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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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chume befreunde". Warum läßt man sie aber in römischen Sümpfen
waten statt sie ans den wolkenverschwisterten Parnaß zu führen, warum
darf sie von seinem heiligen Naß nur wie zum Desert einige Thau-
tropfen nippen, statt berauscht zu werden an jener perlenden Quelle?
In der dritten fängt man beim Alpha an, und ermüdet vor dem
Zeitwort, die vierte schließt mit dem griechischen Vater unser; die
magern Bruchstücke, die man den Schülern der fünften und sechsten
zum Uebertragen vorsetzt, können kaum für ernstgemeinte Sprach-
"dungen, geschweige denn als Sibyllen in der Welt jener hohen
Schatten gelten. Doch selbst mit dem Studium der Lateiner steht
eS nicht besser. Die beiden untersten Klassen beschränken sich auf die
Sprachlehre; mit Uebersetzungen in'6 Latein und aus demselben nach
den geisttödtendsten Regeln ouale man sich durch vier volle Jahre
ab, und überläßt es Chrestomathien, aus denen man wohl eine Har-
lekinsjacke aber keine Toga weben mag, die Schüler theils in diesen
theils in den zwei spätern Jahren, freilich nicht mit der Geschichts¬
poesie der Römer und der Prosa ihrer Poeten, sondern mit einzelnen
zur Nachahmung aufgestellten Mustern bekannt zu machen; dem Sinne
für Ausfassung des Geistes, der näheren Bekanntschaft mit dem
Interesse ihrer Persönlichkeit ist somit glücklich vorgebeugt. Dafür
schmiedet man in den Humanitätsklassen lateinische Verse im besten
Jesuitenstyle, lehrt die Jugend auf Tropen, Figuren und Perioden
einherstelzen, und freie Chrien schreiben wie die steifsten Draht-
pcrückenmacher des vorigen Jahrhunderts. DaS Büchlein, das sie
in der Rede- und Dichtkunst unterweisen soll, könnte von Meister
Gottsched und Gesellen als Preisschrift gekrönt werden. So ist denn
das magere Ergebniß eines Studiums von sechs schönen Jünglings-
jahren ein wenig Latein, doch ja nicht als höhere Stufe der Bildung
sondern bloß als Gedächtnißsache, höchstens zum Verständniß des
Lorüns ^uris für den Rechtsgelehrten, des öl'lioium für den Geist¬
lichen und zur Verschreibung eines Rezepts für den Arzt. -- Man
liest ferner über Erdbeschreibung, Geschichte, Rechenkunst und Religion.
Allgemeine geographische Norkenntmsse, dem zehn- bis eilfjährigen
Knaben meist unverständlich, und eine dürre Aufzählung der Länder,
ihrer Flüsse, Berge und Städte, ohne irgend eine geschichtliche Bei¬
gabe, die an jene Unzahl fremder Klänge auch Bilder und Erinne¬
rungen knüpfte, beschäftigen die erste Klasse; mit der zweiten beginnt


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chume befreunde». Warum läßt man sie aber in römischen Sümpfen
waten statt sie ans den wolkenverschwisterten Parnaß zu führen, warum
darf sie von seinem heiligen Naß nur wie zum Desert einige Thau-
tropfen nippen, statt berauscht zu werden an jener perlenden Quelle?
In der dritten fängt man beim Alpha an, und ermüdet vor dem
Zeitwort, die vierte schließt mit dem griechischen Vater unser; die
magern Bruchstücke, die man den Schülern der fünften und sechsten
zum Uebertragen vorsetzt, können kaum für ernstgemeinte Sprach-
«dungen, geschweige denn als Sibyllen in der Welt jener hohen
Schatten gelten. Doch selbst mit dem Studium der Lateiner steht
eS nicht besser. Die beiden untersten Klassen beschränken sich auf die
Sprachlehre; mit Uebersetzungen in'6 Latein und aus demselben nach
den geisttödtendsten Regeln ouale man sich durch vier volle Jahre
ab, und überläßt es Chrestomathien, aus denen man wohl eine Har-
lekinsjacke aber keine Toga weben mag, die Schüler theils in diesen
theils in den zwei spätern Jahren, freilich nicht mit der Geschichts¬
poesie der Römer und der Prosa ihrer Poeten, sondern mit einzelnen
zur Nachahmung aufgestellten Mustern bekannt zu machen; dem Sinne
für Ausfassung des Geistes, der näheren Bekanntschaft mit dem
Interesse ihrer Persönlichkeit ist somit glücklich vorgebeugt. Dafür
schmiedet man in den Humanitätsklassen lateinische Verse im besten
Jesuitenstyle, lehrt die Jugend auf Tropen, Figuren und Perioden
einherstelzen, und freie Chrien schreiben wie die steifsten Draht-
pcrückenmacher des vorigen Jahrhunderts. DaS Büchlein, das sie
in der Rede- und Dichtkunst unterweisen soll, könnte von Meister
Gottsched und Gesellen als Preisschrift gekrönt werden. So ist denn
das magere Ergebniß eines Studiums von sechs schönen Jünglings-
jahren ein wenig Latein, doch ja nicht als höhere Stufe der Bildung
sondern bloß als Gedächtnißsache, höchstens zum Verständniß des
Lorüns ^uris für den Rechtsgelehrten, des öl'lioium für den Geist¬
lichen und zur Verschreibung eines Rezepts für den Arzt. — Man
liest ferner über Erdbeschreibung, Geschichte, Rechenkunst und Religion.
