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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ein wenig fremd und verloren dasteht. Und doch liegt auch hier
das versöhnende Element nicht, nach dem Canon der Jdealacsthe-
tik, in irgend etwas "Höherem", dem der Mensch sich unterwirst
und das ihn entsühnt und ihm die Seligkeit in der Ferne zeigt: in
keinem "Sie ist gerettet!", in keinem "Das Leben ist der Güter
höchstes nicht," u. dergl., sondern ganz nur in dem Hervorbrechen
des natürlich menschlichen Gefühles, des Menschlichen, des Diessei¬
tigen, des Natürlichen. Wie denn überhaupt bei Beck die hin und
wieder auftauchenden Beziehungen auf Gott und den Himmel durch¬
aus nur dlscursiv erscheinen, -- das worauf es ankommt, ist
ihm nur: "zu lieben mit dem allertiefsten Herzen" --; und wie er
trotz seiner ausdrücklichen Versicherung: "ich bin fürwahr ein guter,
Christ", thatsächlich überall nur als Humanist auftritt. Beck hat
nicht mit Bewußtsein von den Idealen und von den Abstraktionen
losgelassen. In der Epistel an das Haus Rothschild stellt er
"Großes", "Herrliches" -- so allgemein hin -- "Aufopferung,"
"Licht," "Freiheit," Begeisterndes" über alles, und wirft eben dem
Banquier-Könige vor, daß er die Bürger nur wolle "friedlich gra¬
sen" lassen. Aber Beck ist sich hierin nur nicht ganz klar. Wäh¬
rend er solche Phrasen gebraucht, fällt unwillkürlich sein Blick im¬
mer und immer wieder nur auf das Natürliche, Leibliche, Reale;
und das "ringende große Herz," dessen Befriedigung er ersehnt, ist
wirklich ganz nur das irdische Herz.

"Lieder vom armen Mann" hat Beck die Sammlung genannt.
In Wahrheit sind es Lieder von den Armen und den Reichen. Durch
und durch zieht sich dieser Gegensatz. Daß die Einen so reich, die
Anderen so arm sind, das ist der Fluch der Zeit; weil die Einen so
reich sind, darum sind die Andern so arm; die Armuth der Armen
macht Beck den Reichen zum Vorwurf. Er seinerseits ist aber der
Anwalt des armen Mannes; und daher hat er denn seine Lieder,
wiewohl "Arm und Reich" ihr Inhalt ist, doch mit Recht nur
"vom armen Manne" genannt. Den ganzen Köcher seines Zor¬
nes leert er gegen den Reichthum, ja, noch mehr, gegen die Rei¬
chen. Dem Armen hat er nichts vorzuwerfen, als das eine, eben
nur dies, daß er arm ist, und daß er es erträgt, arm zu sein. Wer
arm ist, der mag sterben und verderben, die Reichen bedienen, ihren
Launen stöhnen, seine Töchter ihnen zur Lust hingeben -- alles, alles,


ein wenig fremd und verloren dasteht. Und doch liegt auch hier
das versöhnende Element nicht, nach dem Canon der Jdealacsthe-
tik, in irgend etwas „Höherem", dem der Mensch sich unterwirst
und das ihn entsühnt und ihm die Seligkeit in der Ferne zeigt: in
keinem „Sie ist gerettet!", in keinem „Das Leben ist der Güter
höchstes nicht," u. dergl., sondern ganz nur in dem Hervorbrechen
des natürlich menschlichen Gefühles, des Menschlichen, des Diessei¬
tigen, des Natürlichen. Wie denn überhaupt bei Beck die hin und
wieder auftauchenden Beziehungen auf Gott und den Himmel durch¬
aus nur dlscursiv erscheinen, — das worauf es ankommt, ist
ihm nur: „zu lieben mit dem allertiefsten Herzen" —; und wie er
trotz seiner ausdrücklichen Versicherung: „ich bin fürwahr ein guter,
Christ", thatsächlich überall nur als Humanist auftritt. Beck hat
nicht mit Bewußtsein von den Idealen und von den Abstraktionen
losgelassen. In der Epistel an das Haus Rothschild stellt er
„Großes", „Herrliches" — so allgemein hin — „Aufopferung,"
„Licht," „Freiheit," Begeisterndes" über alles, und wirft eben dem
Banquier-Könige vor, daß er die Bürger nur wolle „friedlich gra¬
sen" lassen. Aber Beck ist sich hierin nur nicht ganz klar. Wäh¬
rend er solche Phrasen gebraucht, fällt unwillkürlich sein Blick im¬
mer und immer wieder nur auf das Natürliche, Leibliche, Reale;
und das „ringende große Herz," dessen Befriedigung er ersehnt, ist
wirklich ganz nur das irdische Herz.

„Lieder vom armen Mann" hat Beck die Sammlung genannt.
In Wahrheit sind es Lieder von den Armen und den Reichen. Durch
und durch zieht sich dieser Gegensatz. Daß die Einen so reich, die
Anderen so arm sind, das ist der Fluch der Zeit; weil die Einen so
reich sind, darum sind die Andern so arm; die Armuth der Armen
macht Beck den Reichen zum Vorwurf. Er seinerseits ist aber der
Anwalt des armen Mannes; und daher hat er denn seine Lieder,
wiewohl „Arm und Reich" ihr Inhalt ist, doch mit Recht nur
„vom armen Manne" genannt. Den ganzen Köcher seines Zor¬
nes leert er gegen den Reichthum, ja, noch mehr, gegen die Rei¬
chen. Dem Armen hat er nichts vorzuwerfen, als das eine, eben
nur dies, daß er arm ist, und daß er es erträgt, arm zu sein. Wer
arm ist, der mag sterben und verderben, die Reichen bedienen, ihren
Launen stöhnen, seine Töchter ihnen zur Lust hingeben — alles, alles,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/269>, abgerufen am 01.09.2024.