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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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verurtheilt werden müßten. Der Franzose ist tolerant gegen jede Mei¬
nung, der deutsche ist unduldsam, sei er nun in der Opposition oder
in der Majorität. Darum ist die französische Gesellschaft bei aller
Meinungsverschiedenheit doch ein gemeinsamer fester Körper, während
die deutsche trotz aller Majorität des Philisterthums eine zerhackte
und zerstückelte bleibt.

Bei Gelegenheit von Duldsamkeit. Der Herzog von Guiche,
aus einer der ersten legitimistischen Familien Frankreichs, ein junger
Mann, der mit dem Herzog von Bordeaux erzogen wurde, hat die
Parthei der Legitimisten verlassen und hat sich "rallirt", wie der her¬
kömmliche Ausdruck für diese Art Aussöhnung mit den gegenwärti¬
gen Zuständen und Anschluß an die Orleanische Dynastie ist. Gestern
meldete das Journal des Dvbats mit kanonischer Ostentation: Der
Herzog von Guiche ist von dem König empfangen worden. Die ge¬
heime Geschichte dieses Uebertritts ist folgende: Der Herzog von Guiche
wirbt um die Hand der hübschen und unmäßig reichen Tochter des
Banquiers Fould. Dieser -- bekanntlich ein Jude -- hat zwei Be¬
dingungen gestellt, zuerst, daß seine Tochter nicht zur christlichen Re¬
ligion überzutreten braucht, obschon die zu erwartenden Kinder sämmt¬
lich der Religion des Vaters folgen sollen, und zweitens daß > sein
Eidam der Feindschaft gegen die herrschende Dynastie entsage, da die
Familie Fould zwei Deputirte in ihrer Mitte zählt und eine Verbin¬
dung mit einem Legitimisten eine Quelle von Zwietracht würde. Der
junge verliebte -- ob in das Madchen oder in die Mitgift? -- Her¬
zog hat beiden Bedingungen sich gefügt. Die legitimistische France
schleudert nun heute wie sechs gebührt, ihren Bannstrahl auf das Haupt
des politischen Renegaten. Aber in ihrem ganzen Artikel -- so schneidend
er ist -- kömmt auch nicht die leiseste Anspielung auf die Verbin¬
dung mit einer Jüdin vor; obschon Herr De Genoude, der Redac¬
teur, ein Abee, ein Geistlicher ist. Wäre ein ähnlicher Fall irgendwo
in Deutschland, wie hätte die Polemik da an der Hep-Hepklingel und
Mauschelglocke gezogen I Mit dem ersten September erlischt die Con¬
cession dreier Boulevardtheater, die nicht erneuert wird. Dagegen soll
Alexander Dumas um die Concession zu einem Theater für große
Dramen nachgesucht haben, die man ihm natürlich nicht abschlägt.
Was wird Dumas noch Alles unternehmen? Ich hörte ihn ein Mal
selber sagen: Ich brauche 100,000 Franken jährlich, und ich muß
trachten sie zu erwerben. Dumas schreibt Tag für Tag in der Regel
zwei Schreibbogen, die zusammen allwöchentlich ohngefähr einen mä¬
ßigen Band bilden; fo daß er bei einem Halbweg productiven Jahr
mit der eigenen Feder an 50 Bände "erzeugt"; abgesehen von an¬
dern Mitarbeitern, deren Erzeugnisse er retouchirt oder leitet. Fünf¬
zig Bände K 1000 Franken machen, allerdings erst 50,000 Franken,
und die andere Hälfte muß auf anderen Wegen errungen werden.


Crenzbvten, Is4S. l. gz

verurtheilt werden müßten. Der Franzose ist tolerant gegen jede Mei¬
nung, der deutsche ist unduldsam, sei er nun in der Opposition oder
in der Majorität. Darum ist die französische Gesellschaft bei aller
Meinungsverschiedenheit doch ein gemeinsamer fester Körper, während
die deutsche trotz aller Majorität des Philisterthums eine zerhackte
und zerstückelte bleibt.

