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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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beider Entwicklungen förderlich ist. Die Taschenbücher Oesterreichs
hatten in ihrem Vaterland, obschon mir sehr einzeln den modernen
Anforderungen des "ausländischen" Publicums entsprechend, fort¬
dauernd ein weites Lesepublicum behalten, und so ward ihre Stabi¬
lität erklärlich, wenn schon der Kritik gegenüber nicht gerechtfertigt.
Allein, gestehen wir es offen, die nichlösterreichische Kritik ließ auch
den österreichischen Almanachen noch mindere Berücksichtigung zu Theil
werden, als ein großer Theil derselben verdiente. So konnte es denn
kommen, daß selbst "Iris", herausgegeben von Johann Grafen
Mail-Ah, und in Pesth, also unter günstigern Censurverhältnissen er¬
scheinend, dem nichtösterreichischen Publicum beinahe unbekannt blei¬
ben mochte, bis A. Stifter's "Abdias" vor zwei Jahren urplötz¬
lich diesem Dichter die größte Anerkennung zuwandte und un¬
sere Aufmerksamkeit nun dorthin lenkte, wohin er schon so Man¬
cherlei geliefert hatte. Iris ist uns seit jener Zeit bekannt und
beliebt worden. Der diesjährige Jahrgang kann diese Achtung nur
erhöhen. Auch A. Stifter tritt darin wieder mit einer seiner eigen¬
thümlichen Novellen auf; sie heißt "die Schwestern". Streng ge¬
nommen ist das Ganze nur die Schilderung eines angenehmen, rein-
weiblichen Eindruckes, den zwei Schwestern auf einem Gebirgrücken
am Gardasee bei ihren einsamen Eltern, im einsamen Hause woh¬
nend, auf den Dichter machten. Allein bereits in die frühere Begeg¬
nung deS Verf. mit dem Vater dieser Töchter in Wien schlingen sich
geheimnißvolle Bezüge zu den Schwestern Milanotto; ihr Violinen-
spiel klingt innerlich bedingend wiederum so eigenthümlich mysterien-
haft in das Fernerleben jenes Mannes und der Seinen am Garda¬
see hinein, daß wir fort und fort aus der gewohnten in eine fremde,
fast nur geahnte Welt uns hineingedrängt sehen. Ich mag's nicht
leugnen, daß damit noch keine Novelle, wie sie die Technik fordert,
zusammenwächst; aber eine Dichtung ist daraus emporgewachsen, von
der sich der Leser wundersam ergriffen fühlt bis in das tiefste Innere
seines Gemüthes. -- Gerade das Gegentheil, obschon materiell das¬
selbe, gilt von der "Fahrt nach Edinburg, aus den Papieren eines
verabschiedeten Lanzenknechts". Da quillt das wirkliche, nahbekannte
Leben in kecker Frische und in schärfster Ironie sich in den Gegen¬
sätzen zum Gemüthsleben lustig umhertaumelnd. Es ist auch ein
Reiseabenteuer, was wir hören, eine Liebesbegegnung des Verfassers


beider Entwicklungen förderlich ist. Die Taschenbücher Oesterreichs
hatten in ihrem Vaterland, obschon mir sehr einzeln den modernen
Anforderungen des „ausländischen" Publicums entsprechend, fort¬
dauernd ein weites Lesepublicum behalten, und so ward ihre Stabi¬
lität erklärlich, wenn schon der Kritik gegenüber nicht gerechtfertigt.
