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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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könne. Jene Zurückhaltung seiner Feder hatte einen andern, viel
natürlichern Grund in Carrel'ö Stolz. Nach dem bei der Grün¬
dung des National geschlossenen Contracte, sollten die drei Re¬
dacteure einer um den andern die Oberleitung des Blattes führen,
und zwar, da Thiers und Mignet damals in einem höheren, litera--
rischen und politischen Ansehen standen, im ersten Jahre Thiers,
im zweiten Mignet, und erst im dritten Carrel. Dieser ward
dadurch in eine untergeordnete Stellung gedrängt, und da er sich
zum Commando berufen fühlte, widerstrebte es seinem stolzen
Sinne, fortwährend in dritter Reihe, als Subalternofficier aufzu¬
treten. Deshalb hielt er sich, während der ersten Periode des
National, ein wenig im Hintergrund.

Aus diesem Zustande des Mißbehagens und der Unthätigkeit
rissen ihn die verhängnißvollen Juliordonnanzen. Carrel war be¬
reit zum Widerstände, hatte aber gleich vielen Anderen, kein festes
Vertrauen auf den Sieg der Schilderhebung. An" 26. schrieb er
in einer Beilage zum National, die am Mittag ausgegeben wurde,
den ersten "Aufruf an die persönliche Thatkraft der Bürger". Die¬
ser Aufruf weckte die Lawine; es war gleichsam jener erste El-
bogenstoß, von dem Börne sagt, daß er hinreiche, um, durch die
Massen sich fortpflanzend, das Gerüst der Tyrannei umzustürzen;
und es gibt wohl kein zweites Beispiel, daß ein bloßer Journal¬
artikel so unmittelbar in die Geschichte Europas eingegriffen hätte;
von deutschen Jonrnalartikeln gar nicht zu reden. Freilich muß
man nicht vergessen, daß nur bei einem Volke, wie das von Pa¬
ris, solche Aufrufe so mächtig widerhallen können. Am folgenden
Tage unterzeichnete er die allgemeine Protestation der Journalisten,
die, von Thiers redigirt, ebenfalls vom National veröffentlicht wurde.
Als endlich das Gewehrfeuer zwischen Volk und Truppen begon¬
nen hatte, da irrte Carrel, wie Louis Blanc erzählt, unbewaffnet,
ein schwarzes Spazierstöckchen in der Hand, durch die Straßen,
wo am wüthendsten gefochten wurde, den Kugeln trotzend, ohne
anzufechten, und fragte fortwährend seine vertrautesten Freunde:
"Habt ihr denn nur ein einziges Bataillon?" Es ward dem ehe¬
maligen Souslieutenant doch schwer, an die Möglichkeit eines
Volkssieges über reguläre Truppen zu glauben.

Am 30. Jtlli wurde ihm von Laffitte das Commando über


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könne. Jene Zurückhaltung seiner Feder hatte einen andern, viel
natürlichern Grund in Carrel'ö Stolz. Nach dem bei der Grün¬
dung des National geschlossenen Contracte, sollten die drei Re¬
dacteure einer um den andern die Oberleitung des Blattes führen,
und zwar, da Thiers und Mignet damals in einem höheren, litera--
rischen und politischen Ansehen standen, im ersten Jahre Thiers,
im zweiten Mignet, und erst im dritten Carrel. Dieser ward
dadurch in eine untergeordnete Stellung gedrängt, und da er sich
zum Commando berufen fühlte, widerstrebte es seinem stolzen
Sinne, fortwährend in dritter Reihe, als Subalternofficier aufzu¬
treten. Deshalb hielt er sich, während der ersten Periode des
National, ein wenig im Hintergrund.

