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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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tige Veränderung eintreten ließ - wurden die Senatsanträge gar
nicht vor der Versammlung der Erbgesessenen veröffentlicht. Jetzt
hat man statt zweitägiger Prüfungszeit eine sechstägige bewilligt. So
kommen wir denn doch wieder um einige Zoll vorwärts. Mit der
Locomotive fahren wir nun einmal nicht!

Unser Sielbaukrieg ist wieder in vollem Gange. Es geschehen
glänzende Waffenthaten auf dem Felde der Broschürenlitcratur wie
aus dem der Journalistik. Der Partei des Engländers Lindley, des
Sielbauanlegers, steht ein hartnäckig kämpfender Feind gegenüber, der
nein Gegenstände seiner Antipathie auch die kleinste Blöße abzulauern
weiß. Indessen soll sich Sir Lindley in einem so eben erschienenen
Hefte seiner Haut tüchtig gewehrt haben, und soviel ist gewiß, in der
Armee seiner Gegner sind Wenige, welche das Praktische der Sache,
über welche sie schreiben und schreien, gründlich inne haben. Diese
Sielbauten kosten übrigens unserm jetzt stark verschuldeten kleinen
Staate Millionen und sind also wichtig genug für die tief eingehende
öffentliche Debatte. Leider bin ich selbst dem Wesen der Entwasse-
rungsbauten noch nicht auf den Grund gekommen, d. h. noch nicht
in die Tiefen der siete hinabgestiegen, sonst könnte ich genauer schil¬
dern, was die Götter gnädig bedecken mit Nacht und mit Grauen.

In unserm thätigen Verlagscomptoir erschien so eben Glasbren¬
ners komischer Volkskalender, mir vielen Illustrationen, im ersten
Jahrgange. -- Eine andere erfreuliche literarische Notiz ist, daß das
wüste, verworrene und gene'n-bösartige Treiben im Feuilleton unse¬
rer achtungswerthen "Neuen Zeitung" mit dem Abtreten eines ge¬
wissen Christern, der in Folge einer ausgepsiffenen dramatischen Ba¬
gatelle sich durch unsinnige Arroganz öffentlicher allgemeiner Verhöh¬
nung bloßgab, nunmehr zu Ende ist. Ein so tüchtiges politisches
Organ wie die Neue Zeitung sollte sich künftig nicht jeder billig ar¬
beitenden Feder preisgeben, welche nur einen Ablagcrungsort für ih¬
ren Unsinn und ihre Bosheit sucht. Jener Literat hat sich übrigens
in einem solchen Grade prostituirt, daß er selbst zum Gespötts der
Schenkwirthe in ihren öffentlichen Anzeigen, wie zu dem der Schau¬
spieler auf dem Theater wurde, man zweifelte vielfach an feiner gei¬
stigen Zurechnungsfähigkeit, und wirklich kam mir sein Hirn- und
charakterloses Treiben oft bemitleidenswerth vor. -- Ein dramatisches
Erstlingsproduct des Berliner Schriftstellers Cubarsch -- der unter
dem Namen C. Schubar schreibt -- hat hier auf dem Stadttheater
gefallen. Es ist ein Lustspiel, betitelt: "Keine Jesuiten mehr!" und
hat zum Hauptsujct die Verbannung der Jesuiten aus Frankreich,
wie die Intriguen, welche dem Ausweisungsdecret Ludwigs XV. vor¬
hergingen.


tige Veränderung eintreten ließ - wurden die Senatsanträge gar
nicht vor der Versammlung der Erbgesessenen veröffentlicht. Jetzt
hat man statt zweitägiger Prüfungszeit eine sechstägige bewilligt. So
kommen wir denn doch wieder um einige Zoll vorwärts. Mit der
Locomotive fahren wir nun einmal nicht!

Unser Sielbaukrieg ist wieder in vollem Gange. Es geschehen
glänzende Waffenthaten auf dem Felde der Broschürenlitcratur wie
aus dem der Journalistik. Der Partei des Engländers Lindley, des
Sielbauanlegers, steht ein hartnäckig kämpfender Feind gegenüber, der
nein Gegenstände seiner Antipathie auch die kleinste Blöße abzulauern
weiß. Indessen soll sich Sir Lindley in einem so eben erschienenen
Hefte seiner Haut tüchtig gewehrt haben, und soviel ist gewiß, in der
Armee seiner Gegner sind Wenige, welche das Praktische der Sache,
über welche sie schreiben und schreien, gründlich inne haben. Diese
Sielbauten kosten übrigens unserm jetzt stark verschuldeten kleinen
Staate Millionen und sind also wichtig genug für die tief eingehende
öffentliche Debatte. Leider bin ich selbst dem Wesen der Entwasse-
rungsbauten noch nicht auf den Grund gekommen, d. h. noch nicht
in die Tiefen der siete hinabgestiegen, sonst könnte ich genauer schil¬
dern, was die Götter gnädig bedecken mit Nacht und mit Grauen.

In unserm thätigen Verlagscomptoir erschien so eben Glasbren¬
ners komischer Volkskalender, mir vielen Illustrationen, im ersten
Jahrgange. — Eine andere erfreuliche literarische Notiz ist, daß das
wüste, verworrene und gene'n-bösartige Treiben im Feuilleton unse¬
rer achtungswerthen „Neuen Zeitung" mit dem Abtreten eines ge¬
wissen Christern, der in Folge einer ausgepsiffenen dramatischen Ba¬
gatelle sich durch unsinnige Arroganz öffentlicher allgemeiner Verhöh¬
nung bloßgab, nunmehr zu Ende ist. Ein so tüchtiges politisches
Organ wie die Neue Zeitung sollte sich künftig nicht jeder billig ar¬
beitenden Feder preisgeben, welche nur einen Ablagcrungsort für ih¬
ren Unsinn und ihre Bosheit sucht. Jener Literat hat sich übrigens
in einem solchen Grade prostituirt, daß er selbst zum Gespötts der
Schenkwirthe in ihren öffentlichen Anzeigen, wie zu dem der Schau¬
spieler auf dem Theater wurde, man zweifelte vielfach an feiner gei¬
stigen Zurechnungsfähigkeit, und wirklich kam mir sein Hirn- und
charakterloses Treiben oft bemitleidenswerth vor. — Ein dramatisches
Erstlingsproduct des Berliner Schriftstellers Cubarsch — der unter
dem Namen C. Schubar schreibt — hat hier auf dem Stadttheater
gefallen. Es ist ein Lustspiel, betitelt: „Keine Jesuiten mehr!" und
hat zum Hauptsujct die Verbannung der Jesuiten aus Frankreich,
wie die Intriguen, welche dem Ausweisungsdecret Ludwigs XV. vor¬
hergingen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/562>, abgerufen am 05.02.2025.