach.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Auf dem Beaumarchais-Theater wurde vorgestern ein dreiacti- ges Drama Beaumarchais aufgeführt, was aber nichts anderes als eine Umarbeitung unseres deutschen Clavigo ist. Doch haben die Verfasser dieses Stückes allerlei Aenderungen und neue Person.n eingeführt, so z. B. heirathet Clavigo am Ende, zur Freude der Zu¬ schauer, die verlassene Maria. Auch ist es ganz französisch, daß Cla¬ vigo mit der Maitresse des Königs sich verheirathen will. Bon der Gothischen Charakteristik ist wenig Spur und die Verfasser haben auch einen ganz andern Weg eingeschlagen. Geistreich ist jedoch die Idee, daß Beaumarchais, der hier der Held des Stückes ist, Figaro und Basilio kennen lernt, die auf eine hübsche Weise in die Hand¬ lung verflochten sind. II. Aus Wien. Hoftrauer. — Schicksalstücke wider den Carneval. — Der Herzog von Mo¬ den». — Erzherzog Karl. — Der Banknotenfälscher Borr. — Feeerei der Börse. Durch den Hintritt des Herzogs von Modena, der 67 Jahre alt, an den Folgen eines Gichtübels starb, haben die diesjährigen Carnevalsvergnügungen am hiesigen Hofe abermals eine unerwartete Unterbrechung erlitten, denn die Hoftrauer nimmt die wenigen Wochen der carnevalistischen Saison hinweg, und somit ist der erste Hofball in dem laufenden Jahr auch der letzte gewesen. Auffallend bleibt die Bosheit des Zufalls, welche es seit Jahren so zu fügen wußte, daß stets in den heitern Frohsinnswochen, die den Freuden der Feste und des Tanzes gewidmet sind, irgend ein erlauchter Todesfall den bereits an die Lippen gebrachten Lustbecher wieder mit ernster Resignation niederzusetzen zwang. Am meisten verliert noch die Damenwelt durch diese Ver¬ schwörung der Parzen, die sich vom Tode des Kaisers Franz her- schreibt, (welcher selbst unter den Walzerklangen des Carnevals ver¬ schied); denn unsere Herren sind im Durchschnitt schon lange keine Verehrer Terpsichorens mehr und machen lieber den kritisirenden Be¬ obachter oder plaudern in den Fensterverciefungen und versammeln sich um den Whisttisch. Was nun den erwähnten Tod des Herzogs von Modena betrifft, so wird er nicht leicht anderswo, als in den engsten Familienkreisen Theilnahme erwecken, am wenigsten in seinem eigenen Lande, dem er ein strenger Herr und Gebieter war, welcher mehr po¬ litische Verbrecher hinrichten ließ, als irgend ein König eines mächtigen Reiches. Der Herzog bekannte sich zu einem so ausschweifenden Ab¬ solutismus, daß selbst der Kaiser Franz seine Grundsatze tadelte; we¬ der Napoleon noch Louis Philippe wurden von ihm anerkannt, und er war der einzige Fürst in Europa, welcher der Dynastie Orleans jede politische Berechtigung beharrlich absprach.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/282>, abgerufen am 22.12.2024.