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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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die Nationalgarde von Rouen übertragen, die den Parisern zu
Hilfe geeilt war, und während der ersten Tage der provisorischen
Negierung ward er in die westlichen Departements gesandt, zur
Reorganisation der Verwaltung. Diese Sendung erfüllte er mit
Eifer und Talent, indem er die Maires und Unterpräfecten, je
nach seiner Ueberzeugung von ihrer Anhänglichkeit an die neue
Ordnung der Dinge, entweder bestätigte oder durch andere ersetzte.
Als er Ende August nach Paris zurückkehrte, hatten seine Freunde
vom National bereits Posto am Staatsruder gefaßt, und ihn
selbst, ohne sein Wissen und Wollen, zum Präfecten des Cantal
ernannt. Er lehnte jedoch diese Stellung dritten Ranges ab, als
seiner Kräfte unwürdig; er strebte auch nach keinem Portefeuille,
sein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich auf das Scepter des National.
Auch dieses erhielt er erst nach einigen Debatten, da Thiers wäh¬
rend Carrels Abwesenheit es bereits den jedenfalls schwächeren
Händen des Herrn Passy anvertraut hatte.

Noch immer ist man in gewissen höheren und niederen Regio¬
nen bei uns geneigt, die Julirevolution als eine mit Noth zur
rechten Zeit gelöschte Weltfeuersbrunst zu betrachte,,; man will
durchaus den Geist dieses legitimen Aufruhrs, wenn man so sagen
darf, mit den alten Dämonen des Terrorismus und der Welterobe¬
rung identificiren. Republik und Krieg, redet man sich gern ein,
das war die eigentliche Losung der tricoloren Partei, und den
Strom dieser glühenden, ganz Europa bedrohenden Lavaüberschwem¬
mung habe nur der Zauberstab Louis Philipps aufgehalten, dem
die Einen dies eben so sehr zum Verdienst, wie die Anderen zum
Vorwurf machen. Bedurfte es, außer der Haltung des Pariser
Volkes in den drei Julitagen, noch eines andern Beweises für das
Vorurtheilsvolle jener Ansicht, so wäre es die Haltung, die nach
dem großen Ereignisse der National beobachtet hat, dessen Redac¬
teur, schon persönlich nicht sehr gut gestellt mit den Hauptpartisa¬
nen der neuen Gewalt, gar keine Ursache hatte, dieselbe zu scho¬
nen. Viel später erst brachen die alten Wunden auf, und die re¬
publikanische Partei war 1830 noch so schwach, daß Carrel selbst
bewies, die sehr kleine, angeblich aus den Provinzen an die Kam¬
mer gelangte Zahl von republikanischen Adressen sei in Paris fa-
bricirt worden.


die Nationalgarde von Rouen übertragen, die den Parisern zu
Hilfe geeilt war, und während der ersten Tage der provisorischen
Negierung ward er in die westlichen Departements gesandt, zur
Reorganisation der Verwaltung. Diese Sendung erfüllte er mit
Eifer und Talent, indem er die Maires und Unterpräfecten, je
nach seiner Ueberzeugung von ihrer Anhänglichkeit an die neue
Ordnung der Dinge, entweder bestätigte oder durch andere ersetzte.
Als er Ende August nach Paris zurückkehrte, hatten seine Freunde
vom National bereits Posto am Staatsruder gefaßt, und ihn
selbst, ohne sein Wissen und Wollen, zum Präfecten des Cantal
ernannt. Er lehnte jedoch diese Stellung dritten Ranges ab, als
seiner Kräfte unwürdig; er strebte auch nach keinem Portefeuille,
sein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich auf das Scepter des National.
Auch dieses erhielt er erst nach einigen Debatten, da Thiers wäh¬
rend Carrels Abwesenheit es bereits den jedenfalls schwächeren
Händen des Herrn Passy anvertraut hatte.

