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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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hübsche Sennora agitirt gegen die Einführung her Hüte, dieser hä߬
lichen Fensterrahmen für graciöse Gesichtchen.

Von dem geistreichen Briefstyl und dem ästhetischen Thcege-
schwätz unserer norddeutschen Frauen ist keine Spur in der gebil-
deten Madrider Gesellschaft zu finden, und wir wissen nicht, ob
man diesen Mangel sehr beklagen soll. Die sprichwörtliche Un¬
wissenheit der Spanierinnen ist eine größere Wahrheit, als die spa¬
nische und manche andere Charte. Dies kommt daher, daß sie meist
noch in Klöstern erzogen sind, wo sie Nichts als Taschentücher säu¬
men und die Litanei singen lernen. Dafür gibt es in Madrid nur
einen einzigen Blaustrumpf: Sennorita Gertrude Avellaneda, Ver¬
fasserin eines sehr wildlockigen Dramas "Alfonso Munio" und eini¬
ger lyrischen Gedichte voll schwülstiger Langweiligkeit. Mlle. Avel¬
laneda ist etwa 30 Jahre alt und stammt aus der Havanna, wo
die trefflichen Cigarren wachsen. Dies Alles zusammen hat sie zur
Löwin von Madrid gemacht', und was ihren Ruhm noch mehr
erhöht, ist, daß ein deutscher Baron, der selbst schlechte Verse machte,
wegen der schönen Augen dieser creolischen Corinna im Duell ge¬
fallen ist.

Wenn indessen der Blaustrumpf sich noch nicht in der pvre-
näischen Halbinsel acclimatisirt hat, so fängt Madrid doch immer
mehr an, eine literarische Stadt zu werden, und es wird dort bald
eben so viele Literaten zum Ausweisen geben wie in Leipzig. Allein
abgesehen von der ernsten publicistischen Presse und den belehrenden
Revuen mit dem Pfennigmagazincharakter, die seit einigen Jahren
unglaublich in Schwung gekommen sind, und abgesehen von den
wenigen strebenden Talenten, die eingedenk der Sonne des Cervan¬
tes und des Calderon, im Schatten ihrer. Einsamkeit stehen, .ist der
literarische Unterhaltungsmarkt überschwemmt von einem Troß von
Uebersetzern, Bearbeitern und Nachahmern, die zur Französirung des
spanischen Geistes das ihrige beitragen. Kein Pariser Feuilleton
von einem nur irgend renomirten Autor, das nicht übersetzt, kein
Pariser Drama und Melodrama von nur einigem Bühnenglück, das
nicht bearbeitet, und zwar oft noch ins Wildere und Tollere meta-
morphosirt würde. Gewöhnlich werden auch die Titel geändert. Einer
der fruchtbarsten und geschicktesten dieser dramatischen AfrancesadoS ist
Ventura delaVega. Aber auch größere Talente, die durch ihre Original-


hübsche Sennora agitirt gegen die Einführung her Hüte, dieser hä߬
lichen Fensterrahmen für graciöse Gesichtchen.

Von dem geistreichen Briefstyl und dem ästhetischen Thcege-
schwätz unserer norddeutschen Frauen ist keine Spur in der gebil-
deten Madrider Gesellschaft zu finden, und wir wissen nicht, ob
man diesen Mangel sehr beklagen soll. Die sprichwörtliche Un¬
wissenheit der Spanierinnen ist eine größere Wahrheit, als die spa¬
nische und manche andere Charte. Dies kommt daher, daß sie meist
noch in Klöstern erzogen sind, wo sie Nichts als Taschentücher säu¬
men und die Litanei singen lernen. Dafür gibt es in Madrid nur
einen einzigen Blaustrumpf: Sennorita Gertrude Avellaneda, Ver¬
fasserin eines sehr wildlockigen Dramas „Alfonso Munio" und eini¬
ger lyrischen Gedichte voll schwülstiger Langweiligkeit. Mlle. Avel¬
laneda ist etwa 30 Jahre alt und stammt aus der Havanna, wo
die trefflichen Cigarren wachsen. Dies Alles zusammen hat sie zur
Löwin von Madrid gemacht', und was ihren Ruhm noch mehr
erhöht, ist, daß ein deutscher Baron, der selbst schlechte Verse machte,
wegen der schönen Augen dieser creolischen Corinna im Duell ge¬
fallen ist.

