Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.diese Umgebung sich ausnahm, doch hatte sie einen eigenen Reiz für Der schöne Morgen trieb mich zeitig aus dem Bette. In" diese Umgebung sich ausnahm, doch hatte sie einen eigenen Reiz für Der schöne Morgen trieb mich zeitig aus dem Bette. In» <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271803"/> <p xml:id="ID_1446" prev="#ID_1445"> diese Umgebung sich ausnahm, doch hatte sie einen eigenen Reiz für<lb/> mich; denn ich bildete mir ein, ich sei in eines der alterthümlichsten<lb/> Viertel von London gerathen. So, sagte ich zu mir, indem ich mit<lb/> dem Glockenschlage Zwölf, der von mehreren Thürmen klang, zu<lb/> Bette ging; so wohnen wahrscheinlich die n-uivies Iiontoux der<lb/> Weltstadt; so mag mancher arme Bachclor gewohnt haben, der dann<lb/> Reporter, Publicist, Parlamentsredner und endlich Lord und Peer<lb/> von Großbritannien wurde. Wer weiß, vielleicht ist dieses Haus<lb/> noch ein Pallast gegen die Halsbrecherstiege im Grünlaubenhof,<lb/> wo der gute Goldsmith im vorigen Jahrhunderte hauste, wo er un¬<lb/> ter dem schrillen Getose keifender Wäscherinnen sein unsterbliches<lb/> Buch voll biblischem Seelenfrieden, die Geschichte deS wackern Prim¬<lb/> rose, dichtete. Und indem ich noch einmal in Gedanken die Tour<lb/> von London Bridge bis Hieher machte, fiel mir erst das Komische<lb/> meiner Situation ein; denn ich war im Grunde nur nach England<lb/> gekommen, um einen Freund zu sprechen, den ich nicht einmal von<lb/> Gesicht kannte, und den ich nun in diesem labyrinthischen Babel<lb/> aufsuchen sollte. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1447" next="#ID_1448"> Der schöne Morgen trieb mich zeitig aus dem Bette. In»<lb/> Schenkladen unten war es noch dunkel, bis die Kellnerin auf mein<lb/> Rufen kam und die Thüre auf die Gasse öffnete; dann fing sie an,<lb/> die zierlichen Fäßchen und Kannen in Ordnung zu stellen. ES war<lb/> eine allerliebste Hebe mit nußbrauner Augen und dunklen Locken,<lb/> aber stumm wie ein Heiligenbild; sie beantwortete alle meine Fra¬<lb/> gen mit einem verlegenen Kopfschütteln. Also eine Ausländerin!<lb/> dachte ich und versuchte es in ein paar fremden Zungen. Vergebens.<lb/> Endlich errieth sie was ich meinte, und rief lächelnd: Welsch! Zu¬<lb/> gleich winkte sie mir hinaus vor die Thüre, deren lackirte Pfosten<lb/> mit hunderterlei Inschriften bemalt waren, und zeigte, den schönen<lb/> weißen Arm ausstreckend, mit einem gewissen Stolze auf ein paar<lb/> Worte im wallisischen Idiom: WvIsK i^por t-lkvn in (hier wird<lb/> eine welsche Zeitung gehalten) stand als Uebersetzung daneben.<lb/> Gestern sah ich einen Engländer, der nie in England gewesen, heute<lb/> eine geborene Engländerin mitten in London, der die Nationalsprache<lb/> fremd war. I5nZIi5l, sovil Je»rü (englisch bald lernen) wiederholte<lb/> sie mehrmals mit freundlichem Kopfnicken, gleichsam zu meiner Be¬<lb/> ruhigung; sie lebte erst einige Wochen in der Hauptstadt. Das an-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
diese Umgebung sich ausnahm, doch hatte sie einen eigenen Reiz für
mich; denn ich bildete mir ein, ich sei in eines der alterthümlichsten
Viertel von London gerathen. So, sagte ich zu mir, indem ich mit
dem Glockenschlage Zwölf, der von mehreren Thürmen klang, zu
Bette ging; so wohnen wahrscheinlich die n-uivies Iiontoux der
Weltstadt; so mag mancher arme Bachclor gewohnt haben, der dann
Reporter, Publicist, Parlamentsredner und endlich Lord und Peer
von Großbritannien wurde. Wer weiß, vielleicht ist dieses Haus
noch ein Pallast gegen die Halsbrecherstiege im Grünlaubenhof,
wo der gute Goldsmith im vorigen Jahrhunderte hauste, wo er un¬
ter dem schrillen Getose keifender Wäscherinnen sein unsterbliches
Buch voll biblischem Seelenfrieden, die Geschichte deS wackern Prim¬
rose, dichtete. Und indem ich noch einmal in Gedanken die Tour
von London Bridge bis Hieher machte, fiel mir erst das Komische
meiner Situation ein; denn ich war im Grunde nur nach England
gekommen, um einen Freund zu sprechen, den ich nicht einmal von
Gesicht kannte, und den ich nun in diesem labyrinthischen Babel
aufsuchen sollte. —
Der schöne Morgen trieb mich zeitig aus dem Bette. In»
Schenkladen unten war es noch dunkel, bis die Kellnerin auf mein
Rufen kam und die Thüre auf die Gasse öffnete; dann fing sie an,
die zierlichen Fäßchen und Kannen in Ordnung zu stellen. ES war
eine allerliebste Hebe mit nußbrauner Augen und dunklen Locken,
aber stumm wie ein Heiligenbild; sie beantwortete alle meine Fra¬
gen mit einem verlegenen Kopfschütteln. Also eine Ausländerin!
dachte ich und versuchte es in ein paar fremden Zungen. Vergebens.
Endlich errieth sie was ich meinte, und rief lächelnd: Welsch! Zu¬
gleich winkte sie mir hinaus vor die Thüre, deren lackirte Pfosten
mit hunderterlei Inschriften bemalt waren, und zeigte, den schönen
weißen Arm ausstreckend, mit einem gewissen Stolze auf ein paar
Worte im wallisischen Idiom: WvIsK i^por t-lkvn in (hier wird
eine welsche Zeitung gehalten) stand als Uebersetzung daneben.
Gestern sah ich einen Engländer, der nie in England gewesen, heute
eine geborene Engländerin mitten in London, der die Nationalsprache
fremd war. I5nZIi5l, sovil Je»rü (englisch bald lernen) wiederholte
sie mehrmals mit freundlichem Kopfnicken, gleichsam zu meiner Be¬
ruhigung; sie lebte erst einige Wochen in der Hauptstadt. Das an-
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