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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Man besuche in diesem Augenblicke die 'Ateliers, wo man bei so vie¬
len namhaften Künstlern doch recht viel Gediegenes im Werden sollte
zu finden hoffen, -- und man wird staunen, wie gering die hier
schaffende Lebenskraft ist -- es kömmt einem beinahe vor, als wenn
Verschiedene sich schon ausgemalt hätten und jetzt schon glaubten, auf
ihren Lorbeeren ruhen zu dürfen. Nothwendig müßten doch einige
tüchtige Werke im Werden sein; aber nein -- Hildebrand's Scene
aus Othello, wenn ich nicht irre, ist das einzige Werk von Bedeu¬
tung, das die Ateliers aufzuweisen haben. Reminiscensen von Din¬
gen, die hundertmal dagewesen sind, nur ein wenig anders ausstaf-
firt, verdienen nicht die Anführung, oder nur infofern man die Künst¬
ler bemitleidet, wenn man sieht, wie sie sich im Schweiße ihres An¬
gesichts abmühen und abquälen, um das allergewöhnttchste Kunst-AuS-
stellungs-Futter ans Licht zu fördern.

Von jeher hat der freien Geistesentwicklung, dem individuell freien
Schaffn: bei uns das eigne Ucberschatzen, das Geringschätzen aller
fremden Kunstschöpfungen, ob nun deutsch oder nichtdeutsch, entgegen¬
gestanden; man hielt das eigne Urtheil für das der letzten und höch¬
sten Instanz, wußte viele Worte zu machen, wo beim Künstler Tha¬
ten oder Schöpfungen reden sollen. Wozu noch ein wirklicher, alles
freie Leben und Streben selbst der Begabteren tödtendcr Krebsschaden
kommt, nämlich die vorherrschende christliche Kunstrichtung, welcher
Viele zuschwören, weil derDirector seit Jahren an ihr laborirt, selbst
ihr zu lieb katholisch geworden ist, ohne doch je ein Werk geschaffen
zu haben, was durch fromme Geinüthstiefe, durch die ernst-kindliche,
innige Gläubigkeit, der in ihrer hohen Reinheit auch das Uebersinnliche
zur Anschauung gelangt, zur anbetenden Bewunderung hinreißt, selbst
auf den Sinnlichen eine sühnende Wirkung übt. Diese ganze Stim¬
mung ist nun bei der Mehrzahl, die sich Jünger der christlichen Kunst
nennen, etwas Angequaltes, nicht aus dem innersten Born der Seele
Hervorsprudelndes, und daher sind ihre Werke auch aller Lebenskräf-
tigkeit bar, verkrüppelt, Schöpfungen ohne Seele, Körper ohne Blut.
Wie Manchem ist diese Richtung, welche man auch zu den Extremen
der Zeit rechnen kann, gerade hier in Düsseldorf in seinem ganzen
Entwicklungsgange hemmend entgegengetreten, wie manches Talent hat
sie nicht an sich selbst, der eignen Kraft irre werden lassen -- und
was hat sie zu Tage gebracht? Wie Manches hat sie unterdrückt. --
Unsre Historienmalerei laborirte schon seit Jahren an der Schwind-
sucht, wie die Landschaftern an der Manirirsucht, das Genre that es,
seit der Wormser Becker seine lebensfrischen, naturwahren Bilder ge¬
schaffen, sehr stark in hessischen Bauern und Dorfgeschichten " I-,. Au-
erbach, nur Schade, daß ihnen fein tiefgemüthliches Lebensprincip ab¬
ging, bis endlich der Königsberger Hübner sich zu dem menschlichen
Elende unsrer Tage wandte und einige Gemälde nach Motiven der


Man besuche in diesem Augenblicke die 'Ateliers, wo man bei so vie¬
len namhaften Künstlern doch recht viel Gediegenes im Werden sollte
zu finden hoffen, — und man wird staunen, wie gering die hier
schaffende Lebenskraft ist — es kömmt einem beinahe vor, als wenn
Verschiedene sich schon ausgemalt hätten und jetzt schon glaubten, auf
ihren Lorbeeren ruhen zu dürfen. Nothwendig müßten doch einige
tüchtige Werke im Werden sein; aber nein — Hildebrand's Scene
aus Othello, wenn ich nicht irre, ist das einzige Werk von Bedeu¬
tung, das die Ateliers aufzuweisen haben. Reminiscensen von Din¬
gen, die hundertmal dagewesen sind, nur ein wenig anders ausstaf-
firt, verdienen nicht die Anführung, oder nur infofern man die Künst¬
ler bemitleidet, wenn man sieht, wie sie sich im Schweiße ihres An¬
gesichts abmühen und abquälen, um das allergewöhnttchste Kunst-AuS-
stellungs-Futter ans Licht zu fördern.

Von jeher hat der freien Geistesentwicklung, dem individuell freien
Schaffn: bei uns das eigne Ucberschatzen, das Geringschätzen aller
fremden Kunstschöpfungen, ob nun deutsch oder nichtdeutsch, entgegen¬
gestanden; man hielt das eigne Urtheil für das der letzten und höch¬
sten Instanz, wußte viele Worte zu machen, wo beim Künstler Tha¬
ten oder Schöpfungen reden sollen. Wozu noch ein wirklicher, alles
freie Leben und Streben selbst der Begabteren tödtendcr Krebsschaden
kommt, nämlich die vorherrschende christliche Kunstrichtung, welcher
Viele zuschwören, weil derDirector seit Jahren an ihr laborirt, selbst
ihr zu lieb katholisch geworden ist, ohne doch je ein Werk geschaffen
zu haben, was durch fromme Geinüthstiefe, durch die ernst-kindliche,
innige Gläubigkeit, der in ihrer hohen Reinheit auch das Uebersinnliche
zur Anschauung gelangt, zur anbetenden Bewunderung hinreißt, selbst
auf den Sinnlichen eine sühnende Wirkung übt. Diese ganze Stim¬
mung ist nun bei der Mehrzahl, die sich Jünger der christlichen Kunst
nennen, etwas Angequaltes, nicht aus dem innersten Born der Seele
Hervorsprudelndes, und daher sind ihre Werke auch aller Lebenskräf-
tigkeit bar, verkrüppelt, Schöpfungen ohne Seele, Körper ohne Blut.
Wie Manchem ist diese Richtung, welche man auch zu den Extremen
der Zeit rechnen kann, gerade hier in Düsseldorf in seinem ganzen
Entwicklungsgange hemmend entgegengetreten, wie manches Talent hat
sie nicht an sich selbst, der eignen Kraft irre werden lassen — und
was hat sie zu Tage gebracht? Wie Manches hat sie unterdrückt. —
Unsre Historienmalerei laborirte schon seit Jahren an der Schwind-
sucht, wie die Landschaftern an der Manirirsucht, das Genre that es,
seit der Wormser Becker seine lebensfrischen, naturwahren Bilder ge¬
schaffen, sehr stark in hessischen Bauern und Dorfgeschichten » I-,. Au-
erbach, nur Schade, daß ihnen fein tiefgemüthliches Lebensprincip ab¬
ging, bis endlich der Königsberger Hübner sich zu dem menschlichen
Elende unsrer Tage wandte und einige Gemälde nach Motiven der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/568>, abgerufen am 05.02.2025.