Aus diesem Zustande des Mißbehagens und der Unthätigkeit
rissen ihn die verhängnißvollen Juliordonnanzen. Carrel war be¬
reit zum Widerstände, hatte aber gleich vielen Anderen, kein festes
Vertrauen auf den Sieg der Schilderhebung. An» 26. schrieb er
in einer Beilage zum National, die am Mittag ausgegeben wurde,
den ersten „Aufruf an die persönliche Thatkraft der Bürger". Die¬
ser Aufruf weckte die Lawine; es war gleichsam jener erste El-
bogenstoß, von dem Börne sagt, daß er hinreiche, um, durch die
Massen sich fortpflanzend, das Gerüst der Tyrannei umzustürzen;
und es gibt wohl kein zweites Beispiel, daß ein bloßer Journal¬
artikel so unmittelbar in die Geschichte Europas eingegriffen hätte;
von deutschen Jonrnalartikeln gar nicht zu reden. Freilich muß
man nicht vergessen, daß nur bei einem Volke, wie das von Pa¬
ris, solche Aufrufe so mächtig widerhallen können. Am folgenden
Tage unterzeichnete er die allgemeine Protestation der Journalisten,
die, von Thiers redigirt, ebenfalls vom National veröffentlicht wurde.
Als endlich das Gewehrfeuer zwischen Volk und Truppen begon¬
nen hatte, da irrte Carrel, wie Louis Blanc erzählt, unbewaffnet,
ein schwarzes Spazierstöckchen in der Hand, durch die Straßen,
wo am wüthendsten gefochten wurde, den Kugeln trotzend, ohne
anzufechten, und fragte fortwährend seine vertrautesten Freunde:
„Habt ihr denn nur ein einziges Bataillon?" Es ward dem ehe¬
maligen Souslieutenant doch schwer, an die Möglichkeit eines
Volkssieges über reguläre Truppen zu glauben.

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[0163] könne. Jene Zurückhaltung seiner Feder hatte einen andern, viel natürlichern Grund in Carrel'ö Stolz. Nach dem bei der Grün¬ dung des National geschlossenen Contracte, sollten die drei Re¬ dacteure einer um den andern die Oberleitung des Blattes führen, und zwar, da Thiers und Mignet damals in einem höheren, litera-- rischen und politischen Ansehen standen, im ersten Jahre Thiers, im zweiten Mignet, und erst im dritten Carrel. Dieser ward dadurch in eine untergeordnete Stellung gedrängt, und da er sich zum Commando berufen fühlte, widerstrebte es seinem stolzen Sinne, fortwährend in dritter Reihe, als Subalternofficier aufzu¬ treten. Deshalb hielt er sich, während der ersten Periode des National, ein wenig im Hintergrund. Aus diesem Zustande des Mißbehagens und der Unthätigkeit rissen ihn die verhängnißvollen Juliordonnanzen. Carrel war be¬ reit zum Widerstände, hatte aber gleich vielen Anderen, kein festes Vertrauen auf den Sieg der Schilderhebung. An» 26. schrieb er in einer Beilage zum National, die am Mittag ausgegeben wurde, den ersten „Aufruf an die persönliche Thatkraft der Bürger". Die¬ ser Aufruf weckte die Lawine; es war gleichsam jener erste El- bogenstoß, von dem Börne sagt, daß er hinreiche, um, durch die Massen sich fortpflanzend, das Gerüst der Tyrannei umzustürzen; und es gibt wohl kein zweites Beispiel, daß ein bloßer Journal¬ artikel so unmittelbar in die Geschichte Europas eingegriffen hätte; von deutschen Jonrnalartikeln gar nicht zu reden. Freilich muß man nicht vergessen, daß nur bei einem Volke, wie das von Pa¬ ris, solche Aufrufe so mächtig widerhallen können. Am folgenden Tage unterzeichnete er die allgemeine Protestation der Journalisten, die, von Thiers redigirt, ebenfalls vom National veröffentlicht wurde. Als endlich das Gewehrfeuer zwischen Volk und Truppen begon¬ nen hatte, da irrte Carrel, wie Louis Blanc erzählt, unbewaffnet, ein schwarzes Spazierstöckchen in der Hand, durch die Straßen, wo am wüthendsten gefochten wurde, den Kugeln trotzend, ohne anzufechten, und fragte fortwährend seine vertrautesten Freunde: „Habt ihr denn nur ein einziges Bataillon?" Es ward dem ehe¬ maligen Souslieutenant doch schwer, an die Möglichkeit eines Volkssieges über reguläre Truppen zu glauben. Am 30. Jtlli wurde ihm von Laffitte das Commando über 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/163>, abgerufen am 02.09.2024.