Allgemeine geographische Norkenntmsse, dem zehn- bis eilfjährigen
Knaben meist unverständlich, und eine dürre Aufzählung der Länder,
ihrer Flüsse, Berge und Städte, ohne irgend eine geschichtliche Bei¬
gabe, die an jene Unzahl fremder Klänge auch Bilder und Erinne¬
rungen knüpfte, beschäftigen die erste Klasse; mit der zweiten beginnt


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[0059] chume befreunde». Warum läßt man sie aber in römischen Sümpfen waten statt sie ans den wolkenverschwisterten Parnaß zu führen, warum darf sie von seinem heiligen Naß nur wie zum Desert einige Thau- tropfen nippen, statt berauscht zu werden an jener perlenden Quelle? In der dritten fängt man beim Alpha an, und ermüdet vor dem Zeitwort, die vierte schließt mit dem griechischen Vater unser; die magern Bruchstücke, die man den Schülern der fünften und sechsten zum Uebertragen vorsetzt, können kaum für ernstgemeinte Sprach- «dungen, geschweige denn als Sibyllen in der Welt jener hohen Schatten gelten. Doch selbst mit dem Studium der Lateiner steht eS nicht besser. Die beiden untersten Klassen beschränken sich auf die Sprachlehre; mit Uebersetzungen in'6 Latein und aus demselben nach den geisttödtendsten Regeln ouale man sich durch vier volle Jahre ab, und überläßt es Chrestomathien, aus denen man wohl eine Har- lekinsjacke aber keine Toga weben mag, die Schüler theils in diesen theils in den zwei spätern Jahren, freilich nicht mit der Geschichts¬ poesie der Römer und der Prosa ihrer Poeten, sondern mit einzelnen zur Nachahmung aufgestellten Mustern bekannt zu machen; dem Sinne für Ausfassung des Geistes, der näheren Bekanntschaft mit dem Interesse ihrer Persönlichkeit ist somit glücklich vorgebeugt. Dafür schmiedet man in den Humanitätsklassen lateinische Verse im besten Jesuitenstyle, lehrt die Jugend auf Tropen, Figuren und Perioden einherstelzen, und freie Chrien schreiben wie die steifsten Draht- pcrückenmacher des vorigen Jahrhunderts. DaS Büchlein, das sie in der Rede- und Dichtkunst unterweisen soll, könnte von Meister Gottsched und Gesellen als Preisschrift gekrönt werden. So ist denn das magere Ergebniß eines Studiums von sechs schönen Jünglings- jahren ein wenig Latein, doch ja nicht als höhere Stufe der Bildung sondern bloß als Gedächtnißsache, höchstens zum Verständniß des Lorüns ^uris für den Rechtsgelehrten, des öl'lioium für den Geist¬ lichen und zur Verschreibung eines Rezepts für den Arzt. — Man liest ferner über Erdbeschreibung, Geschichte, Rechenkunst und Religion. Allgemeine geographische Norkenntmsse, dem zehn- bis eilfjährigen Knaben meist unverständlich, und eine dürre Aufzählung der Länder, ihrer Flüsse, Berge und Städte, ohne irgend eine geschichtliche Bei¬ gabe, die an jene Unzahl fremder Klänge auch Bilder und Erinne¬ rungen knüpfte, beschäftigen die erste Klasse; mit der zweiten beginnt 7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/59>, abgerufen am 05.02.2025.