Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Solche Hartherzigkeit ist aber sicher nicht die Regel. Und die O wär' dein Werk so schön, o wäre ruft der Dichter dem Könige der Banquiers zu. Aber diese Macht Das Räthsel ist noch nicht gelöst; das Räthsel einer solchen Gü- Solche Hartherzigkeit ist aber sicher nicht die Regel. Und die O wär' dein Werk so schön, o wäre ruft der Dichter dem Könige der Banquiers zu. Aber diese Macht Das Räthsel ist noch nicht gelöst; das Räthsel einer solchen Gü- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182081"/> <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Solche Hartherzigkeit ist aber sicher nicht die Regel. Und die<lb/> Aufforderung an die Reichen, barmherziger zu sein, widerspricht ja<lb/> doch geradezu der Aufforderung an die Armen, sich von der Ar¬<lb/> muth loözukämpfen. Für wen man Hülfe von Anderen erwartet,<lb/> der braucht sich selbst nicht zu helfen, und wen man zur Selbst¬<lb/> hülfe anspornen will, den muß man nicht an das fremde Erbarmen<lb/> verweisen. Endlich noch: Was würde mit diesem Erbarmen ge¬<lb/> wonnen sein, wenn es im allerausgedehntesten Maße geübt würde?<lb/> Die Vernichtung der Armuth? Keinesweges! Die Einstellung von<lb/> Genüssen der Reichen würde alle Die zu Armen machen, welche<lb/> von der Befriedigung dieser Genüsse leben, Handwerker, Fabrikan¬<lb/> ten, Kaufleute, Künstler u. f. f.</p><lb/> <quote> O wär' dein Werk so schön, o wäre<lb/> Dein Herz so groß wie deine Macht! —,</quote><lb/> <p xml:id="ID_604" prev="#ID_603"> ruft der Dichter dem Könige der Banquiers zu. Aber diese Macht<lb/> ist im Verhältniß zum Ganzen, im Verhältniß zu der Summe der<lb/> Noth und des Elends doch nur eine sehr beschränkte. Und wenn<lb/> das Herz dieses Reichen so groß als seine Macht wäre, und er<lb/> gäbe alles dahin, so würde er werden — wie der vom Dichter ge-<lb/> priesene Lafitte: sie würden ihn endlich wie den, einen Bettler, auf<lb/> den Kirchhof tragen; er würde die Armen nicht reich gemacht, son¬<lb/> dern nur die Zahl der Bettler um einen vermehrt haben, und viel¬<lb/> leicht noch um Viele, denen jener Eine zuvor Nahrung gegeben<lb/> hatte. Das ist die Prosa der Sache.</p><lb/> <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> Das Räthsel ist noch nicht gelöst; das Räthsel einer solchen Gü-<lb/> tervertheilung, mittelst deren die Armuth aus der Welt zu schaffen wäre.<lb/> Die Aufgabe ist nicht neu. Gearbeitet ist an ihrer Lösung worden,<lb/> soweit die Geschichte zurückreicht. Auch der Gedanke der Güter¬<lb/> gemeinschaft in den mannichfaltigsten Formen erträumter Durchfüh¬<lb/> rung, sogar in einzelnen Versuchen der Verwirklichung für kleinere<lb/> Kreise, ist Jahrtausende alt. Am ältesten aber diese Weisheit, daß<lb/> der Reiche nur barmherzig sein und nur dem Armen helfen möge,<lb/> so wäre alles gut. Oder aber umgekehrt, daß der Arme nur sich<lb/> selbst helfen möge. Und dies nun, was heißt es? Wenn nicht:<lb/> den Reichen todtschlagen und dessen Gut nehmen, so heißt es: durch<lb/> Arbeit sich zur Wohlhabenheit emporschwingen. Das ist der Punct.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
Solche Hartherzigkeit ist aber sicher nicht die Regel. Und die
Aufforderung an die Reichen, barmherziger zu sein, widerspricht ja
doch geradezu der Aufforderung an die Armen, sich von der Ar¬
muth loözukämpfen. Für wen man Hülfe von Anderen erwartet,
der braucht sich selbst nicht zu helfen, und wen man zur Selbst¬
hülfe anspornen will, den muß man nicht an das fremde Erbarmen
verweisen. Endlich noch: Was würde mit diesem Erbarmen ge¬
wonnen sein, wenn es im allerausgedehntesten Maße geübt würde?
Die Vernichtung der Armuth? Keinesweges! Die Einstellung von
Genüssen der Reichen würde alle Die zu Armen machen, welche
von der Befriedigung dieser Genüsse leben, Handwerker, Fabrikan¬
ten, Kaufleute, Künstler u. f. f.
O wär' dein Werk so schön, o wäre
Dein Herz so groß wie deine Macht! —,
ruft der Dichter dem Könige der Banquiers zu. Aber diese Macht
ist im Verhältniß zum Ganzen, im Verhältniß zu der Summe der
Noth und des Elends doch nur eine sehr beschränkte. Und wenn
das Herz dieses Reichen so groß als seine Macht wäre, und er
gäbe alles dahin, so würde er werden — wie der vom Dichter ge-
priesene Lafitte: sie würden ihn endlich wie den, einen Bettler, auf
den Kirchhof tragen; er würde die Armen nicht reich gemacht, son¬
dern nur die Zahl der Bettler um einen vermehrt haben, und viel¬
leicht noch um Viele, denen jener Eine zuvor Nahrung gegeben
hatte. Das ist die Prosa der Sache.
Das Räthsel ist noch nicht gelöst; das Räthsel einer solchen Gü-
tervertheilung, mittelst deren die Armuth aus der Welt zu schaffen wäre.
Die Aufgabe ist nicht neu. Gearbeitet ist an ihrer Lösung worden,
soweit die Geschichte zurückreicht. Auch der Gedanke der Güter¬
gemeinschaft in den mannichfaltigsten Formen erträumter Durchfüh¬
rung, sogar in einzelnen Versuchen der Verwirklichung für kleinere
Kreise, ist Jahrtausende alt. Am ältesten aber diese Weisheit, daß
der Reiche nur barmherzig sein und nur dem Armen helfen möge,
so wäre alles gut. Oder aber umgekehrt, daß der Arme nur sich
selbst helfen möge. Und dies nun, was heißt es? Wenn nicht:
den Reichen todtschlagen und dessen Gut nehmen, so heißt es: durch
Arbeit sich zur Wohlhabenheit emporschwingen. Das ist der Punct.
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