Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.in der bairischen Alp und im Schwarzwalde, am Oberrhein und i" Dieser seltene Fall hat sich aber doch bei Johann Peter Hebel in der bairischen Alp und im Schwarzwalde, am Oberrhein und i» Dieser seltene Fall hat sich aber doch bei Johann Peter Hebel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271794"/> <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429"> in der bairischen Alp und im Schwarzwalde, am Oberrhein und i»<lb/> Steiermark u. s. w. Viele leben im Munde des Volkes fort, ohne<lb/> daß man den Namen des Verfassers kennt, denn sie verrathen meist<lb/> keine andere Individualität, als die allgemeine des Volksstammes,<lb/> bei dem sie entstanden sind. Das Volk hat sie gedacht, kein einzel¬<lb/> ner, besonderer Mensch. Sehr selten wird ja ein umfassender Geist,<lb/> eine vom Genie gezeichnete Persönlichkeit in den engen Schranken<lb/> der provinciellen Mundart bleiben, statt die Sprache der Nation zu<lb/> seinem Herold zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1431" next="#ID_1432"> Dieser seltene Fall hat sich aber doch bei Johann Peter Hebel<lb/> ereignet, und die Ursachen davon lassen sich vielleicht in seinen Le¬<lb/> bensverhältnissen finden. Hebel ward im Jahre 1760 zu Basel ge¬<lb/> boren. Seine Eltern, arme Landleute aus dem harr angrenzenden<lb/> Großherzogthum Baden, pflegten den Frühling und Sommer in der<lb/> Stadt Basel, im Dienste eines reichen Hauses, zu verbringen, und<lb/> da kam auch unser Dichter zur Welt. Den Winter über waren sie<lb/> auf dem Dorfe und arbeiteten mit anderen Bauern. Im zweiten<lb/> Lebensjahre verlor Hebel seinen Vater; seine Mutter aber hatte viel<lb/> natürlichen Geist und ein sanftes Gemüth. Man weiß von vielen<lb/> Dichtern, daß sie die Erweckung ihres Genius großentheils dem<lb/> Einflüsse der mütterlichen Erziehung verdanken; Gothe erbte von sei¬<lb/> nem Vater, einem ehrlichen steifen Patrizier, den Geist strenger Ord¬<lb/> nung und Klarheit, die schöpferische Phantasie aber von seiner Mut¬<lb/> ter, deren elfenhafter Humor und naive Laune sich selbst in ihren<lb/> Briefen an die Großherzogin von Weimar abspiegeln. Auch Schiller<lb/> hat nie den Eindruck vergessen, den die Erzählungen seiner Mutter,<lb/> einer Frau von tiefer Empfindung, in seinem Herzen zurückgelassen.<lb/> Hebel's Mutter, obgleich eine arme Bäuerin, that alles Mögliche,<lb/> um ihrem geliebten Kinde, welches schon in zarter Jugend große An¬<lb/> lagen verrieth, eine bessere Erziehung zu geben. Glücklicherweise<lb/> nahm sich ein Dorfschulmeister des wißbegierigen Knaben an, der<lb/> die wenigen Stunden, wo er nicht im Walde und auf dem Felde<lb/> sein mußte, dem eifrigsten Studium widmete. Dieses zwischen Stadt<lb/> und Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit getheilte Jugend¬<lb/> leben hat gewiß nicht wenig zur eigenthümlichen Entwickelung He¬<lb/> bel's beigetragen. Der Aufenthalt in der Stadt, wie er einerseits<lb/> die Bildung des Knaben förderte, lehrte ihn anderseits den Verkehr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0533]
in der bairischen Alp und im Schwarzwalde, am Oberrhein und i»
Steiermark u. s. w. Viele leben im Munde des Volkes fort, ohne
daß man den Namen des Verfassers kennt, denn sie verrathen meist
keine andere Individualität, als die allgemeine des Volksstammes,
bei dem sie entstanden sind. Das Volk hat sie gedacht, kein einzel¬
ner, besonderer Mensch. Sehr selten wird ja ein umfassender Geist,
eine vom Genie gezeichnete Persönlichkeit in den engen Schranken
der provinciellen Mundart bleiben, statt die Sprache der Nation zu
seinem Herold zu machen.
Dieser seltene Fall hat sich aber doch bei Johann Peter Hebel
ereignet, und die Ursachen davon lassen sich vielleicht in seinen Le¬
bensverhältnissen finden. Hebel ward im Jahre 1760 zu Basel ge¬
boren. Seine Eltern, arme Landleute aus dem harr angrenzenden
Großherzogthum Baden, pflegten den Frühling und Sommer in der
Stadt Basel, im Dienste eines reichen Hauses, zu verbringen, und
da kam auch unser Dichter zur Welt. Den Winter über waren sie
auf dem Dorfe und arbeiteten mit anderen Bauern. Im zweiten
Lebensjahre verlor Hebel seinen Vater; seine Mutter aber hatte viel
natürlichen Geist und ein sanftes Gemüth. Man weiß von vielen
Dichtern, daß sie die Erweckung ihres Genius großentheils dem
Einflüsse der mütterlichen Erziehung verdanken; Gothe erbte von sei¬
nem Vater, einem ehrlichen steifen Patrizier, den Geist strenger Ord¬
nung und Klarheit, die schöpferische Phantasie aber von seiner Mut¬
ter, deren elfenhafter Humor und naive Laune sich selbst in ihren
Briefen an die Großherzogin von Weimar abspiegeln. Auch Schiller
hat nie den Eindruck vergessen, den die Erzählungen seiner Mutter,
einer Frau von tiefer Empfindung, in seinem Herzen zurückgelassen.
Hebel's Mutter, obgleich eine arme Bäuerin, that alles Mögliche,
um ihrem geliebten Kinde, welches schon in zarter Jugend große An¬
lagen verrieth, eine bessere Erziehung zu geben. Glücklicherweise
nahm sich ein Dorfschulmeister des wißbegierigen Knaben an, der
die wenigen Stunden, wo er nicht im Walde und auf dem Felde
sein mußte, dem eifrigsten Studium widmete. Dieses zwischen Stadt
und Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit getheilte Jugend¬
leben hat gewiß nicht wenig zur eigenthümlichen Entwickelung He¬
bel's beigetragen. Der Aufenthalt in der Stadt, wie er einerseits
die Bildung des Knaben förderte, lehrte ihn anderseits den Verkehr
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