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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Im Prado, einem großen eleganten Garten mit Statuen,
Fontainen und schattigen Alleen, trifft man noch immer alle Stände
von Madrid in demokratischen Durcheinander täglich promenirend.
Da begegnet die große Dame oft der Manola, welche, nach der
Chronique scandaleuse, die Maitresse ihres Mannes ist; der Fran-
ciskcmcrmönch brennt seine Cigarre an der eines Offiziers vom
Regiment der Princessin an, und der Dandy im Frack stößt an
den Studenten in Lumpen. Dann läutet man Angelus, die bunte
Masse verläuft sich, und in dem Schatten balsamischer Gebüsche
bleiben nur einige Liebespärchen sitzen und erwarten den Mondschein.

Die Hausfrauen von Madrid haben bereits die moderne
Sitte angenommen, daß sie wöchentlich an einem bestimmten Tage
"empfangen." In diesen Tertullias oder Soireen giebt es Erfri¬
schungen, Geklatsch und Langeweile, wie in allen großen Städten.
Außerdem wüthet hier das Pianoforte, das unvermeidliche Piano-
forte, welches, wie die Cholera, bis an die Säulen des Herkules
gedrungen ist, und die spanische Guitarre von ihrem Thron zu
stoßen droht. Unter die alten Gewohnheiten dagegen gehört, daß
man noch regelmäßig, während der heitersten Tagesstunden, seine
Siesta hält; diese Sitte wird wohl das Klima gegen alle Neue-
nmgölust aufrecht halten. Auch bringt man den Sterbenden im¬
mer noch die letzten Sacramente mit dem Accompagnement eines
traurigen Glockenspiels. Endlich scheint die ungesunde miasma¬
tische Luft von Madrid zu den alten Dingen zu gehören, die dem
Fortschritt der Zeit nicht weichen wollen.

Welche Widersprüche in diesem Fortschritt, welches sonderbare
Gemisch von alten und neuen Moden I Die junge Generation
schreit nach constitutionellen Reformen, und gehorcht blind jedem
Alguazil; sie prahlt mit Atheismus, und wirft sich gern vor jedem
holzgeschnitzter Madonnenbild auf die Kniee; sie stimmt noch die
alten Töne von spanischer Ritterlichkeit und Romantik an, wäh¬
rend sie Nichts mehr für positiv hält als den Thaler in der Tasche,
Die allgemeine Tendenz des Zeitalters, sein Schiboleth, und seine
Devise ist der -- schwarze Frack. Er wird die Uniform Europas,
er herrscht in Petersburg, wie in Madrid, in Stockholm wie in
Rom, und bald auch in Konstantinopel. Ist er das Symbol der
Civilisation oder das Trauerkleid der Nationalitäten? --




Im Prado, einem großen eleganten Garten mit Statuen,
Fontainen und schattigen Alleen, trifft man noch immer alle Stände
von Madrid in demokratischen Durcheinander täglich promenirend.
Da begegnet die große Dame oft der Manola, welche, nach der
Chronique scandaleuse, die Maitresse ihres Mannes ist; der Fran-
ciskcmcrmönch brennt seine Cigarre an der eines Offiziers vom
Regiment der Princessin an, und der Dandy im Frack stößt an
den Studenten in Lumpen. Dann läutet man Angelus, die bunte
Masse verläuft sich, und in dem Schatten balsamischer Gebüsche
bleiben nur einige Liebespärchen sitzen und erwarten den Mondschein.

Die Hausfrauen von Madrid haben bereits die moderne
Sitte angenommen, daß sie wöchentlich an einem bestimmten Tage
„empfangen." In diesen Tertullias oder Soireen giebt es Erfri¬
schungen, Geklatsch und Langeweile, wie in allen großen Städten.
Außerdem wüthet hier das Pianoforte, das unvermeidliche Piano-
forte, welches, wie die Cholera, bis an die Säulen des Herkules
gedrungen ist, und die spanische Guitarre von ihrem Thron zu
stoßen droht. Unter die alten Gewohnheiten dagegen gehört, daß
man noch regelmäßig, während der heitersten Tagesstunden, seine
Siesta hält; diese Sitte wird wohl das Klima gegen alle Neue-
nmgölust aufrecht halten. Auch bringt man den Sterbenden im¬
mer noch die letzten Sacramente mit dem Accompagnement eines
traurigen Glockenspiels. Endlich scheint die ungesunde miasma¬
tische Luft von Madrid zu den alten Dingen zu gehören, die dem
Fortschritt der Zeit nicht weichen wollen.