Noch immer ist man in gewissen höheren und niederen Regio¬
nen bei uns geneigt, die Julirevolution als eine mit Noth zur
rechten Zeit gelöschte Weltfeuersbrunst zu betrachte,,; man will
durchaus den Geist dieses legitimen Aufruhrs, wenn man so sagen
darf, mit den alten Dämonen des Terrorismus und der Welterobe¬
rung identificiren. Republik und Krieg, redet man sich gern ein,
das war die eigentliche Losung der tricoloren Partei, und den
Strom dieser glühenden, ganz Europa bedrohenden Lavaüberschwem¬
mung habe nur der Zauberstab Louis Philipps aufgehalten, dem
die Einen dies eben so sehr zum Verdienst, wie die Anderen zum
Vorwurf machen. Bedurfte es, außer der Haltung des Pariser
Volkes in den drei Julitagen, noch eines andern Beweises für das
Vorurtheilsvolle jener Ansicht, so wäre es die Haltung, die nach
dem großen Ereignisse der National beobachtet hat, dessen Redac¬
teur, schon persönlich nicht sehr gut gestellt mit den Hauptpartisa¬
nen der neuen Gewalt, gar keine Ursache hatte, dieselbe zu scho¬
nen. Viel später erst brachen die alten Wunden auf, und die re¬
publikanische Partei war 1830 noch so schwach, daß Carrel selbst
bewies, die sehr kleine, angeblich aus den Provinzen an die Kam¬
mer gelangte Zahl von republikanischen Adressen sei in Paris fa-
bricirt worden.


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[0164] die Nationalgarde von Rouen übertragen, die den Parisern zu Hilfe geeilt war, und während der ersten Tage der provisorischen Negierung ward er in die westlichen Departements gesandt, zur Reorganisation der Verwaltung. Diese Sendung erfüllte er mit Eifer und Talent, indem er die Maires und Unterpräfecten, je nach seiner Ueberzeugung von ihrer Anhänglichkeit an die neue Ordnung der Dinge, entweder bestätigte oder durch andere ersetzte. Als er Ende August nach Paris zurückkehrte, hatten seine Freunde vom National bereits Posto am Staatsruder gefaßt, und ihn selbst, ohne sein Wissen und Wollen, zum Präfecten des Cantal ernannt. Er lehnte jedoch diese Stellung dritten Ranges ab, als seiner Kräfte unwürdig; er strebte auch nach keinem Portefeuille, sein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich auf das Scepter des National. Auch dieses erhielt er erst nach einigen Debatten, da Thiers wäh¬ rend Carrels Abwesenheit es bereits den jedenfalls schwächeren Händen des Herrn Passy anvertraut hatte. Noch immer ist man in gewissen höheren und niederen Regio¬ nen bei uns geneigt, die Julirevolution als eine mit Noth zur rechten Zeit gelöschte Weltfeuersbrunst zu betrachte,,; man will durchaus den Geist dieses legitimen Aufruhrs, wenn man so sagen darf, mit den alten Dämonen des Terrorismus und der Welterobe¬ rung identificiren. Republik und Krieg, redet man sich gern ein, das war die eigentliche Losung der tricoloren Partei, und den Strom dieser glühenden, ganz Europa bedrohenden Lavaüberschwem¬ mung habe nur der Zauberstab Louis Philipps aufgehalten, dem die Einen dies eben so sehr zum Verdienst, wie die Anderen zum Vorwurf machen. Bedurfte es, außer der Haltung des Pariser Volkes in den drei Julitagen, noch eines andern Beweises für das Vorurtheilsvolle jener Ansicht, so wäre es die Haltung, die nach dem großen Ereignisse der National beobachtet hat, dessen Redac¬ teur, schon persönlich nicht sehr gut gestellt mit den Hauptpartisa¬ nen der neuen Gewalt, gar keine Ursache hatte, dieselbe zu scho¬ nen. Viel später erst brachen die alten Wunden auf, und die re¬ publikanische Partei war 1830 noch so schwach, daß Carrel selbst bewies, die sehr kleine, angeblich aus den Provinzen an die Kam¬ mer gelangte Zahl von republikanischen Adressen sei in Paris fa- bricirt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/164>, abgerufen am 02.09.2024.