Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.mit der Natur, die er ein halbes Jahr entbehrte, besser würdigen, Als Hebel im zwölften Jahre auch seine Mutter verlor -- er Daß der Jüngling Hebel ein vortrefflicher Erzieher gewesen sein mit der Natur, die er ein halbes Jahr entbehrte, besser würdigen, Als Hebel im zwölften Jahre auch seine Mutter verlor — er Daß der Jüngling Hebel ein vortrefflicher Erzieher gewesen sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0534" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271795"/> <p xml:id="ID_1432" prev="#ID_1431"> mit der Natur, die er ein halbes Jahr entbehrte, besser würdigen,<lb/> und jeden Herbst kam er mit geschärfteren Sinnen und mit gereifte-<lb/> rem Beobachtungsgeist nach der ersehnten Einsamkeit des Dorfes<lb/> zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_1433"> Als Hebel im zwölften Jahre auch seine Mutter verlor — er<lb/> hatte den Schmerz sie unter seinen Händen auf dem Wege von Ba¬<lb/> sel nach Hause sterben zu sehen — ging er auf das Gymnasium<lb/> nach Carlsruhe. Wohlwollende Bürger gaben ihm Freitische und so<lb/> viel Unterstützung, daß er auch die Universität besuchen konnte. Sein<lb/> liebenswürdiger Charakter, der milde Ernst seines Geistes und seine<lb/> ungesuchte Bescheidenheit machten ihn zum Gegenstand allgemeiner<lb/> Theilnahme. Er studirte Theologie und als er sein Eramen mit<lb/> dem glänzendsten Erfolg überstanden hatte, erhielt er eine Stelle als<lb/> Erzieher im Hause eines Pfarrers auf dem Lande. Später wurde<lb/> er Lehrer am selben Gymnasium, welches er selbst als Schüler be¬<lb/> sticht hatte, und zugleich Vicar in der Hofcapelle. In seinem Hö¬<lb/> hen, Alter übernahm er die Leitung des ganzen badischen Schulwe¬<lb/> sens, hatte dabei den Rang eines MinisterialratheS und saß, als<lb/> Prälat und Vertreter des protestantischen Clerus, in der ersten Kam¬<lb/> mer des Großherzogthums.</p><lb/> <p xml:id="ID_1434" next="#ID_1435"> Daß der Jüngling Hebel ein vortrefflicher Erzieher gewesen sein<lb/> muß, werden sich uiisere Leser von selbst denken. Allein wir glauben,<lb/> daß die Kindererziehung auch nicht ohne Einfluß auf seine Poesie<lb/> war. Jean Paul vergleicht einmal das Amt eines Erziehers von<lb/> unverdorbenen Kindern mit der Beschäftigung eines Künstlers, der<lb/> sinnige Engel und Heiligenbilder aus Rosenholz schneidet; der Dust<lb/> des edlen Holzes belohnt ihn jeden Augenblick für die Anstrengung<lb/> und versetzt seine Seele fortwährend in einen süßen Rausch. Gewiß<lb/> hat Hebel auf seiner pädagogischen Laufbahn — und dies war die<lb/> Zeit, wo er seine ersten Gedichte schrieb — sich die Kunst angeeignet,<lb/> auf eine poetische Weise zu belehren. Hebel ist ein didaktischer Dich¬<lb/> ter, aber man hört nie den Schulmeister, nie den Sittenprediger in<lb/> seinen Versen; die Erfindungen selbst, und nicht die Worte deS Dich¬<lb/> ters, sprechen die Lehre aus. Er hat das Gemüth seines Volkes<lb/> wie eine harmlose Kinderseele zu behandeln gewußt; er fesselt die<lb/> Phantasie, regt die Empfindung auf, bis sich alle Tiefen deS Herzens<lb/> öffnen, und die Erinnerung an die Bilder, die er dem Geist gezeigt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0534]
mit der Natur, die er ein halbes Jahr entbehrte, besser würdigen,
und jeden Herbst kam er mit geschärfteren Sinnen und mit gereifte-
rem Beobachtungsgeist nach der ersehnten Einsamkeit des Dorfes
zurück.
Als Hebel im zwölften Jahre auch seine Mutter verlor — er
hatte den Schmerz sie unter seinen Händen auf dem Wege von Ba¬
sel nach Hause sterben zu sehen — ging er auf das Gymnasium
nach Carlsruhe. Wohlwollende Bürger gaben ihm Freitische und so
viel Unterstützung, daß er auch die Universität besuchen konnte. Sein
liebenswürdiger Charakter, der milde Ernst seines Geistes und seine
ungesuchte Bescheidenheit machten ihn zum Gegenstand allgemeiner
Theilnahme. Er studirte Theologie und als er sein Eramen mit
dem glänzendsten Erfolg überstanden hatte, erhielt er eine Stelle als
Erzieher im Hause eines Pfarrers auf dem Lande. Später wurde
er Lehrer am selben Gymnasium, welches er selbst als Schüler be¬
sticht hatte, und zugleich Vicar in der Hofcapelle. In seinem Hö¬
hen, Alter übernahm er die Leitung des ganzen badischen Schulwe¬
sens, hatte dabei den Rang eines MinisterialratheS und saß, als
Prälat und Vertreter des protestantischen Clerus, in der ersten Kam¬
mer des Großherzogthums.
Daß der Jüngling Hebel ein vortrefflicher Erzieher gewesen sein
muß, werden sich uiisere Leser von selbst denken. Allein wir glauben,
daß die Kindererziehung auch nicht ohne Einfluß auf seine Poesie
war. Jean Paul vergleicht einmal das Amt eines Erziehers von
unverdorbenen Kindern mit der Beschäftigung eines Künstlers, der
sinnige Engel und Heiligenbilder aus Rosenholz schneidet; der Dust
des edlen Holzes belohnt ihn jeden Augenblick für die Anstrengung
und versetzt seine Seele fortwährend in einen süßen Rausch. Gewiß
hat Hebel auf seiner pädagogischen Laufbahn — und dies war die
Zeit, wo er seine ersten Gedichte schrieb — sich die Kunst angeeignet,
auf eine poetische Weise zu belehren. Hebel ist ein didaktischer Dich¬
ter, aber man hört nie den Schulmeister, nie den Sittenprediger in
seinen Versen; die Erfindungen selbst, und nicht die Worte deS Dich¬
ters, sprechen die Lehre aus. Er hat das Gemüth seines Volkes
wie eine harmlose Kinderseele zu behandeln gewußt; er fesselt die
Phantasie, regt die Empfindung auf, bis sich alle Tiefen deS Herzens
öffnen, und die Erinnerung an die Bilder, die er dem Geist gezeigt
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