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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Jacob Grimm, erwähnt werde". ES bietet in vortrefflichem und,
was so selten, markigem Stahlstich ein edles, kräftiges und gedan¬
kenreiches Mannesantlitz, bei dem man die volle Ueberzeugung der
Aehnlichkeit fast unwillkührlich empfindet.

Nächst Urania ist "Penelope" von Theodor Hell herausgegeben,
das älteste Taschenbuch. Auch dieses hat die Kriegsjahre und die
Cholera uno die Literaturwandlungen der modernen Zeit unversehrt
überlebt. Es hat in seiner neuen Folge, deren sechstes Jahr eS
mit 1846 erlebt, allerdings nicht immer gleichen Schritt mit der Be¬
deutsamkeit der Urania gehalten; allein was mau in der dramati¬
schen Kriti5 einen suocvs ä'estime nennt -- diesen hat es sich fast
alljährlich zu erringen gewußt. Zu Erlangung eines höheren Lobes
im vorliegenden Jahrgange trägt die von Sternberg gelieferte No¬
velle "die Freimaurerinnen sicherlich am Meisten bei. Eine Novelle
ist'S aber trotzdem nicht, was Sternberg gab. Es ist ein Capriccio ;
ja ein Miswilliger könnte es vielleicht gar eine Farce nennen. Es
scheint ein humoristischer Spott auf die mehr und mehr sich verkeh¬
renden und verzerrenden gesellschaftlichen Verhältnisse einer großen
Anzahl der gebildeten Frauen unserer Gegenwart, die, weil den In¬
teressen der Manneswelt wieder ferner getreten als im Beginne der
dreißiger Jahre und dennoch nicht begnügt im früheren weiblichen
Kreise, sich in phantastischen Weisen eine Emancipation zu erobern
streben, die ihnen zum unklaren Ziele und zum erkünstelten Bedürf¬
nisse wurde. In diesem Sinne stiften hier Einige einen Freimau--
rerinnenorden, mit welchem sie sich von allem Verkehre mit der Män¬
nerwelt abschließen und selbstständig wirken wollen, dazu die Theil¬
nahme der wichtigsten Schriftstellerinnen unserer Zeit heranzuziehen
versuchen und von diesen in Briefen, welche Styl und Ton der
angeblichen Verfasserinnen trefflich wiedergeben, offener oder höflicher
zurückgewiesen werden. Als endlich gar die Männer sich durch List
in das Heiligthum des Maurertempels einschleichen, welche früher
Einzelnen unter ihnen in Neigung nahe getreten waren, fallen die
jungen Candidatinnen von der maurischen Spielerei ab, um Ehe¬
frauen zu weiden. Am Hochzeitmorgen übergiebt dann die früher
eifrigste Ma^omne dem Manne ihrer Wahl daS Vermächtniß der
Freimaurerin Susammis, d. i. ihr eigenes, worin die Frauen er¬
mahnt werden, einen ächten Freimamerinnenorden zu stiften: den


Jacob Grimm, erwähnt werde». ES bietet in vortrefflichem und,
was so selten, markigem Stahlstich ein edles, kräftiges und gedan¬
kenreiches Mannesantlitz, bei dem man die volle Ueberzeugung der
Aehnlichkeit fast unwillkührlich empfindet.

