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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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hoffen von der goldenen Weihnachtszeit die Hauptbeisteuer zu dem
schweren Miethzins, und wer weiß, wie mancher unserer anscheinend
brillant dastehenden Kaufleute schon im Stillen die Summe berechnet,
mit der er nach der Weihnachtsernte zu bankerottiren gedenkt. -- Doch
nicht bloß ein merccmtilischer Gesichtspunkt ist sür unser Weihnachts-
fest vorhanden. Auch bei uns flimmert der grüne Tannenbaum mit
seinen vergoldeten Lichten, Zuckersrüchten und Naschereien, auch bei
uns hat im Familienkreise das schöne Fest die deutsch-gemüthliche
Färbung, die ihren sonderbar poetischen Eindruck, einmal empfunden,
für das ganze Leben hinterläßt; auch bei uns wird selbst des Armen
öde Kammer verklärt von der langersehnten Weihnachtsfreude und
da>5 bittere Leid, die Entbehrung, die nagende Sorge treten für eine
Spanne Zeit zurück, wenn die Christnacht ihre Zauberformel aus¬
spricht. Das Beschenken und Beschenktwerden ist hier allgemein und
letzteres wird besonders von der ganzen dienenden Klasse -- vom er¬
sten Buchhalter herab bis zum Hausknecht -- als ein unumstößliches
Recht in Anspruch genommen. In dieser Beziehung herrscht hier so¬
gar offenbarer Mißbrauch, und es gehört wirklich die ganze norddeut¬
sche Gutmüthigkeit dazu, um den von allen Seiten mit einer Naive¬
tät, die eben so gut Unverschämtheit heißen könnte, anstürmenden For¬
derungen zu genügen. -- Etwa acht Tage vor dem Feste ist bei uns
Alles in rastloser Thätigkeit, in athemloser Bewegung, um einzukau¬
fen oder den dankbaren Dienst unter Merkurs Fahnen zu versehen.
Das herannahende Weihnachtsfest absorbirt Alles; die Theater müssen
mehr als je zu Außerordentlichen greifen, um ein Stück Publicum
heranzuziehen, bis endlich die langerwartete Festglocke lautet, die Klei¬
nen jubelnd in die hell erleuchteten Zimmer stürzen dürfen, die Er¬
wachsenen in gegenseitigen Ueberraschungen schwelgen und aus den
Familienkreisen der Strom der Vergnügungslustigen wieder nach allen
Richtungen hin sich genußsuchend ergießt.

Der Senat will uns durch eine neue seit geraumer -Zeit vorbe¬
reitete Bauordnung, worüber die Bürgerschaft dieser Tage zu berathen
haben wird, eine Weihnachtsfreude machen, für welche wir ihm nur
dankbar sein können. Dieses bis in alle Details musterhaft ausge¬
arbeitete Gesetz hätte uns schon seit lange Noth gethan und es steht
zu hoffen, daß es baldigst auf verfassungsmäßigen Wege sanctionirt
werde, wie auch eine Verordnung über Verbreiterung von Gossen und
Kanälen. Mit letzteren nimmt der Staat das Recht in Anspruch,
Verbesserungen, die er für nöthig erachtet, durchzuführen, wenn auch
dem Gesammtinteresse der kleinliche Privatvortheil oder die starrköpfige
Caprice hindernd in den Weg tritt. -- Bei den dießmaligen Raths-
antragcn hat man zwischen dem Erscheinen derselben und dem statt¬
finden des Bürgerconventcs eine längere Frist gelassen, als bis jetzt
üblich gewesen. Vor dem Brande -- der ja überhaupt manche wich-


Grciizl-oder, I8/.5. IV.

hoffen von der goldenen Weihnachtszeit die Hauptbeisteuer zu dem
schweren Miethzins, und wer weiß, wie mancher unserer anscheinend
brillant dastehenden Kaufleute schon im Stillen die Summe berechnet,
mit der er nach der Weihnachtsernte zu bankerottiren gedenkt. — Doch
nicht bloß ein merccmtilischer Gesichtspunkt ist sür unser Weihnachts-
fest vorhanden. Auch bei uns flimmert der grüne Tannenbaum mit
seinen vergoldeten Lichten, Zuckersrüchten und Naschereien, auch bei
uns hat im Familienkreise das schöne Fest die deutsch-gemüthliche
Färbung, die ihren sonderbar poetischen Eindruck, einmal empfunden,
für das ganze Leben hinterläßt; auch bei uns wird selbst des Armen
öde Kammer verklärt von der langersehnten Weihnachtsfreude und
da>5 bittere Leid, die Entbehrung, die nagende Sorge treten für eine
Spanne Zeit zurück, wenn die Christnacht ihre Zauberformel aus¬
spricht. Das Beschenken und Beschenktwerden ist hier allgemein und
letzteres wird besonders von der ganzen dienenden Klasse — vom er¬
sten Buchhalter herab bis zum Hausknecht — als ein unumstößliches
Recht in Anspruch genommen. In dieser Beziehung herrscht hier so¬
gar offenbarer Mißbrauch, und es gehört wirklich die ganze norddeut¬
sche Gutmüthigkeit dazu, um den von allen Seiten mit einer Naive¬
tät, die eben so gut Unverschämtheit heißen könnte, anstürmenden For¬
derungen zu genügen. — Etwa acht Tage vor dem Feste ist bei uns
Alles in rastloser Thätigkeit, in athemloser Bewegung, um einzukau¬
fen oder den dankbaren Dienst unter Merkurs Fahnen zu versehen.
Das herannahende Weihnachtsfest absorbirt Alles; die Theater müssen
mehr als je zu Außerordentlichen greifen, um ein Stück Publicum
heranzuziehen, bis endlich die langerwartete Festglocke lautet, die Klei¬
nen jubelnd in die hell erleuchteten Zimmer stürzen dürfen, die Er¬
wachsenen in gegenseitigen Ueberraschungen schwelgen und aus den
Familienkreisen der Strom der Vergnügungslustigen wieder nach allen
Richtungen hin sich genußsuchend ergießt.

Der Senat will uns durch eine neue seit geraumer -Zeit vorbe¬
reitete Bauordnung, worüber die Bürgerschaft dieser Tage zu berathen
haben wird, eine Weihnachtsfreude machen, für welche wir ihm nur
dankbar sein können. Dieses bis in alle Details musterhaft ausge¬
arbeitete Gesetz hätte uns schon seit lange Noth gethan und es steht
zu hoffen, daß es baldigst auf verfassungsmäßigen Wege sanctionirt
werde, wie auch eine Verordnung über Verbreiterung von Gossen und
Kanälen. Mit letzteren nimmt der Staat das Recht in Anspruch,
Verbesserungen, die er für nöthig erachtet, durchzuführen, wenn auch
dem Gesammtinteresse der kleinliche Privatvortheil oder die starrköpfige
Caprice hindernd in den Weg tritt. — Bei den dießmaligen Raths-
antragcn hat man zwischen dem Erscheinen derselben und dem statt¬
finden des Bürgerconventcs eine längere Frist gelassen, als bis jetzt
üblich gewesen. Vor dem Brande — der ja überhaupt manche wich-


Grciizl-oder, I8/.5. IV.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/561>, abgerufen am 05.02.2025.