Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

arbeiten glänzen könnten, wie Breto de los Herreros und Navarrete, geben
sich zu solchem Flickwerk her. Freilich ist es sehr lohnend und die
täglichen Lorbeeren sind auf diese Weise wohlfeil zu erringen; denn
das spanische Publieum, dessen Belesenheit eben so gering wie
sein Geschmack gebildet ist, applaudirt diese spanisch-französischen
Stücke wie Originaldramcn, namentlich da man in Madrid, grade
wie in Deutschland, oft die allerliebste Naivetät hat, das "nach
dem Französischen", oder den Namen des ausländischen Verfassers
auf dem Theaterzettel wegzulassen.

"Er muß auf's Land" ist auch in Madrid gespielt worden,
und zwar mit solchem Beifall, daß der Uebersetzer Navarrete drei¬
mal herausgerufen und mit Blumenkränzen überschüttet wurde.
Ein spanischer Oberst, der die "Camaraderie" zuerst in Madrid und
dann in Paris aufführen sah, behauptete steif und fest, das Stück
sei aus dem Spanischen übersetzt, und Scribe sei ein unverschäm-
ter Plagiator. Das ist doch spanisch! ,

Wenn das Drama großentheils französischen Ursprungs ist,
so ist die Oper italienisch. Der Musikvilettanten- Fanatismus ist
in Madrid größer, als in irgend einer außeritalienischcn Stadt
Europas, Paris und London nicht ausgenommen. Madrid, ob¬
gleich unendlich kleiner als jene beiden Weltstädte, hat zwei italie¬
nische Opcrntheater, die das ganze Jahr spielen, während Paris
wie London uur eine italienische Oper besitzt, die noch dazu ein
halbes Jahr geschlossen bleibt. Die beiden Madrider Opernhäuser
bekommen keine Unterstützung von der Regierung und werden von
zwei Direktoren ausgebeutet, die bei der heißesten Concurrenz , die
sie einander machen, Millionaire geworden sind. Die Prima Don¬
nas sind nicht stets mit einer Grisi oder Schröder, oft nicht mit
einer Lutzer zu vergleichen ; trotzdem werden sie oft mit Fanatis¬
mus applaudirt und zuweilen mit Geschmack beurtheilt.

Aber der Sinn für Musik ist bei dem allen nicht so mächtig,
als die antike Passion für die Stiergefechte, und der Stierkämpfer
MontLs ist in Spanien populärer als bei uns ein Lißt, eine Jenny
Lind oder ein berühmter Kritiker oder Dichter. Dieses Nationalver¬
gnügen ist in Spanien die zäheste und gewissermaßen heiligste aller
alten Traditionen.


ölrenzbote", I. Z2

arbeiten glänzen könnten, wie Breto de los Herreros und Navarrete, geben
sich zu solchem Flickwerk her. Freilich ist es sehr lohnend und die
täglichen Lorbeeren sind auf diese Weise wohlfeil zu erringen; denn
das spanische Publieum, dessen Belesenheit eben so gering wie
sein Geschmack gebildet ist, applaudirt diese spanisch-französischen
Stücke wie Originaldramcn, namentlich da man in Madrid, grade
wie in Deutschland, oft die allerliebste Naivetät hat, das „nach
dem Französischen", oder den Namen des ausländischen Verfassers
auf dem Theaterzettel wegzulassen.

„Er muß auf's Land" ist auch in Madrid gespielt worden,
und zwar mit solchem Beifall, daß der Uebersetzer Navarrete drei¬
mal herausgerufen und mit Blumenkränzen überschüttet wurde.
Ein spanischer Oberst, der die „Camaraderie" zuerst in Madrid und
dann in Paris aufführen sah, behauptete steif und fest, das Stück
sei aus dem Spanischen übersetzt, und Scribe sei ein unverschäm-
ter Plagiator. Das ist doch spanisch! ,

Wenn das Drama großentheils französischen Ursprungs ist,
so ist die Oper italienisch. Der Musikvilettanten- Fanatismus ist
in Madrid größer, als in irgend einer außeritalienischcn Stadt
Europas, Paris und London nicht ausgenommen. Madrid, ob¬
gleich unendlich kleiner als jene beiden Weltstädte, hat zwei italie¬
nische Opcrntheater, die das ganze Jahr spielen, während Paris
wie London uur eine italienische Oper besitzt, die noch dazu ein
halbes Jahr geschlossen bleibt. Die beiden Madrider Opernhäuser
bekommen keine Unterstützung von der Regierung und werden von
zwei Direktoren ausgebeutet, die bei der heißesten Concurrenz , die
sie einander machen, Millionaire geworden sind. Die Prima Don¬
nas sind nicht stets mit einer Grisi oder Schröder, oft nicht mit
einer Lutzer zu vergleichen ; trotzdem werden sie oft mit Fanatis¬
mus applaudirt und zuweilen mit Geschmack beurtheilt.

Aber der Sinn für Musik ist bei dem allen nicht so mächtig,
als die antike Passion für die Stiergefechte, und der Stierkämpfer
MontLs ist in Spanien populärer als bei uns ein Lißt, eine Jenny
Lind oder ein berühmter Kritiker oder Dichter. Dieses Nationalver¬
gnügen ist in Spanien die zäheste und gewissermaßen heiligste aller
alten Traditionen.


