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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Bald sollte sich nun dem jungen Helden die Arena aufthun,
in der er alle Freuden und Leiden, alle Triumphe und Aufregun¬
gen deö Schlachtfeldes wiederfand. Persönliche und politische Sym¬
pathien knüpften ihn damals eng an die Herrn Thiers und Mig-
net; im Verein mit ihnen und unterstützt von den Koryphäen der
äußersten Linken gründete er jenes Blatt, welches in Frankreich
eine Revolution, wie die englische von 1688, vorbereiten sollte:
den National, dessen erste Nummer mit dem I Januar des gro¬
ßen Jahres 1830 erschien.

Leute, die Carrel'ö Ruhm zu verkleinern glaubten, wenn sie
ihn nicht als einen geborenen Republikaner darstellten, haben sich
bemüht, das Gerücht zu verbreiten, als ob gleich von Anfang an,
zwischen Carrel und Thiers ein radicaler Mcinungs- und Gesin-
nungszwiespalt bestanden hatte; Carrel's Tendenzen, sagen sie,
seien schon damals weiter gegangen, als die seiner College", und
er habe mehr verlangt, als die Vertauschung einer Dynastie mit
einer andern. Deswegen, meinen sie, sei Carrel selbst lange Zeit
ein seltener Gast im National gewesen. Es ist wahr, vom Ja¬
nuar bis in den Juli 1830 fand man im National nur geringe
Spuren seiner mächtigen Feder: ein Artikel über den Tod von
Alphonse Radde, ein rührender Aufsatz über den Selbstmord des
jungen Sautelet, Geranten des neuen Blattes, ein Versuch über
Leben und Schriften von Paul Louis Courier und zwei sehr pi¬
kante Streifzüge gegen die Dramen der romantischen Schule, das
war um diese Zeit die ganze Frucht seiner Mitarbeiterschaft, Allein,
wenn man daraus auf einen Zwiespalt zwischen Carrel'ö republi¬
kanischen und seiner College" dynastischen Ansichten schließt, warum
hätte Carrel nach der Julirevolution, als selbständiger Herr des
National, fast ein Jahr lang, dieselbe Politik, wie unter Thiers
und Mignet, in seinem Blatte walten lassen? Warum hätte er
die Julimonarchie so lange gegen ihre Gegner aller Schattirungeir
vertheidigt? Oder soll man sagen, daß er eine Weile transi-
giren, laviren und temporisiren wollte? Alle diese Loosungsworte
moderner journalistischer Diplomatie standen nicht in Carrels Wör¬
terbuch. Wir nehmen lieber an, daß Armand Carrel aus redlicher
Ueberzeugung für die Monarchie kämpfte, bis es seine redliche Ue¬
berzeugung ward, daß nur die Republik Frankreich glücklich machen


Bald sollte sich nun dem jungen Helden die Arena aufthun,
in der er alle Freuden und Leiden, alle Triumphe und Aufregun¬
gen deö Schlachtfeldes wiederfand. Persönliche und politische Sym¬
pathien knüpften ihn damals eng an die Herrn Thiers und Mig-
net; im Verein mit ihnen und unterstützt von den Koryphäen der
äußersten Linken gründete er jenes Blatt, welches in Frankreich
eine Revolution, wie die englische von 1688, vorbereiten sollte:
den National, dessen erste Nummer mit dem I Januar des gro¬
ßen Jahres 1830 erschien.