Bei Gelegenheit von Duldsamkeit. Der Herzog von Guiche,
aus einer der ersten legitimistischen Familien Frankreichs, ein junger
Mann, der mit dem Herzog von Bordeaux erzogen wurde, hat die
Parthei der Legitimisten verlassen und hat sich „rallirt", wie der her¬
kömmliche Ausdruck für diese Art Aussöhnung mit den gegenwärti¬
gen Zuständen und Anschluß an die Orleanische Dynastie ist. Gestern
meldete das Journal des Dvbats mit kanonischer Ostentation: Der
Herzog von Guiche ist von dem König empfangen worden. Die ge¬
heime Geschichte dieses Uebertritts ist folgende: Der Herzog von Guiche
wirbt um die Hand der hübschen und unmäßig reichen Tochter des
Banquiers Fould. Dieser — bekanntlich ein Jude — hat zwei Be¬
dingungen gestellt, zuerst, daß seine Tochter nicht zur christlichen Re¬
ligion überzutreten braucht, obschon die zu erwartenden Kinder sämmt¬
lich der Religion des Vaters folgen sollen, und zweitens daß > sein
Eidam der Feindschaft gegen die herrschende Dynastie entsage, da die
Familie Fould zwei Deputirte in ihrer Mitte zählt und eine Verbin¬
dung mit einem Legitimisten eine Quelle von Zwietracht würde. Der
junge verliebte — ob in das Madchen oder in die Mitgift? — Her¬
zog hat beiden Bedingungen sich gefügt. Die legitimistische France
schleudert nun heute wie sechs gebührt, ihren Bannstrahl auf das Haupt
des politischen Renegaten. Aber in ihrem ganzen Artikel — so schneidend
er ist — kömmt auch nicht die leiseste Anspielung auf die Verbin¬
dung mit einer Jüdin vor; obschon Herr De Genoude, der Redac¬
teur, ein Abee, ein Geistlicher ist. Wäre ein ähnlicher Fall irgendwo
in Deutschland, wie hätte die Polemik da an der Hep-Hepklingel und
Mauschelglocke gezogen I Mit dem ersten September erlischt die Con¬
cession dreier Boulevardtheater, die nicht erneuert wird. Dagegen soll
Alexander Dumas um die Concession zu einem Theater für große
Dramen nachgesucht haben, die man ihm natürlich nicht abschlägt.
Was wird Dumas noch Alles unternehmen? Ich hörte ihn ein Mal
selber sagen: Ich brauche 100,000 Franken jährlich, und ich muß
trachten sie zu erwerben. Dumas schreibt Tag für Tag in der Regel
zwei Schreibbogen, die zusammen allwöchentlich ohngefähr einen mä¬
ßigen Band bilden; fo daß er bei einem Halbweg productiven Jahr
mit der eigenen Feder an 50 Bände „erzeugt"; abgesehen von an¬
dern Mitarbeitern, deren Erzeugnisse er retouchirt oder leitet. Fünf¬
zig Bände K 1000 Franken machen, allerdings erst 50,000 Franken,
und die andere Hälfte muß auf anderen Wegen errungen werden.


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[0281] verurtheilt werden müßten. Der Franzose ist tolerant gegen jede Mei¬ nung, der deutsche ist unduldsam, sei er nun in der Opposition oder in der Majorität. Darum ist die französische Gesellschaft bei aller Meinungsverschiedenheit doch ein gemeinsamer fester Körper, während die deutsche trotz aller Majorität des Philisterthums eine zerhackte und zerstückelte bleibt. Bei Gelegenheit von Duldsamkeit. Der Herzog von Guiche, aus einer der ersten legitimistischen Familien Frankreichs, ein junger Mann, der mit dem Herzog von Bordeaux erzogen wurde, hat die Parthei der Legitimisten verlassen und hat sich „rallirt", wie der her¬ kömmliche Ausdruck für diese Art Aussöhnung mit den gegenwärti¬ gen Zuständen und Anschluß an die Orleanische Dynastie ist. Gestern meldete das Journal des Dvbats mit kanonischer Ostentation: Der Herzog von Guiche ist von dem König empfangen worden. Die ge¬ heime Geschichte dieses Uebertritts ist folgende: Der Herzog von Guiche wirbt um die Hand der hübschen und unmäßig reichen Tochter des Banquiers Fould. Dieser — bekanntlich ein Jude — hat zwei Be¬ dingungen gestellt, zuerst, daß seine Tochter nicht zur christlichen Re¬ ligion überzutreten braucht, obschon die zu erwartenden Kinder sämmt¬ lich der Religion des Vaters folgen sollen, und zweitens daß > sein Eidam der Feindschaft gegen die herrschende Dynastie entsage, da die Familie Fould zwei Deputirte in ihrer Mitte zählt und eine Verbin¬ dung mit einem Legitimisten eine Quelle von Zwietracht würde. Der junge verliebte — ob in das Madchen oder in die Mitgift? — Her¬ zog hat beiden Bedingungen sich gefügt. Die legitimistische France schleudert nun heute wie sechs gebührt, ihren Bannstrahl auf das Haupt des politischen Renegaten. Aber in ihrem ganzen Artikel — so schneidend er ist — kömmt auch nicht die leiseste Anspielung auf die Verbin¬ dung mit einer Jüdin vor; obschon Herr De Genoude, der Redac¬ teur, ein Abee, ein Geistlicher ist. Wäre ein ähnlicher Fall irgendwo in Deutschland, wie hätte die Polemik da an der Hep-Hepklingel und Mauschelglocke gezogen I Mit dem ersten September erlischt die Con¬ cession dreier Boulevardtheater, die nicht erneuert wird. Dagegen soll Alexander Dumas um die Concession zu einem Theater für große Dramen nachgesucht haben, die man ihm natürlich nicht abschlägt. Was wird Dumas noch Alles unternehmen? Ich hörte ihn ein Mal selber sagen: Ich brauche 100,000 Franken jährlich, und ich muß trachten sie zu erwerben. Dumas schreibt Tag für Tag in der Regel zwei Schreibbogen, die zusammen allwöchentlich ohngefähr einen mä¬ ßigen Band bilden; fo daß er bei einem Halbweg productiven Jahr mit der eigenen Feder an 50 Bände „erzeugt"; abgesehen von an¬ dern Mitarbeitern, deren Erzeugnisse er retouchirt oder leitet. Fünf¬ zig Bände K 1000 Franken machen, allerdings erst 50,000 Franken, und die andere Hälfte muß auf anderen Wegen errungen werden. Crenzbvten, Is4S. l. gz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/281>, abgerufen am 01.09.2024.