Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.dere Dienstmädchen war eine Jrländerin, aber keine so heitere Re¬ DittmannS, wo ich frühstückte, nennt sich ein deutsches Caffee- dere Dienstmädchen war eine Jrländerin, aber keine so heitere Re¬ DittmannS, wo ich frühstückte, nennt sich ein deutsches Caffee- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0543" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271804"/> <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> dere Dienstmädchen war eine Jrländerin, aber keine so heitere Re¬<lb/> präsentantin ihrer Heimath; blaß, trotzig, stumm, obwohl des Engli¬<lb/> schen mächtig, und dabei etwas schmutzig. Nur die Wirthin, eine<lb/> gute Yorkshirerin, war echt altenglisch, und ich glaube, sie herrschte<lb/> mit patriarchalischer Milde über das kindliche Wales und das me¬<lb/> lancholische Irland.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_1449" next="#ID_1450"> DittmannS, wo ich frühstückte, nennt sich ein deutsches Caffee-<lb/> hauS, obwohl es ganz englisch eingerichtet ist. Auf der Adreßkarte,<lb/> die ich in Ostende erhalten, stand: ^IZ. deutsche Zeitungen! und ich<lb/> verlangte jetzt sehnsüchtig nach diesem heimischen Imbiß. DerWttth<lb/> suchte lange auf dem Tische und zog endlich ein Journal hervor,<lb/> das mit seinem bescheidenen Format ganz vergraben lag unter den<lb/> kolossalen Bogen der Times und des Morning Chronicle. Darin<lb/> bestand unsere Journalistik bei Dittmann'S. Es war die „Londoner<lb/> Deutsche Zeitung", und die Nummer enthielt manches kecke, scharfe<lb/> Wort. Es freut Einen immerhin, zu sehen, daß man noch auf<lb/> Deutsch — deutsch d. h. grad und deutlich reden kann; ohne Scherz,<lb/> denn die Censur verdirbt auf die Länge nicht blos die Sprechenden,<lb/> sondern auch die Sprache. Aber was nützen die kühnen Trompe¬<lb/> tenstöße in der Fremde? Auf wen soll ein deutsches Blatt in Lon¬<lb/> don wirken? Im Mutterlande ist es verboten, die Engländer ver-<lb/> stehen's nicht, und die deutsche Colonie in England? — Wie ich<lb/> mir sagen ließ, gibt es hier über 70,000 angesiedelte Deutsche, die<lb/> mit Vergnügen in der eingeborenen Bevölkerung verschwinden und<lb/> sich, so schnell sie können, englisiren. Es sind solide brave Leute, die<lb/> an ihre Geschäfte denken und sich in die englische Freiheit eben so<lb/> gut schicken, wie in Petersburg in die russische Subordination. Wes¬<lb/> sen Brod sie essen, dessen Lied sie singen. Der Deutsche läßt sich<lb/> wie die Kartoffel in alle Zonen verpflanzen und gedeiht überall zu<lb/> einem nützlichen Gliede der menschlichen Vegetation. Englisiren aber<lb/> kann er sich mit doppelt ruhigem Gewissen, man wird ihm bei uns<lb/> daraus keinen Vorwurf mache», da er wenigstens kein gottloser Fran¬<lb/> zose wird; umgekehrt, der englisirte Deutsche ist gleichsam nur ge¬<lb/> adelt und in eine vornehmere Familie des germanischen Geschlechtes<lb/> aufgenommen. Auch soll der englisirte Deutsche sehr bald jene pro-<lb/> tegirende, stolz mitleidige Miene annehmen, die dem Briten eigen ist,<lb/> wenn der arme Teufel von drüben, der deutsche Schlemthl, den rei-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0543]
dere Dienstmädchen war eine Jrländerin, aber keine so heitere Re¬
präsentantin ihrer Heimath; blaß, trotzig, stumm, obwohl des Engli¬
schen mächtig, und dabei etwas schmutzig. Nur die Wirthin, eine
gute Yorkshirerin, war echt altenglisch, und ich glaube, sie herrschte
mit patriarchalischer Milde über das kindliche Wales und das me¬
lancholische Irland.
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DittmannS, wo ich frühstückte, nennt sich ein deutsches Caffee-
hauS, obwohl es ganz englisch eingerichtet ist. Auf der Adreßkarte,
die ich in Ostende erhalten, stand: ^IZ. deutsche Zeitungen! und ich
verlangte jetzt sehnsüchtig nach diesem heimischen Imbiß. DerWttth
suchte lange auf dem Tische und zog endlich ein Journal hervor,
das mit seinem bescheidenen Format ganz vergraben lag unter den
kolossalen Bogen der Times und des Morning Chronicle. Darin
bestand unsere Journalistik bei Dittmann'S. Es war die „Londoner
Deutsche Zeitung", und die Nummer enthielt manches kecke, scharfe
Wort. Es freut Einen immerhin, zu sehen, daß man noch auf
Deutsch — deutsch d. h. grad und deutlich reden kann; ohne Scherz,
denn die Censur verdirbt auf die Länge nicht blos die Sprechenden,
sondern auch die Sprache. Aber was nützen die kühnen Trompe¬
tenstöße in der Fremde? Auf wen soll ein deutsches Blatt in Lon¬
don wirken? Im Mutterlande ist es verboten, die Engländer ver-
stehen's nicht, und die deutsche Colonie in England? — Wie ich
mir sagen ließ, gibt es hier über 70,000 angesiedelte Deutsche, die
mit Vergnügen in der eingeborenen Bevölkerung verschwinden und
sich, so schnell sie können, englisiren. Es sind solide brave Leute, die
an ihre Geschäfte denken und sich in die englische Freiheit eben so
gut schicken, wie in Petersburg in die russische Subordination. Wes¬
sen Brod sie essen, dessen Lied sie singen. Der Deutsche läßt sich
wie die Kartoffel in alle Zonen verpflanzen und gedeiht überall zu
einem nützlichen Gliede der menschlichen Vegetation. Englisiren aber
kann er sich mit doppelt ruhigem Gewissen, man wird ihm bei uns
daraus keinen Vorwurf mache», da er wenigstens kein gottloser Fran¬
zose wird; umgekehrt, der englisirte Deutsche ist gleichsam nur ge¬
adelt und in eine vornehmere Familie des germanischen Geschlechtes
aufgenommen. Auch soll der englisirte Deutsche sehr bald jene pro-
tegirende, stolz mitleidige Miene annehmen, die dem Briten eigen ist,
wenn der arme Teufel von drüben, der deutsche Schlemthl, den rei-
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