Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.Master Humphrey von Dickens ein, der gemüthliche Greis, der am Unter solchen Betrachtungen kam ich in ein enges, finsteres Gäß- Master Humphrey von Dickens ein, der gemüthliche Greis, der am Unter solchen Betrachtungen kam ich in ein enges, finsteres Gäß- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271802"/> <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> Master Humphrey von Dickens ein, der gemüthliche Greis, der am<lb/> Weihnachtsabend allein durch London pilgert und nirgends ein ver¬<lb/> wandtes Gesicht entdeckt. Vielleicht war mein Cicerone auch so ein<lb/> Einsamer, lebte vielleicht noch in seinen alten Tagen vom Stunden¬<lb/> geben, wie Viele, lind hatte in später Nacht immer eine anstrengende<lb/> Wanderung zu machen, bis er in den wohlfeilen Stadttheil kam, wo<lb/> sein Imme war: ein Feuerheerd und eine Lagerstatt. Als alter Jung¬<lb/> gesell in dieser Häuserwüste zu leben muß trauriger sein als hei¬<lb/> mathlos.</p><lb/> <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Unter solchen Betrachtungen kam ich in ein enges, finsteres Gäß-<lb/> chen und hier klopfte mein Bursche dreimal an eine Hausthür, die<lb/> sofort geöffnet ward. Sah das Haus eben nicht heiter aus, so glich<lb/> der heraustretende Wirth einem Gespenst; er war von oben bis un¬<lb/> ten weiß gekleidet, weiße Nachtmütze mit langwehendem Zipfel, weiße<lb/> Weste, weiße Sommerpantalons, weißer Schlafrock, Alles blendend<lb/> weiß, was mir wenigstens große Sauberkeit zu versprechen schien.<lb/> Mr. Dittmann, ein Hannoveraner von Geburt, studirte beim Schein<lb/> der Kerze erst die Karte, die ich ihm überreichte, und verglich sie<lb/> dann mit meinem Gesicht, als enthielte sie ein Signalement; zuletzt<lb/> bedauerte er, keinen Platz zu haben und versprach, für mich zu sor¬<lb/> gen. Er klopfte an einem Nachbarhause und führte mich in ein<lb/> Il-er, ein Schenkzimmer, das unsern Spezereigewolben ähnlich sieht.<lb/> Eine rothwangige stämmige Frau wurde mir als Landlady und ich<lb/> ihr als ein wohlempfohlener deutscher Gentleman vorgestellt. Auf<lb/> Mr. Dittmann's Empfehlung, hieß es, solle ich ein wahres Staats¬<lb/> gemach, den besten Salon im Hause bekommen. Dieser Salon, im<lb/> ersten Stock, hatte zwar kein Schloß an der Thüre, dagegen war er<lb/> mit einer Masse Rococo-Meubles aufgeputzt. Ein schweigsames,<lb/> blasses Stubenmädchen stellte einen riesigen Armleuchter auf den Ka¬<lb/> minmantel und verließ mich, ohne gute Nacht zu sagen. Das Bett,<lb/> mit seiner großblumigen Kattundecke und seinen vier hölzernen über¬<lb/> malten Säulen, die den blaßgrünen Betthimmel trugen, schien für<lb/> eine ganze Familie bestimmt, denn es nahm den dritten Theil der<lb/> Stube ein. Das einzige und schlechtverwahrte Fenster ging auf<lb/> schmale Gäßchen und Höfe, in deren Hintergrund eine Gruppe ho¬<lb/> her Gebäude, darunter ein Thurm und ein kuppelförmiges Dach, in<lb/> den blauen Nachthimmel ragten. So unwirthlich und fast unheimlich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Master Humphrey von Dickens ein, der gemüthliche Greis, der am
Weihnachtsabend allein durch London pilgert und nirgends ein ver¬
wandtes Gesicht entdeckt. Vielleicht war mein Cicerone auch so ein
Einsamer, lebte vielleicht noch in seinen alten Tagen vom Stunden¬
geben, wie Viele, lind hatte in später Nacht immer eine anstrengende
Wanderung zu machen, bis er in den wohlfeilen Stadttheil kam, wo
sein Imme war: ein Feuerheerd und eine Lagerstatt. Als alter Jung¬
gesell in dieser Häuserwüste zu leben muß trauriger sein als hei¬
mathlos.
Unter solchen Betrachtungen kam ich in ein enges, finsteres Gäß-
chen und hier klopfte mein Bursche dreimal an eine Hausthür, die
sofort geöffnet ward. Sah das Haus eben nicht heiter aus, so glich
der heraustretende Wirth einem Gespenst; er war von oben bis un¬
ten weiß gekleidet, weiße Nachtmütze mit langwehendem Zipfel, weiße
Weste, weiße Sommerpantalons, weißer Schlafrock, Alles blendend
weiß, was mir wenigstens große Sauberkeit zu versprechen schien.
Mr. Dittmann, ein Hannoveraner von Geburt, studirte beim Schein
der Kerze erst die Karte, die ich ihm überreichte, und verglich sie
dann mit meinem Gesicht, als enthielte sie ein Signalement; zuletzt
bedauerte er, keinen Platz zu haben und versprach, für mich zu sor¬
gen. Er klopfte an einem Nachbarhause und führte mich in ein
Il-er, ein Schenkzimmer, das unsern Spezereigewolben ähnlich sieht.
Eine rothwangige stämmige Frau wurde mir als Landlady und ich
ihr als ein wohlempfohlener deutscher Gentleman vorgestellt. Auf
Mr. Dittmann's Empfehlung, hieß es, solle ich ein wahres Staats¬
gemach, den besten Salon im Hause bekommen. Dieser Salon, im
ersten Stock, hatte zwar kein Schloß an der Thüre, dagegen war er
mit einer Masse Rococo-Meubles aufgeputzt. Ein schweigsames,
blasses Stubenmädchen stellte einen riesigen Armleuchter auf den Ka¬
minmantel und verließ mich, ohne gute Nacht zu sagen. Das Bett,
mit seiner großblumigen Kattundecke und seinen vier hölzernen über¬
malten Säulen, die den blaßgrünen Betthimmel trugen, schien für
eine ganze Familie bestimmt, denn es nahm den dritten Theil der
Stube ein. Das einzige und schlechtverwahrte Fenster ging auf
schmale Gäßchen und Höfe, in deren Hintergrund eine Gruppe ho¬
her Gebäude, darunter ein Thurm und ein kuppelförmiges Dach, in
den blauen Nachthimmel ragten. So unwirthlich und fast unheimlich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |