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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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auch die Geschichte, worunter eine Anhäufung von Namen, spärlich
und trocken erzählten Thatsachen und Zahlen zu verstehen ist, die
jedem Kaiser einen gleich abgewogenen Antheil Lob, und das kleinste
beinahe Joseph II. zumißt; Personen und Zeitläufte mit eigenthüm¬
lichen prägnanten Zügen hervorzuheben, ist sie nicht berechnet, dage¬
gen erlaubt es ihre Gedrungenheit auch von Perstcn und China,
Afrika, Amerika und Australien in den Vorträgen eines vollen Jah¬
res zu sprechen. Von der Rechnenkunst wird die auf physische Stu¬
dien vorübende Algebra gar nicht, der religiöse Unterricht aber genau
nach dein Vorlesebuche betrieben. Also kein Magnet sür die Denk¬
kraft, sondern nicht viel mehr als schädliches Schlingkraut, das ihre
besten Säste aussaugt! Kein Wunder, daß sich Jesuiten in solche An¬
stalten eindrängen; bestand ja stets darin ihre Lehrkunst, alles Wis¬
sen in bloßes Gedächtnißspiel aufzulösen! Wißt ihr nicht, daß sie
ihren Zöglingen selbst das Denken über Gott verboten? So arg ist's
nun dennoch mit dem akademischen Studien in Oesterreich nicht, man
lehrt daselbst eine Art von Philosophie, die der Professor sogar im
Widerspruch mit der gesetzlichen Einschränkung auf das Vorlcsebuch
meist aus eigenen Heften vorliest, immerhin mit ausdrücklicher Ver¬
wahrung vor den Lehren der Theisten und Atheisten Kant, Fichte
und Hegel. Sei es, daß die Brotfächcr durch einfache Besetzung der
Lehrkanzeln nothdürftig gelehrt werden können; erscheinet dies doch als
offenbar nachtheilig in der Schule der Weisheit, im Gebiete über¬
sinnlicher Dinge, in den tausend^ Hypothesen über das denkende
Ich hinieden, und die Causalität aller Wesen, das Urschöne,
Urgute, oder seine Negation, in der philosophischen Behandlung der
Materie, wie der Schöpfung des Geistes und seiner Geschichte. Hier
gilt eS den Sinn des Menschen durch mannigfache Anschauung für
das Studium, die Vergleichung und Prüfung verschiedener Systeme
aufzuschließen, zu wecken, seine Liebe höhern Interessen zuzuwenden,
und wenn der Jüngling auch nicht sechs Kollegien über Metaphysik
zugleich hören kann, vernimmt er doch aus dem Gespräche und den
Aufzeichnungen seiner Mitschüler die Ansichten der übrigen Lehrer,
und was noch mehr ist, Jeder derselben bestrebt sich, seinem Vor¬
trage so vielen Neiz, Leben, Klarheit unb Ueberzeugung zu leihen,
als in seinen Kräften steht, und der Wetteifer mit den Kollegen des¬
selben Fachs wächst mit den Jahren und Erfahrungen, während er


auch die Geschichte, worunter eine Anhäufung von Namen, spärlich
und trocken erzählten Thatsachen und Zahlen zu verstehen ist, die
jedem Kaiser einen gleich abgewogenen Antheil Lob, und das kleinste
beinahe Joseph II. zumißt; Personen und Zeitläufte mit eigenthüm¬
lichen prägnanten Zügen hervorzuheben, ist sie nicht berechnet, dage¬
gen erlaubt es ihre Gedrungenheit auch von Perstcn und China,
Afrika, Amerika und Australien in den Vorträgen eines vollen Jah¬
res zu sprechen. Von der Rechnenkunst wird die auf physische Stu¬
dien vorübende Algebra gar nicht, der religiöse Unterricht aber genau
nach dein Vorlesebuche betrieben. Also kein Magnet sür die Denk¬
kraft, sondern nicht viel mehr als schädliches Schlingkraut, das ihre
besten Säste aussaugt! Kein Wunder, daß sich Jesuiten in solche An¬
stalten eindrängen; bestand ja stets darin ihre Lehrkunst, alles Wis¬
sen in bloßes Gedächtnißspiel aufzulösen! Wißt ihr nicht, daß sie
ihren Zöglingen selbst das Denken über Gott verboten? So arg ist's
nun dennoch mit dem akademischen Studien in Oesterreich nicht, man
lehrt daselbst eine Art von Philosophie, die der Professor sogar im
Widerspruch mit der gesetzlichen Einschränkung auf das Vorlcsebuch
meist aus eigenen Heften vorliest, immerhin mit ausdrücklicher Ver¬
wahrung vor den Lehren der Theisten und Atheisten Kant, Fichte
und Hegel. Sei es, daß die Brotfächcr durch einfache Besetzung der
Lehrkanzeln nothdürftig gelehrt werden können; erscheinet dies doch als
offenbar nachtheilig in der Schule der Weisheit, im Gebiete über¬
sinnlicher Dinge, in den tausend^ Hypothesen über das denkende
Ich hinieden, und die Causalität aller Wesen, das Urschöne,
Urgute, oder seine Negation, in der philosophischen Behandlung der
Materie, wie der Schöpfung des Geistes und seiner Geschichte. Hier
gilt eS den Sinn des Menschen durch mannigfache Anschauung für
das Studium, die Vergleichung und Prüfung verschiedener Systeme
aufzuschließen, zu wecken, seine Liebe höhern Interessen zuzuwenden,
und wenn der Jüngling auch nicht sechs Kollegien über Metaphysik
zugleich hören kann, vernimmt er doch aus dem Gespräche und den
Aufzeichnungen seiner Mitschüler die Ansichten der übrigen Lehrer,
und was noch mehr ist, Jeder derselben bestrebt sich, seinem Vor¬
trage so vielen Neiz, Leben, Klarheit unb Ueberzeugung zu leihen,
als in seinen Kräften steht, und der Wetteifer mit den Kollegen des¬
selben Fachs wächst mit den Jahren und Erfahrungen, während er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/60>, abgerufen am 10.02.2025.