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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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vorige Direction hatte das Leipziger Theater so heruntergebracht, daß
schon eine mäßige Verbesserung der neuen Leitung zu Danke ange¬
rechnet worden wäre. Zudem brachte Herr Dr. Schmidt alle Vor¬
theile einer geachteten würdigen Persönlichkeit und wissenschaftlicher
Bildung mit zur Direction. Ein geistreicher Schauspieler und
erprobter Bühnenkenner trat eigens aus seiner Stellung vom Burg¬
theater aus, um sich dem neuen Unternehmen als Oberregisseur anzu¬
schließen. Zu gleicher Zeit und um die durch das Treiben der vori¬
gen Direction herabgestimmtc Theilnahme des Leipziger Publikums,
dem Theater wieder zuzuwenden, übernahm Heinrich Laube unentgeld-
lich das undankbare Geschäft, die Vorstellungen des Schauspiels im
Tageblatte zu besprechen; ein anderer Referent wurde für die Oper
gewonnen; auch die Deutsche Allgemeine Zeitung stellte ihre Spalten
einer täglichen Theaterkritik zu Gebote. Es wurde nichts unterlassen,
um das Publikum zu stimuliren. In hiesigen und auswärtigen
Blättern wurde auf den Verfall der Hoftheater, auf ihre Abhängigkeit
und Unfreiheit hingewiesen und die Vortheile einer selbständigen Stadt¬
bühne an einem so günstigen Centralpunkte, umgeben von mannigfa¬
chen Literaturkrästen, mit großem Nachdrucke hervorgehoben. Offenbar
hat man mit diesen allzuschmetternden Trompetenstößen dem neuen
Theater zum wenigsten eben so viel geschadet als genützt. Die Augen
von ganz Deutschland haben sich diesem unter so gewaltigen Kanonen-
schlägen sich einschiffenden Geschwader mit gespannten Erwartungen
zugewendet, man erwartete ein Theater ersten Rangs, man erwartete
ein höheres Prinzip in der Leitung, man erwartete endlich, daß die
Kanonen von Leipzip Bresche schießen werden in den alten, faulen
Schlendrian deutschen Theaterwesens.

Nun ist ein Jahr vorüber -- eine runde abgeschlossene Epoche,
innerhalb welcher man wohl Gelegenheit und Berechtigung findet, die
Ziele, die Leistungen, Mittel und Intentionen eines solchen Instituts
zu beurtheilen. Sollen wir nun unser Urtheil mit Wahrheitsliebe und
Unbefangenheit abgeben, so können wir es in wenigen Worten zusammen¬
fassen : Das Leipziger Theater hat blutwenig von dem gehalten, was
seine Freunde im Voraus nach allen Seiten hin verhießen und ver¬
kündigten, aber es hat auch nicht ein Jota weniger geleistet von dem,
was die Direction selbst versprach. - Mit andern Worten: die Leip¬
ziger Bühne kann in Bezug auf ihre Gesammtkräfte weder dem Wie¬
ner, noch dem Berliner, noch dem Dresdner Hoftheater sich gleich¬
stellen; sie unterscheidet sich in der Art ihrer Leitung auch nicht im
Mindesten von dem Modus anderer Theater, es ist weder von einer
höheren Idee, noch von einem großartigen Principe und am allerwe¬
nigsten von einer Regeneration oder Einwirkung auf deutsche Theater¬
zustande die Rede -- alle diese schönen Phrasen sind vollständig zu


vorige Direction hatte das Leipziger Theater so heruntergebracht, daß
schon eine mäßige Verbesserung der neuen Leitung zu Danke ange¬
rechnet worden wäre. Zudem brachte Herr Dr. Schmidt alle Vor¬
theile einer geachteten würdigen Persönlichkeit und wissenschaftlicher
Bildung mit zur Direction. Ein geistreicher Schauspieler und
erprobter Bühnenkenner trat eigens aus seiner Stellung vom Burg¬
theater aus, um sich dem neuen Unternehmen als Oberregisseur anzu¬
schließen. Zu gleicher Zeit und um die durch das Treiben der vori¬
gen Direction herabgestimmtc Theilnahme des Leipziger Publikums,
dem Theater wieder zuzuwenden, übernahm Heinrich Laube unentgeld-
lich das undankbare Geschäft, die Vorstellungen des Schauspiels im
Tageblatte zu besprechen; ein anderer Referent wurde für die Oper
gewonnen; auch die Deutsche Allgemeine Zeitung stellte ihre Spalten
einer täglichen Theaterkritik zu Gebote. Es wurde nichts unterlassen,
um das Publikum zu stimuliren. In hiesigen und auswärtigen
Blättern wurde auf den Verfall der Hoftheater, auf ihre Abhängigkeit
und Unfreiheit hingewiesen und die Vortheile einer selbständigen Stadt¬
bühne an einem so günstigen Centralpunkte, umgeben von mannigfa¬
chen Literaturkrästen, mit großem Nachdrucke hervorgehoben. Offenbar
hat man mit diesen allzuschmetternden Trompetenstößen dem neuen
Theater zum wenigsten eben so viel geschadet als genützt. Die Augen
von ganz Deutschland haben sich diesem unter so gewaltigen Kanonen-
schlägen sich einschiffenden Geschwader mit gespannten Erwartungen
zugewendet, man erwartete ein Theater ersten Rangs, man erwartete
ein höheres Prinzip in der Leitung, man erwartete endlich, daß die
Kanonen von Leipzip Bresche schießen werden in den alten, faulen
Schlendrian deutschen Theaterwesens.

Nun ist ein Jahr vorüber — eine runde abgeschlossene Epoche,
innerhalb welcher man wohl Gelegenheit und Berechtigung findet, die
Ziele, die Leistungen, Mittel und Intentionen eines solchen Instituts
zu beurtheilen. Sollen wir nun unser Urtheil mit Wahrheitsliebe und
Unbefangenheit abgeben, so können wir es in wenigen Worten zusammen¬
fassen : Das Leipziger Theater hat blutwenig von dem gehalten, was
seine Freunde im Voraus nach allen Seiten hin verhießen und ver¬
kündigten, aber es hat auch nicht ein Jota weniger geleistet von dem,
was die Direction selbst versprach. - Mit andern Worten: die Leip¬
ziger Bühne kann in Bezug auf ihre Gesammtkräfte weder dem Wie¬
ner, noch dem Berliner, noch dem Dresdner Hoftheater sich gleich¬
stellen; sie unterscheidet sich in der Art ihrer Leitung auch nicht im
Mindesten von dem Modus anderer Theater, es ist weder von einer
höheren Idee, noch von einem großartigen Principe und am allerwe¬
nigsten von einer Regeneration oder Einwirkung auf deutsche Theater¬
zustande die Rede — alle diese schönen Phrasen sind vollständig zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/96>, abgerufen am 05.02.2025.