ölrenzbote», I. Z2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182067"/>
          <p xml:id="ID_512" prev="#ID_511"> arbeiten glänzen könnten, wie Breto de los Herreros und Navarrete, geben<lb/>
sich zu solchem Flickwerk her. Freilich ist es sehr lohnend und die<lb/>
täglichen Lorbeeren sind auf diese Weise wohlfeil zu erringen; denn<lb/>
das spanische Publieum, dessen Belesenheit eben so gering wie<lb/>
sein Geschmack gebildet ist, applaudirt diese spanisch-französischen<lb/>
Stücke wie Originaldramcn, namentlich da man in Madrid, grade<lb/>
wie in Deutschland, oft die allerliebste Naivetät hat, das &#x201E;nach<lb/>
dem Französischen", oder den Namen des ausländischen Verfassers<lb/>
auf dem Theaterzettel wegzulassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> &#x201E;Er muß auf's Land" ist auch in Madrid gespielt worden,<lb/>
und zwar mit solchem Beifall, daß der Uebersetzer Navarrete drei¬<lb/>
mal herausgerufen und mit Blumenkränzen überschüttet wurde.<lb/>
Ein spanischer Oberst, der die &#x201E;Camaraderie" zuerst in Madrid und<lb/>
dann in Paris aufführen sah, behauptete steif und fest, das Stück<lb/>
sei aus dem Spanischen übersetzt, und Scribe sei ein unverschäm-<lb/>
ter Plagiator. Das ist doch spanisch! ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Wenn das Drama großentheils französischen Ursprungs ist,<lb/>
so ist die Oper italienisch. Der Musikvilettanten- Fanatismus ist<lb/>
in Madrid größer, als in irgend einer außeritalienischcn Stadt<lb/>
Europas, Paris und London nicht ausgenommen. Madrid, ob¬<lb/>
gleich unendlich kleiner als jene beiden Weltstädte, hat zwei italie¬<lb/>
nische Opcrntheater, die das ganze Jahr spielen, während Paris<lb/>
wie London uur eine italienische Oper besitzt, die noch dazu ein<lb/>
halbes Jahr geschlossen bleibt. Die beiden Madrider Opernhäuser<lb/>
bekommen keine Unterstützung von der Regierung und werden von<lb/>
zwei Direktoren ausgebeutet, die bei der heißesten Concurrenz , die<lb/>
sie einander machen, Millionaire geworden sind. Die Prima Don¬<lb/>
nas sind nicht stets mit einer Grisi oder Schröder, oft nicht mit<lb/>
einer Lutzer zu vergleichen ; trotzdem werden sie oft mit Fanatis¬<lb/>
mus applaudirt und zuweilen mit Geschmack beurtheilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515"> Aber der Sinn für Musik ist bei dem allen nicht so mächtig,<lb/>
als die antike Passion für die Stiergefechte, und der Stierkämpfer<lb/>
MontLs ist in Spanien populärer als bei uns ein Lißt, eine Jenny<lb/>
Lind oder ein berühmter Kritiker oder Dichter. Dieses Nationalver¬<lb/>
gnügen ist in Spanien die zäheste und gewissermaßen heiligste aller<lb/>
alten Traditionen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ölrenzbote», I. Z2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] arbeiten glänzen könnten, wie Breto de los Herreros und Navarrete, geben sich zu solchem Flickwerk her. Freilich ist es sehr lohnend und die täglichen Lorbeeren sind auf diese Weise wohlfeil zu erringen; denn das spanische Publieum, dessen Belesenheit eben so gering wie sein Geschmack gebildet ist, applaudirt diese spanisch-französischen Stücke wie Originaldramcn, namentlich da man in Madrid, grade wie in Deutschland, oft die allerliebste Naivetät hat, das „nach dem Französischen", oder den Namen des ausländischen Verfassers auf dem Theaterzettel wegzulassen. „Er muß auf's Land" ist auch in Madrid gespielt worden, und zwar mit solchem Beifall, daß der Uebersetzer Navarrete drei¬ mal herausgerufen und mit Blumenkränzen überschüttet wurde. Ein spanischer Oberst, der die „Camaraderie" zuerst in Madrid und dann in Paris aufführen sah, behauptete steif und fest, das Stück sei aus dem Spanischen übersetzt, und Scribe sei ein unverschäm- ter Plagiator. Das ist doch spanisch! , Wenn das Drama großentheils französischen Ursprungs ist, so ist die Oper italienisch. Der Musikvilettanten- Fanatismus ist in Madrid größer, als in irgend einer außeritalienischcn Stadt Europas, Paris und London nicht ausgenommen. Madrid, ob¬ gleich unendlich kleiner als jene beiden Weltstädte, hat zwei italie¬ nische Opcrntheater, die das ganze Jahr spielen, während Paris wie London uur eine italienische Oper besitzt, die noch dazu ein halbes Jahr geschlossen bleibt. Die beiden Madrider Opernhäuser bekommen keine Unterstützung von der Regierung und werden von zwei Direktoren ausgebeutet, die bei der heißesten Concurrenz , die sie einander machen, Millionaire geworden sind. Die Prima Don¬ nas sind nicht stets mit einer Grisi oder Schröder, oft nicht mit einer Lutzer zu vergleichen ; trotzdem werden sie oft mit Fanatis¬ mus applaudirt und zuweilen mit Geschmack beurtheilt. Aber der Sinn für Musik ist bei dem allen nicht so mächtig, als die antike Passion für die Stiergefechte, und der Stierkämpfer MontLs ist in Spanien populärer als bei uns ein Lißt, eine Jenny Lind oder ein berühmter Kritiker oder Dichter. Dieses Nationalver¬ gnügen ist in Spanien die zäheste und gewissermaßen heiligste aller alten Traditionen. ölrenzbote», I. Z2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/235>, abgerufen am 23.12.2024.