Nächst Urania ist „Penelope" von Theodor Hell herausgegeben,
das älteste Taschenbuch. Auch dieses hat die Kriegsjahre und die
Cholera uno die Literaturwandlungen der modernen Zeit unversehrt
überlebt. Es hat in seiner neuen Folge, deren sechstes Jahr eS
mit 1846 erlebt, allerdings nicht immer gleichen Schritt mit der Be¬
deutsamkeit der Urania gehalten; allein was mau in der dramati¬
schen Kriti5 einen suocvs ä'estime nennt — diesen hat es sich fast
alljährlich zu erringen gewußt. Zu Erlangung eines höheren Lobes
im vorliegenden Jahrgange trägt die von Sternberg gelieferte No¬
velle „die Freimaurerinnen sicherlich am Meisten bei. Eine Novelle
ist'S aber trotzdem nicht, was Sternberg gab. Es ist ein Capriccio ;
ja ein Miswilliger könnte es vielleicht gar eine Farce nennen. Es
scheint ein humoristischer Spott auf die mehr und mehr sich verkeh¬
renden und verzerrenden gesellschaftlichen Verhältnisse einer großen
Anzahl der gebildeten Frauen unserer Gegenwart, die, weil den In¬
teressen der Manneswelt wieder ferner getreten als im Beginne der
dreißiger Jahre und dennoch nicht begnügt im früheren weiblichen
Kreise, sich in phantastischen Weisen eine Emancipation zu erobern
streben, die ihnen zum unklaren Ziele und zum erkünstelten Bedürf¬
nisse wurde. In diesem Sinne stiften hier Einige einen Freimau--
rerinnenorden, mit welchem sie sich von allem Verkehre mit der Män¬
nerwelt abschließen und selbstständig wirken wollen, dazu die Theil¬
nahme der wichtigsten Schriftstellerinnen unserer Zeit heranzuziehen
versuchen und von diesen in Briefen, welche Styl und Ton der
angeblichen Verfasserinnen trefflich wiedergeben, offener oder höflicher
zurückgewiesen werden. Als endlich gar die Männer sich durch List
in das Heiligthum des Maurertempels einschleichen, welche früher
Einzelnen unter ihnen in Neigung nahe getreten waren, fallen die
jungen Candidatinnen von der maurischen Spielerei ab, um Ehe¬
frauen zu weiden. Am Hochzeitmorgen übergiebt dann die früher
eifrigste Ma^omne dem Manne ihrer Wahl daS Vermächtniß der
Freimaurerin Susammis, d. i. ihr eigenes, worin die Frauen er¬
mahnt werden, einen ächten Freimamerinnenorden zu stiften: den


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[0502] Jacob Grimm, erwähnt werde». ES bietet in vortrefflichem und, was so selten, markigem Stahlstich ein edles, kräftiges und gedan¬ kenreiches Mannesantlitz, bei dem man die volle Ueberzeugung der Aehnlichkeit fast unwillkührlich empfindet. Nächst Urania ist „Penelope" von Theodor Hell herausgegeben, das älteste Taschenbuch. Auch dieses hat die Kriegsjahre und die Cholera uno die Literaturwandlungen der modernen Zeit unversehrt überlebt. Es hat in seiner neuen Folge, deren sechstes Jahr eS mit 1846 erlebt, allerdings nicht immer gleichen Schritt mit der Be¬ deutsamkeit der Urania gehalten; allein was mau in der dramati¬ schen Kriti5 einen suocvs ä'estime nennt — diesen hat es sich fast alljährlich zu erringen gewußt. Zu Erlangung eines höheren Lobes im vorliegenden Jahrgange trägt die von Sternberg gelieferte No¬ velle „die Freimaurerinnen sicherlich am Meisten bei. Eine Novelle ist'S aber trotzdem nicht, was Sternberg gab. Es ist ein Capriccio ; ja ein Miswilliger könnte es vielleicht gar eine Farce nennen. Es scheint ein humoristischer Spott auf die mehr und mehr sich verkeh¬ renden und verzerrenden gesellschaftlichen Verhältnisse einer großen Anzahl der gebildeten Frauen unserer Gegenwart, die, weil den In¬ teressen der Manneswelt wieder ferner getreten als im Beginne der dreißiger Jahre und dennoch nicht begnügt im früheren weiblichen Kreise, sich in phantastischen Weisen eine Emancipation zu erobern streben, die ihnen zum unklaren Ziele und zum erkünstelten Bedürf¬ nisse wurde. In diesem Sinne stiften hier Einige einen Freimau-- rerinnenorden, mit welchem sie sich von allem Verkehre mit der Män¬ nerwelt abschließen und selbstständig wirken wollen, dazu die Theil¬ nahme der wichtigsten Schriftstellerinnen unserer Zeit heranzuziehen versuchen und von diesen in Briefen, welche Styl und Ton der angeblichen Verfasserinnen trefflich wiedergeben, offener oder höflicher zurückgewiesen werden. Als endlich gar die Männer sich durch List in das Heiligthum des Maurertempels einschleichen, welche früher Einzelnen unter ihnen in Neigung nahe getreten waren, fallen die jungen Candidatinnen von der maurischen Spielerei ab, um Ehe¬ frauen zu weiden. Am Hochzeitmorgen übergiebt dann die früher eifrigste Ma^omne dem Manne ihrer Wahl daS Vermächtniß der Freimaurerin Susammis, d. i. ihr eigenes, worin die Frauen er¬ mahnt werden, einen ächten Freimamerinnenorden zu stiften: den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/502>, abgerufen am 05.02.2025.