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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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IV.
Aus Berlin.

Eine geheim"ißv"lie Begebenheit. -- Weihnachtsfreuden. -- Salons. --
Concerte. --

Ein Ereigniß, das wie erfunden klingt, aber wahr ist, macht
liier in allen Kreisen der Gesellschaft viel zu sprechen. Ein gemeiner
Soldat, als ungemein tüchtig im Dienste bekannt, Pole von Geburt,
wird unlängst auf einem der dunkeln Kasernengänge in spater Nacht
von einer Gestalt angehalten, die ihm einen Eid abnimmt, ein wich¬
tiges Geheimniß, welches man ihm anvertrauen wolle, nur in die
Hände des Königs nieder zu legen. Der Krieger leistet den Schwur,
wird aber durch die ihm hierauf gemachte Offenbarung so erschüttert,
daß er einen lauten Schrei ausstößt. Die Gestalt ist verschwunden,
oder um prosaisch zu reden, hat sich aus dem Staube gemacht, und
trotz allen Nachforschungen in der geschlossenen Kaserne nirgends zu
finden. Der Soldat bleibt bei seinem Ausspruche, es sei ihm ein
überaus wichtiges Geheimniß anvertraut worden, welches er nur Sr.
Majestät dem Könige entdecken dürfe. Vergebens suchen der dienst¬
thuende Hauptmann, ja den folgenden Tag der Oberst das Siegel
von den Lippen des Polen zu lösen, er bietet selbst baun noch allen
Ueberredungskünsten Trotz, als Prinz Carl, dem er längere Zeit als
Ordonanz zugetheilt war, sich bemühte, die gemachte Mittheilung von
ihm zu erfahren. Man liefert den Armen als an einer fixen Idee
leidend, an die Charitv, jedoch vergebens versuchen die Aerzte, irgend
einen krankhaften Zustand an dem vollständig Besonnenen zu entoek-
ken, er wird als vollkommen gesund entlassen. Endlich läßt ihn der
König vor sich kommen. Worin das Geheimniß bestanden habe, hat,
wie es scheint, Niemand erfahren; so viel jedoch ist sicher, daß Se.
Majestät den Soldaten sehr huldvoll und unter Belobung seiner
standhaften Weigerung, die Mittheilung an ein anderes Ohr als das
des Königs zu bringen, entlassen habe.

Die Weihnachtszeit naht mit raschen Schritten. In keiner Stadt
Deutschlands spielt dieses liebliche Fest eine so wichtige Rolle als in
Berlin. Tausende rennen zwischen lockenden Buden, drängen sich an
den Schaufenstern der Läden, welche durch die reichste Ausstattung
zur Kauflust verführen sollen. In dem großartigen Lokale bei Kroll
treibt sich in den Abendstunden die große und kleine Welt herum: für
die erstere haben Freund Polichinello, ein Theatrum mundi, pracht¬
voll geschmückte Zelte mit tausend bunten Gegenständen im Glänze
unzähliger Lichter funkelnd, ihr blendendes Feenreich aufgeschlossen, die
letztere hat genug zu thun, wenn sie sich selbst zur Schau ausstellt, sich
sehen läßt und gesehen wird. Diese andächtige, ich möchte sagen vie-


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IV.
Aus Berlin.

Eine geheim»ißv»lie Begebenheit. — Weihnachtsfreuden. — Salons. —
Concerte. —

Ein Ereigniß, das wie erfunden klingt, aber wahr ist, macht
liier in allen Kreisen der Gesellschaft viel zu sprechen. Ein gemeiner
Soldat, als ungemein tüchtig im Dienste bekannt, Pole von Geburt,
wird unlängst auf einem der dunkeln Kasernengänge in spater Nacht
von einer Gestalt angehalten, die ihm einen Eid abnimmt, ein wich¬
tiges Geheimniß, welches man ihm anvertrauen wolle, nur in die
Hände des Königs nieder zu legen. Der Krieger leistet den Schwur,
wird aber durch die ihm hierauf gemachte Offenbarung so erschüttert,
daß er einen lauten Schrei ausstößt. Die Gestalt ist verschwunden,
oder um prosaisch zu reden, hat sich aus dem Staube gemacht, und
trotz allen Nachforschungen in der geschlossenen Kaserne nirgends zu
finden. Der Soldat bleibt bei seinem Ausspruche, es sei ihm ein
überaus wichtiges Geheimniß anvertraut worden, welches er nur Sr.
Majestät dem Könige entdecken dürfe. Vergebens suchen der dienst¬
thuende Hauptmann, ja den folgenden Tag der Oberst das Siegel
von den Lippen des Polen zu lösen, er bietet selbst baun noch allen
Ueberredungskünsten Trotz, als Prinz Carl, dem er längere Zeit als
Ordonanz zugetheilt war, sich bemühte, die gemachte Mittheilung von
ihm zu erfahren. Man liefert den Armen als an einer fixen Idee
leidend, an die Charitv, jedoch vergebens versuchen die Aerzte, irgend
einen krankhaften Zustand an dem vollständig Besonnenen zu entoek-
ken, er wird als vollkommen gesund entlassen. Endlich läßt ihn der
König vor sich kommen. Worin das Geheimniß bestanden habe, hat,
wie es scheint, Niemand erfahren; so viel jedoch ist sicher, daß Se.
Majestät den Soldaten sehr huldvoll und unter Belobung seiner
standhaften Weigerung, die Mittheilung an ein anderes Ohr als das
des Königs zu bringen, entlassen habe.

