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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Gegenwart matte, welche das Publicum ansprachen, da "S sie verstand,
die man Tendenz-Bilder zu nennen beliebte. Hübner machte gute
Geschäfte, und Legion ist gewiß die Zahl der Compositionen, die in
den Mappen und in dem Hirn der Kunstjünger auf Erlösung harren,
denn alle wollen jetzt Z el tungS-Artikel malen, weil diese sich am
besten verkaufen; die künftigjährigen Ausstellungen werden wimmeln
von Tendenzbildcrn, da sie Absatz hoffen lassen. Der Herr gebe sei¬
nen Segen. Zu dem in dieser Skizze Gesagten werde ich, wie meine
Muße es erlaubt, in einer Serie "Düsseldorfer Silhouetten
und Da guerro typen" die nähern Belege folgen lassen.


VI
Dorfgeschichten.

Mißtrauischer und mißtrauischer wird man von Tag zu Tag
gegen all die Dorfnovellen und Volksgeschichten, wie sie jetzt ringsum
auftauchen, seitdem die Auerbach's ihre dritte Auflage erlebten und
mit Lob in Aller Munde sind. Da gilt sehr oft: "wie er sich räus-
pert" u. s. w. Mehr, glauben manche, gehöre gar nicht zu einer
Dorf- und Volksnovelle, als daß sie auf dem Lande oder doch in den
schmutzigen Gassen und Hütten nahe den Stadtthoren spiele, sich in
den banalen Alltagskreisen der sogenannten niedern Stände bewege,
alle Ausbrüche des Bestialischen im Menschen ungeschminkt darstelle
und sich in ihrer Hauptsache um die alltäglichsten Motive des Mein
und Dein, das Haben und Sollen bewege. Wie es so viele Men¬
schen giebt, und auch Schriftsteller, welche "Populär" und "Trivial"
in seinen Aeußerungen nicht zu unterscheiden verstehen, so giebts auch
eine Menge, denen der Unterschied zwischen "niederm Volk" und "ge¬
meinem Haufen" noch nicht zur klaren Erkenntniß gekommen ist. Sie
verwechseln Beides fortwährend mit einander und zeigen dies in der
Wahl des Stoffes, wie der Gestaltungen ihrer Dorf- und Volksge¬
schichten. Außerdem ist's in einzelnen Buchhandlerkreisen Mode ge¬
worden, die sogenannten Volksschriften durchweg grau in grau aus¬
zustatten, wo möglich etwas liederlich brochircn zu lassen und dann,
indem man marktschreierisch auf deren geringen Preis hinweist, diesel¬
ben als das Volksthümlichstc anzupreisen, was noch je erschienen ist.
Mit dem Allen bildet man aber die größeren Mengen nicht herauf,
sondern drückt sie nur wieder tiefer hinab. Daraus entsteht keine
Nationattiteratur, sondern nur eine gemeine und formlose Schriften¬
menge; derartiges trennt überdies die an und für sich leider noch
immer so streng geschiedenen Stande auch noch in ihrem geistigen Le¬
ben: denn der Gebildete legt jene Bücher ungelesen bei Seite und der
minder Gebildete fühlt kein Verlangen nach höherer und ihm schwe¬
rerer Lectüre, weil er in ihnen Genüge für den etwaigen Lesehunger
findet. -- Diese mancherlei Bemerkungen und Ausstellungen beziehen


Grenzboten, 1S"S. IV. 72

Gegenwart matte, welche das Publicum ansprachen, da «S sie verstand,
die man Tendenz-Bilder zu nennen beliebte. Hübner machte gute
Geschäfte, und Legion ist gewiß die Zahl der Compositionen, die in
den Mappen und in dem Hirn der Kunstjünger auf Erlösung harren,
denn alle wollen jetzt Z el tungS-Artikel malen, weil diese sich am
besten verkaufen; die künftigjährigen Ausstellungen werden wimmeln
von Tendenzbildcrn, da sie Absatz hoffen lassen. Der Herr gebe sei¬
nen Segen. Zu dem in dieser Skizze Gesagten werde ich, wie meine
Muße es erlaubt, in einer Serie „Düsseldorfer Silhouetten
und Da guerro typen" die nähern Belege folgen lassen.


VI
Dorfgeschichten.

Mißtrauischer und mißtrauischer wird man von Tag zu Tag
gegen all die Dorfnovellen und Volksgeschichten, wie sie jetzt ringsum
auftauchen, seitdem die Auerbach's ihre dritte Auflage erlebten und
mit Lob in Aller Munde sind. Da gilt sehr oft: „wie er sich räus-
pert" u. s. w. Mehr, glauben manche, gehöre gar nicht zu einer
Dorf- und Volksnovelle, als daß sie auf dem Lande oder doch in den
schmutzigen Gassen und Hütten nahe den Stadtthoren spiele, sich in
den banalen Alltagskreisen der sogenannten niedern Stände bewege,
alle Ausbrüche des Bestialischen im Menschen ungeschminkt darstelle
und sich in ihrer Hauptsache um die alltäglichsten Motive des Mein
und Dein, das Haben und Sollen bewege. Wie es so viele Men¬
schen giebt, und auch Schriftsteller, welche „Populär" und „Trivial"
in seinen Aeußerungen nicht zu unterscheiden verstehen, so giebts auch
eine Menge, denen der Unterschied zwischen „niederm Volk" und „ge¬
meinem Haufen" noch nicht zur klaren Erkenntniß gekommen ist. Sie
verwechseln Beides fortwährend mit einander und zeigen dies in der
Wahl des Stoffes, wie der Gestaltungen ihrer Dorf- und Volksge¬
schichten. Außerdem ist's in einzelnen Buchhandlerkreisen Mode ge¬
worden, die sogenannten Volksschriften durchweg grau in grau aus¬
zustatten, wo möglich etwas liederlich brochircn zu lassen und dann,
indem man marktschreierisch auf deren geringen Preis hinweist, diesel¬
ben als das Volksthümlichstc anzupreisen, was noch je erschienen ist.
Mit dem Allen bildet man aber die größeren Mengen nicht herauf,
sondern drückt sie nur wieder tiefer hinab. Daraus entsteht keine
Nationattiteratur, sondern nur eine gemeine und formlose Schriften¬
menge; derartiges trennt überdies die an und für sich leider noch
immer so streng geschiedenen Stande auch noch in ihrem geistigen Le¬
ben: denn der Gebildete legt jene Bücher ungelesen bei Seite und der
minder Gebildete fühlt kein Verlangen nach höherer und ihm schwe¬
rerer Lectüre, weil er in ihnen Genüge für den etwaigen Lesehunger
findet. — Diese mancherlei Bemerkungen und Ausstellungen beziehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/569>, abgerufen am 05.02.2025.