Wenn indessen der Blaustrumpf sich noch nicht in der pvre-
näischen Halbinsel acclimatisirt hat, so fängt Madrid doch immer
mehr an, eine literarische Stadt zu werden, und es wird dort bald
eben so viele Literaten zum Ausweisen geben wie in Leipzig. Allein
abgesehen von der ernsten publicistischen Presse und den belehrenden
Revuen mit dem Pfennigmagazincharakter, die seit einigen Jahren
unglaublich in Schwung gekommen sind, und abgesehen von den
wenigen strebenden Talenten, die eingedenk der Sonne des Cervan¬
tes und des Calderon, im Schatten ihrer. Einsamkeit stehen, .ist der
literarische Unterhaltungsmarkt überschwemmt von einem Troß von
Uebersetzern, Bearbeitern und Nachahmern, die zur Französirung des
spanischen Geistes das ihrige beitragen. Kein Pariser Feuilleton
von einem nur irgend renomirten Autor, das nicht übersetzt, kein
Pariser Drama und Melodrama von nur einigem Bühnenglück, das
nicht bearbeitet, und zwar oft noch ins Wildere und Tollere meta-
morphosirt würde. Gewöhnlich werden auch die Titel geändert. Einer
der fruchtbarsten und geschicktesten dieser dramatischen AfrancesadoS ist
Ventura delaVega. Aber auch größere Talente, die durch ihre Original-


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[0234] hübsche Sennora agitirt gegen die Einführung her Hüte, dieser hä߬ lichen Fensterrahmen für graciöse Gesichtchen. Von dem geistreichen Briefstyl und dem ästhetischen Thcege- schwätz unserer norddeutschen Frauen ist keine Spur in der gebil- deten Madrider Gesellschaft zu finden, und wir wissen nicht, ob man diesen Mangel sehr beklagen soll. Die sprichwörtliche Un¬ wissenheit der Spanierinnen ist eine größere Wahrheit, als die spa¬ nische und manche andere Charte. Dies kommt daher, daß sie meist noch in Klöstern erzogen sind, wo sie Nichts als Taschentücher säu¬ men und die Litanei singen lernen. Dafür gibt es in Madrid nur einen einzigen Blaustrumpf: Sennorita Gertrude Avellaneda, Ver¬ fasserin eines sehr wildlockigen Dramas „Alfonso Munio" und eini¬ ger lyrischen Gedichte voll schwülstiger Langweiligkeit. Mlle. Avel¬ laneda ist etwa 30 Jahre alt und stammt aus der Havanna, wo die trefflichen Cigarren wachsen. Dies Alles zusammen hat sie zur Löwin von Madrid gemacht', und was ihren Ruhm noch mehr erhöht, ist, daß ein deutscher Baron, der selbst schlechte Verse machte, wegen der schönen Augen dieser creolischen Corinna im Duell ge¬ fallen ist. Wenn indessen der Blaustrumpf sich noch nicht in der pvre- näischen Halbinsel acclimatisirt hat, so fängt Madrid doch immer mehr an, eine literarische Stadt zu werden, und es wird dort bald eben so viele Literaten zum Ausweisen geben wie in Leipzig. Allein abgesehen von der ernsten publicistischen Presse und den belehrenden Revuen mit dem Pfennigmagazincharakter, die seit einigen Jahren unglaublich in Schwung gekommen sind, und abgesehen von den wenigen strebenden Talenten, die eingedenk der Sonne des Cervan¬ tes und des Calderon, im Schatten ihrer. Einsamkeit stehen, .ist der literarische Unterhaltungsmarkt überschwemmt von einem Troß von Uebersetzern, Bearbeitern und Nachahmern, die zur Französirung des spanischen Geistes das ihrige beitragen. Kein Pariser Feuilleton von einem nur irgend renomirten Autor, das nicht übersetzt, kein Pariser Drama und Melodrama von nur einigem Bühnenglück, das nicht bearbeitet, und zwar oft noch ins Wildere und Tollere meta- morphosirt würde. Gewöhnlich werden auch die Titel geändert. Einer der fruchtbarsten und geschicktesten dieser dramatischen AfrancesadoS ist Ventura delaVega. Aber auch größere Talente, die durch ihre Original-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/234>, abgerufen am 23.12.2024.