Leute, die Carrel'ö Ruhm zu verkleinern glaubten, wenn sie
ihn nicht als einen geborenen Republikaner darstellten, haben sich
bemüht, das Gerücht zu verbreiten, als ob gleich von Anfang an,
zwischen Carrel und Thiers ein radicaler Mcinungs- und Gesin-
nungszwiespalt bestanden hatte; Carrel's Tendenzen, sagen sie,
seien schon damals weiter gegangen, als die seiner College», und
er habe mehr verlangt, als die Vertauschung einer Dynastie mit
einer andern. Deswegen, meinen sie, sei Carrel selbst lange Zeit
ein seltener Gast im National gewesen. Es ist wahr, vom Ja¬
nuar bis in den Juli 1830 fand man im National nur geringe
Spuren seiner mächtigen Feder: ein Artikel über den Tod von
Alphonse Radde, ein rührender Aufsatz über den Selbstmord des
jungen Sautelet, Geranten des neuen Blattes, ein Versuch über
Leben und Schriften von Paul Louis Courier und zwei sehr pi¬
kante Streifzüge gegen die Dramen der romantischen Schule, das
war um diese Zeit die ganze Frucht seiner Mitarbeiterschaft, Allein,
wenn man daraus auf einen Zwiespalt zwischen Carrel'ö republi¬
kanischen und seiner College» dynastischen Ansichten schließt, warum
hätte Carrel nach der Julirevolution, als selbständiger Herr des
National, fast ein Jahr lang, dieselbe Politik, wie unter Thiers
und Mignet, in seinem Blatte walten lassen? Warum hätte er
die Julimonarchie so lange gegen ihre Gegner aller Schattirungeir
vertheidigt? Oder soll man sagen, daß er eine Weile transi-
giren, laviren und temporisiren wollte? Alle diese Loosungsworte
moderner journalistischer Diplomatie standen nicht in Carrels Wör¬
terbuch. Wir nehmen lieber an, daß Armand Carrel aus redlicher
Ueberzeugung für die Monarchie kämpfte, bis es seine redliche Ue¬
berzeugung ward, daß nur die Republik Frankreich glücklich machen


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[0162] Bald sollte sich nun dem jungen Helden die Arena aufthun, in der er alle Freuden und Leiden, alle Triumphe und Aufregun¬ gen deö Schlachtfeldes wiederfand. Persönliche und politische Sym¬ pathien knüpften ihn damals eng an die Herrn Thiers und Mig- net; im Verein mit ihnen und unterstützt von den Koryphäen der äußersten Linken gründete er jenes Blatt, welches in Frankreich eine Revolution, wie die englische von 1688, vorbereiten sollte: den National, dessen erste Nummer mit dem I Januar des gro¬ ßen Jahres 1830 erschien. Leute, die Carrel'ö Ruhm zu verkleinern glaubten, wenn sie ihn nicht als einen geborenen Republikaner darstellten, haben sich bemüht, das Gerücht zu verbreiten, als ob gleich von Anfang an, zwischen Carrel und Thiers ein radicaler Mcinungs- und Gesin- nungszwiespalt bestanden hatte; Carrel's Tendenzen, sagen sie, seien schon damals weiter gegangen, als die seiner College», und er habe mehr verlangt, als die Vertauschung einer Dynastie mit einer andern. Deswegen, meinen sie, sei Carrel selbst lange Zeit ein seltener Gast im National gewesen. Es ist wahr, vom Ja¬ nuar bis in den Juli 1830 fand man im National nur geringe Spuren seiner mächtigen Feder: ein Artikel über den Tod von Alphonse Radde, ein rührender Aufsatz über den Selbstmord des jungen Sautelet, Geranten des neuen Blattes, ein Versuch über Leben und Schriften von Paul Louis Courier und zwei sehr pi¬ kante Streifzüge gegen die Dramen der romantischen Schule, das war um diese Zeit die ganze Frucht seiner Mitarbeiterschaft, Allein, wenn man daraus auf einen Zwiespalt zwischen Carrel'ö republi¬ kanischen und seiner College» dynastischen Ansichten schließt, warum hätte Carrel nach der Julirevolution, als selbständiger Herr des National, fast ein Jahr lang, dieselbe Politik, wie unter Thiers und Mignet, in seinem Blatte walten lassen? Warum hätte er die Julimonarchie so lange gegen ihre Gegner aller Schattirungeir vertheidigt? Oder soll man sagen, daß er eine Weile transi- giren, laviren und temporisiren wollte? Alle diese Loosungsworte moderner journalistischer Diplomatie standen nicht in Carrels Wör¬ terbuch. Wir nehmen lieber an, daß Armand Carrel aus redlicher Ueberzeugung für die Monarchie kämpfte, bis es seine redliche Ue¬ berzeugung ward, daß nur die Republik Frankreich glücklich machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/162>, abgerufen am 02.09.2024.