Allein, gestehen wir es offen, die nichlösterreichische Kritik ließ auch
den österreichischen Almanachen noch mindere Berücksichtigung zu Theil
werden, als ein großer Theil derselben verdiente. So konnte es denn
kommen, daß selbst „Iris", herausgegeben von Johann Grafen
Mail-Ah, und in Pesth, also unter günstigern Censurverhältnissen er¬
scheinend, dem nichtösterreichischen Publicum beinahe unbekannt blei¬
ben mochte, bis A. Stifter's „Abdias" vor zwei Jahren urplötz¬
lich diesem Dichter die größte Anerkennung zuwandte und un¬
sere Aufmerksamkeit nun dorthin lenkte, wohin er schon so Man¬
cherlei geliefert hatte. Iris ist uns seit jener Zeit bekannt und
beliebt worden. Der diesjährige Jahrgang kann diese Achtung nur
erhöhen. Auch A. Stifter tritt darin wieder mit einer seiner eigen¬
thümlichen Novellen auf; sie heißt „die Schwestern". Streng ge¬
nommen ist das Ganze nur die Schilderung eines angenehmen, rein-
weiblichen Eindruckes, den zwei Schwestern auf einem Gebirgrücken
am Gardasee bei ihren einsamen Eltern, im einsamen Hause woh¬
nend, auf den Dichter machten. Allein bereits in die frühere Begeg¬
nung deS Verf. mit dem Vater dieser Töchter in Wien schlingen sich
geheimnißvolle Bezüge zu den Schwestern Milanotto; ihr Violinen-
spiel klingt innerlich bedingend wiederum so eigenthümlich mysterien-
haft in das Fernerleben jenes Mannes und der Seinen am Garda¬
see hinein, daß wir fort und fort aus der gewohnten in eine fremde,
fast nur geahnte Welt uns hineingedrängt sehen. Ich mag's nicht
leugnen, daß damit noch keine Novelle, wie sie die Technik fordert,
zusammenwächst; aber eine Dichtung ist daraus emporgewachsen, von
der sich der Leser wundersam ergriffen fühlt bis in das tiefste Innere
seines Gemüthes. — Gerade das Gegentheil, obschon materiell das¬
selbe, gilt von der „Fahrt nach Edinburg, aus den Papieren eines
verabschiedeten Lanzenknechts". Da quillt das wirkliche, nahbekannte
Leben in kecker Frische und in schärfster Ironie sich in den Gegen¬
sätzen zum Gemüthsleben lustig umhertaumelnd. Es ist auch ein
Reiseabenteuer, was wir hören, eine Liebesbegegnung des Verfassers


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[0549] beider Entwicklungen förderlich ist. Die Taschenbücher Oesterreichs hatten in ihrem Vaterland, obschon mir sehr einzeln den modernen Anforderungen des „ausländischen" Publicums entsprechend, fort¬ dauernd ein weites Lesepublicum behalten, und so ward ihre Stabi¬ lität erklärlich, wenn schon der Kritik gegenüber nicht gerechtfertigt. Allein, gestehen wir es offen, die nichlösterreichische Kritik ließ auch den österreichischen Almanachen noch mindere Berücksichtigung zu Theil werden, als ein großer Theil derselben verdiente. So konnte es denn kommen, daß selbst „Iris", herausgegeben von Johann Grafen Mail-Ah, und in Pesth, also unter günstigern Censurverhältnissen er¬ scheinend, dem nichtösterreichischen Publicum beinahe unbekannt blei¬ ben mochte, bis A. Stifter's „Abdias" vor zwei Jahren urplötz¬ lich diesem Dichter die größte Anerkennung zuwandte und un¬ sere Aufmerksamkeit nun dorthin lenkte, wohin er schon so Man¬ cherlei geliefert hatte. Iris ist uns seit jener Zeit bekannt und beliebt worden. Der diesjährige Jahrgang kann diese Achtung nur erhöhen. Auch A. Stifter tritt darin wieder mit einer seiner eigen¬ thümlichen Novellen auf; sie heißt „die Schwestern". Streng ge¬ nommen ist das Ganze nur die Schilderung eines angenehmen, rein- weiblichen Eindruckes, den zwei Schwestern auf einem Gebirgrücken am Gardasee bei ihren einsamen Eltern, im einsamen Hause woh¬ nend, auf den Dichter machten. Allein bereits in die frühere Begeg¬ nung deS Verf. mit dem Vater dieser Töchter in Wien schlingen sich geheimnißvolle Bezüge zu den Schwestern Milanotto; ihr Violinen- spiel klingt innerlich bedingend wiederum so eigenthümlich mysterien- haft in das Fernerleben jenes Mannes und der Seinen am Garda¬ see hinein, daß wir fort und fort aus der gewohnten in eine fremde, fast nur geahnte Welt uns hineingedrängt sehen. Ich mag's nicht leugnen, daß damit noch keine Novelle, wie sie die Technik fordert, zusammenwächst; aber eine Dichtung ist daraus emporgewachsen, von der sich der Leser wundersam ergriffen fühlt bis in das tiefste Innere seines Gemüthes. — Gerade das Gegentheil, obschon materiell das¬ selbe, gilt von der „Fahrt nach Edinburg, aus den Papieren eines verabschiedeten Lanzenknechts". Da quillt das wirkliche, nahbekannte Leben in kecker Frische und in schärfster Ironie sich in den Gegen¬ sätzen zum Gemüthsleben lustig umhertaumelnd. Es ist auch ein Reiseabenteuer, was wir hören, eine Liebesbegegnung des Verfassers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/549>, abgerufen am 05.02.2025.