Die Weihnachtszeit naht mit raschen Schritten. In keiner Stadt
Deutschlands spielt dieses liebliche Fest eine so wichtige Rolle als in
Berlin. Tausende rennen zwischen lockenden Buden, drängen sich an
den Schaufenstern der Läden, welche durch die reichste Ausstattung
zur Kauflust verführen sollen. In dem großartigen Lokale bei Kroll
treibt sich in den Abendstunden die große und kleine Welt herum: für
die erstere haben Freund Polichinello, ein Theatrum mundi, pracht¬
voll geschmückte Zelte mit tausend bunten Gegenständen im Glänze
unzähliger Lichter funkelnd, ihr blendendes Feenreich aufgeschlossen, die
letztere hat genug zu thun, wenn sie sich selbst zur Schau ausstellt, sich
sehen läßt und gesehen wird. Diese andächtige, ich möchte sagen vie-


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[0563] IV. Aus Berlin. Eine geheim»ißv»lie Begebenheit. — Weihnachtsfreuden. — Salons. — Concerte. — Ein Ereigniß, das wie erfunden klingt, aber wahr ist, macht liier in allen Kreisen der Gesellschaft viel zu sprechen. Ein gemeiner Soldat, als ungemein tüchtig im Dienste bekannt, Pole von Geburt, wird unlängst auf einem der dunkeln Kasernengänge in spater Nacht von einer Gestalt angehalten, die ihm einen Eid abnimmt, ein wich¬ tiges Geheimniß, welches man ihm anvertrauen wolle, nur in die Hände des Königs nieder zu legen. Der Krieger leistet den Schwur, wird aber durch die ihm hierauf gemachte Offenbarung so erschüttert, daß er einen lauten Schrei ausstößt. Die Gestalt ist verschwunden, oder um prosaisch zu reden, hat sich aus dem Staube gemacht, und trotz allen Nachforschungen in der geschlossenen Kaserne nirgends zu finden. Der Soldat bleibt bei seinem Ausspruche, es sei ihm ein überaus wichtiges Geheimniß anvertraut worden, welches er nur Sr. Majestät dem Könige entdecken dürfe. Vergebens suchen der dienst¬ thuende Hauptmann, ja den folgenden Tag der Oberst das Siegel von den Lippen des Polen zu lösen, er bietet selbst baun noch allen Ueberredungskünsten Trotz, als Prinz Carl, dem er längere Zeit als Ordonanz zugetheilt war, sich bemühte, die gemachte Mittheilung von ihm zu erfahren. Man liefert den Armen als an einer fixen Idee leidend, an die Charitv, jedoch vergebens versuchen die Aerzte, irgend einen krankhaften Zustand an dem vollständig Besonnenen zu entoek- ken, er wird als vollkommen gesund entlassen. Endlich läßt ihn der König vor sich kommen. Worin das Geheimniß bestanden habe, hat, wie es scheint, Niemand erfahren; so viel jedoch ist sicher, daß Se. Majestät den Soldaten sehr huldvoll und unter Belobung seiner standhaften Weigerung, die Mittheilung an ein anderes Ohr als das des Königs zu bringen, entlassen habe. Die Weihnachtszeit naht mit raschen Schritten. In keiner Stadt Deutschlands spielt dieses liebliche Fest eine so wichtige Rolle als in Berlin. Tausende rennen zwischen lockenden Buden, drängen sich an den Schaufenstern der Läden, welche durch die reichste Ausstattung zur Kauflust verführen sollen. In dem großartigen Lokale bei Kroll treibt sich in den Abendstunden die große und kleine Welt herum: für die erstere haben Freund Polichinello, ein Theatrum mundi, pracht¬ voll geschmückte Zelte mit tausend bunten Gegenständen im Glänze unzähliger Lichter funkelnd, ihr blendendes Feenreich aufgeschlossen, die letztere hat genug zu thun, wenn sie sich selbst zur Schau ausstellt, sich sehen läßt und gesehen wird. Diese andächtige, ich möchte sagen vie- 71 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/563>, abgerufen am 05.02.2025.