Welche Widersprüche in diesem Fortschritt, welches sonderbare
Gemisch von alten und neuen Moden I Die junge Generation
schreit nach constitutionellen Reformen, und gehorcht blind jedem
Alguazil; sie prahlt mit Atheismus, und wirft sich gern vor jedem
holzgeschnitzter Madonnenbild auf die Kniee; sie stimmt noch die
alten Töne von spanischer Ritterlichkeit und Romantik an, wäh¬
rend sie Nichts mehr für positiv hält als den Thaler in der Tasche,
Die allgemeine Tendenz des Zeitalters, sein Schiboleth, und seine
Devise ist der — schwarze Frack. Er wird die Uniform Europas,
er herrscht in Petersburg, wie in Madrid, in Stockholm wie in
Rom, und bald auch in Konstantinopel. Ist er das Symbol der
Civilisation oder das Trauerkleid der Nationalitäten? —




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[0236] Im Prado, einem großen eleganten Garten mit Statuen, Fontainen und schattigen Alleen, trifft man noch immer alle Stände von Madrid in demokratischen Durcheinander täglich promenirend. Da begegnet die große Dame oft der Manola, welche, nach der Chronique scandaleuse, die Maitresse ihres Mannes ist; der Fran- ciskcmcrmönch brennt seine Cigarre an der eines Offiziers vom Regiment der Princessin an, und der Dandy im Frack stößt an den Studenten in Lumpen. Dann läutet man Angelus, die bunte Masse verläuft sich, und in dem Schatten balsamischer Gebüsche bleiben nur einige Liebespärchen sitzen und erwarten den Mondschein. Die Hausfrauen von Madrid haben bereits die moderne Sitte angenommen, daß sie wöchentlich an einem bestimmten Tage „empfangen." In diesen Tertullias oder Soireen giebt es Erfri¬ schungen, Geklatsch und Langeweile, wie in allen großen Städten. Außerdem wüthet hier das Pianoforte, das unvermeidliche Piano- forte, welches, wie die Cholera, bis an die Säulen des Herkules gedrungen ist, und die spanische Guitarre von ihrem Thron zu stoßen droht. Unter die alten Gewohnheiten dagegen gehört, daß man noch regelmäßig, während der heitersten Tagesstunden, seine Siesta hält; diese Sitte wird wohl das Klima gegen alle Neue- nmgölust aufrecht halten. Auch bringt man den Sterbenden im¬ mer noch die letzten Sacramente mit dem Accompagnement eines traurigen Glockenspiels. Endlich scheint die ungesunde miasma¬ tische Luft von Madrid zu den alten Dingen zu gehören, die dem Fortschritt der Zeit nicht weichen wollen. Welche Widersprüche in diesem Fortschritt, welches sonderbare Gemisch von alten und neuen Moden I Die junge Generation schreit nach constitutionellen Reformen, und gehorcht blind jedem Alguazil; sie prahlt mit Atheismus, und wirft sich gern vor jedem holzgeschnitzter Madonnenbild auf die Kniee; sie stimmt noch die alten Töne von spanischer Ritterlichkeit und Romantik an, wäh¬ rend sie Nichts mehr für positiv hält als den Thaler in der Tasche, Die allgemeine Tendenz des Zeitalters, sein Schiboleth, und seine Devise ist der — schwarze Frack. Er wird die Uniform Europas, er herrscht in Petersburg, wie in Madrid, in Stockholm wie in Rom, und bald auch in Konstantinopel. Ist er das Symbol der Civilisation oder das Trauerkleid der Nationalitäten? —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/236>, abgerufen am 01.09.2024.